23.06.2018 10:18 Uhr

WM-Historie: Deutschlands ungenießbare Schwedenplatte

Auf dem Weg ins Traumfinale gegen Brasilien schalteten die Schweden im Halbfinale den Titelträger Deutschland aus
Auf dem Weg ins Traumfinale gegen Brasilien schalteten die Schweden im Halbfinale den Titelträger Deutschland aus

Alle vier Jahre wird bei WM-Endrunden Geschichte geschrieben. Während der Weltmeisterschaft in Russland erinnert weltfussball an kuriose Ereignisse und unvergessene Momente. Heute: die Schlacht von Göteborg zwischen Deutschland und Schweden.

Angereist mit der Bürde des Titelverteidigers, in den Medien auch 13 Jahre nach Kriegsende zum Feindbild erklärt – die WM 1958 war kein einfaches Turnier für Deutschland. Erst recht nicht, als es im Halbfinale zum Showdown gegen den Gastgeber kam.

Die Rollen waren eigentlich klar verteilt: Weltmeister Deutschland war ungeschlagen ins Halbfinale marschiert und traf dort auf Außenseiter Schweden. Doch bereits im Vorfeld des Spiels gab es erhebliche Unruhe. Die Organisatoren verlegten den Spielort kurzerhand von Stockholm ins Göteborger Nya-Ullevi-Stadion und störten die Vorbereitung der Deutschen damit empfindlich.

Zudem war im neuen Austragungsort kaum Platz für deutsche Fans vorgesehen. Erst durch das Einschreiten des DFB und sogar des Generalkonsulats fanden einige Anhänger der Gäste den Weg in das Stadion.

Der Schiedsrichter im Mittelpunkt

Auch die Schiedsrichteransetzung sorgte für Zündstoff. Denn mit dem Ungarn Istvan Zsolt leitete ein Mann das Halbfinale, dessen 1954 als fußballerische Weltmacht geltende Heimat durch die Finalniederlage gegen Deutschland in eine Krise gestürzt worden war, die weit über sportliche Belange hinausging. Die Deutschen fürchteten also fehlende Neutralität des Unparteiischen.

Die Atmosphäre an diesem 24. Juni war durch schwedische Zeitungen im Vorfeld extrem aufgeheizt und wurde im Stadion weiter befeuert. Denn die Organisatoren hatten vor die Ränge bezahlte Einpeitscher mit Megaphonen platziert – damals eine Ungeheuerlichkeit.

Das schwedische Team ließ sich durch die ohrenbetäubenden "Heja, heja"-Schlachtrufe von den Rängen zunächst nicht anstecken und machte das Spiel. Deutschland wartete anfangs ab, um dann die erste Chance durch Hans Schäfer zur Führung zu nutzen (28. Minute).

Nun übernahm Herbergers erfahrene Elf mehr und mehr die Spielkontrolle, musste aber wenige Minuten später den Ausgleich durch Lennart Skoglund hinnehmen (32.).

Schiedsrichter Zsolt hatte nun immer mehr Mühe, den Überblick zu behalten. Besonders die Gastgeber taten sich durch übermäßige Härte hervor. Bis Erich Juskowiak die Nerven verlor.

Der Verteidiger revanchierte sich nach einer Provokation des schwedischen Italien-Legionärs Kurt Hamrin mit einem Tritt abseits des Balles und wurde des Feldes verwiesen (58.). Es war der Anfang vom Ende für die deutsche Elf.

Denn wenige Minuten später musste Fritz Walter nach einem bösen Foul verletzt vom Platz – doch Wechsel kannte das Reglement damals noch nicht. So kehrte Walter zwar humpelnd wieder zurück auf den Rasen, konnte aber kaum ins Spiel eingreifen. Gegen nur noch neun Deutsche stellten Gunnar Gren (81.) und Hamrin (88.) kurz vor Schluss den 3:1-Endstand her.

"Schweden unerwünscht"

Die Reaktionen auf das Ausscheiden fielen heftig bis skurril aus. Schweden wurde im Boulevard regelrecht zu einer Nation brutaler Treter stilisiert, die "Schwedenplatte", eine seinerzeit in vielen deutschen Restaurants beliebte Fischplatte, verschwand zwischenzeitlich von einigen Speisekarten.

Auf der Hamburger Reeperbahn hatten Prostituierte auf Pappschildern mit der Aufschrift "Schweden unerwünscht" zu verstehen gegeben, dass sie ihre Dienste nicht an schwedische Freier feilzubieten gedachten.

Auch schwedische Touristen hatten es in diesen Wochen schwer, verweigerten ihnen so mancher Tankstellenpächter das Benzin, nicht wenigen wurden an Autobahnraststätten die Reifen zerstochen.

Anti-Schwedische Stimmungsmache

Der deutsche Blätterwald war in heller Aufregung und so mancher Journalist schoss deutlich übers Ziel hinaus. Im "Sport-Magazin" konnte man sich keinen Reim auf den Hass der Schweden machen, den die Deutschen festgestellt zu haben glaubten. Immerhin habe doch in beiden Weltkriegen kein deutscher Soldat schwedischen Boden betreten.

Die "Welt" schrieb: "Die deutsche Mannschaft ließ sich tausendfach beleidigen und blieb im Felde." Auf die Spitze trieb die "Saar-Zeitung" die anti-schwedische Stimmungsmache: "Das offizielle Schweden hat hämisch genießend zugelassen, dass rund 40.000 Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale und völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, den Hass über uns auskübelte, der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommen kann."

Von "Skandalspiel" bis "verdient gewonnen"

Auch der DFB unter dem umstrittenen Präsidenten Peco Bauwens hatte schnell eine Meinung parat. Man sprach von einem "Skandalspiel", Bauwens selbst gar von "Volksverhetzung".

Umso überraschender waren die Reaktionen der unmittelbar Beteiligten: Bundestrainer Herberger gratulierte dem Gastgeber zum Finaleinzug. Schweden habe eine "erstklassige Elf und hat verdient gewonnen". Auch die Spieler verloren kein böses Wort über Gegner und Publikum.

Die mediale Empörung legte sich dagegen erst Wochen später, als Zeitungen zur Mäßigung aufriefen. Und ein Genuss blieb der gepeinigten deutschen Fanschar ja doch: Schweden verlor das Finale gegen Brasilien und einen gewissen Pele mit 2:5.

Joachim Rothbauer