03.07.2014 12:04 Uhr

Cafeteros vs. Seleção: Einer muss gehen

Auf dem Weg zur nächsten Gala? Auf James Rodriguez und seine Kolumbianer warten nun die Brasilianer
Auf dem Weg zur nächsten Gala? Auf James Rodriguez und seine Kolumbianer warten nun die Brasilianer

Kolumbien gegen Brasilien, James Rodríguez gegen Neymar Jr., Euphorie gegen Sehnsucht, Kampfschweine gegen Abräumer: Das zweite WM-Viertelfinale am Freitagabend wird eines auf Augenhöhe. Die Chancen? 50:50. Was spricht für die Cafeteros, was für die Seleção?

Fünf Gründe, warum Kolumbien ins Halbfinale einzieht:

1. Die grenzenlose Euphorie
Spiele der Cafeteros lösen eine wahre Völkerwanderung aus. Rund 60.000 Kolumbianer sollen sich während der Endrunde in den Spielorten aufhalten. Wo sie sind, steigt eine Riesenparty. Das Team hat eine enorme Euphorie entfacht. Der Glaube an das eigene Sommermärchen ist allgegenwärtig – bei den Fans und innerhalb der Mannschaft. Die große Tageszeitung 'El Tiempo' titelte nicht ganz zu Unrecht: "Warum sollen wir nicht auch Brasilien schlagen?"

2. James Rodríguez
Wäre die WM heute vorbei, müsste der Titel für den 'Spieler des Turniers' an James Rodríguez gehen. In Monaco deutete er sein Potenzial in dieser Saison mit neun Toren und zwölf Assists an. In Brasilien gelang dem 22-Jährigen der endgültige Durchbruch. Er ist der erste WM-Debütant seit Christian Vieri 1998, der in seinen ersten vier Spielen traf. Rivaldo und Ronaldo waren 2002 die letzten Spieler, die in jedem Gruppenspiel und dem Achtelfinale knipsten. Ein erlesener Kreis, zu dem jetzt auch James Rodríguez gehört.

3. Das Kollektiv
Allerdings ist die Mannschaft mehr als nur James Rodríguez. Juan Cuadrado ist der Top-Vorlagengeber der WM und hat mit seinen Auftritten das Interesse mehrerer Spitzenklubs geweckt. Keeper Ospina ist eine Bank, die Viererkette um Zapata, Yepes, Armero und Zúñiga eingespielt und erfahren. Im Mittelfeld tummeln sich ausnahmslos laufstarke "Kampfschweine". In drei von vier Spielen hatte Kolumbien weniger Ballbesitz als der Gegner. Die abwartende Rolle liegt dem Team. Die Brasilianer müssen aufpassen, dass sie nicht ins offene Messer laufen.

4. Brasiliens Problemzonen
Ausgerechnet die traditionell starke Offensive bereitet den Gastgebern Sorgen. Fred und Jô haben in ihrer aktuellen Verfassung nichts bei einer WM zu suchen. Hulk lässt sein Können nur vereinzelt aufblitzen, Oscar hat nie an seine Gala aus dem Eröffnungsspiel anknüpfen können und der junge Bernard scheint den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen. Jetzt fällt mit Luis Gustavo auch noch der wichtigste Mittelfeldmotor aus. Seine Alternative heißt Paulinho, und der saß zuletzt nicht umsonst nur auf der Bank.

5. Das "Ballack-Phänomen"
Als der Ausfall von Superstar Radamel Falcao bittere Gewissheit wurde, brach für viele kolumbianische Fans eine Welt zusammen. Die Mannschaft ging jedoch gestärkt daraus hervor. Sie entwickelte offenbar eine Jetzt-erst-Recht-Mentalität und spielt besser als je zuvor. Bemerkenswert ist vor allem die offensive Effizienz: Von 22 Schüssen auf das gegnerische Tor saßen elf. Nur die Minimalisten aus Costa Rica sind vor dem Kasten noch gnadenloser.

Fünf Gründe, warum Brasilien ins Halbfinale einzieht:

1. Der Trend
So richtig rund lief es für die Brasilianer bei ihren ersten vier Auftritten nicht. Unter dem Strich stehen aber drei Siege und ein Unentschieden. Mit Chile haben sie zudem eine der stärksten Mannschaften des Turniers ausgeschaltet. Die Formkurve zeigt deutlich nach oben. Bestätigt die Seleção den Trend auch gegen Kolumbien, stehen die Chancen auf das Halbfinale gut.

2. Neymar Jr.
Seine Saison in Barcelona war ordentlich, wenn auch keinesfalls überragend. Sobald Neymar da Silva Santos Júnior aber das gelbe Trikot überstreift, spielt er auf einem anderen Level. 200 Millionen Brasilianer setzen ihre Hoffnungen in den 22-Jährigen. Bislang erfüllt er diese. Vier Tore, ein verwandelter Elfmeter als es drauf ankam und immer wieder Eins-gegen-Eins-Situationen, die nicht zu verteidigen sind. Will man Brasilien schlagen, muss man ihn stoppen – über 90 Minuten eine schier unmögliche Aufgabe.

3. Die Felsen in der Brandung
Während die Außenverteidiger Dani Alves und Marcelo oft den Stürmer in sich entdecken und ihre Aufgaben in der Abwehr vernachlässigen, bilden David Luiz und Thiago Silva das vielleicht beste Innenverteidiger-Duo der WM. Stark am Boden und in der Luft, gefährlich bei Standards und kaum anfällig für leichte Fehler. Bis jetzt hat Kolumbien in jedem seiner Spiele das 1:0 erzielt. Mit Luiz und Silva warten nun aber andere Kaliber, als Kostas Manolas, Didier Zokora oder Maya Yoshida.

4. Die Geschichte
Von 25 Spielen gegen den fünffachen Titelträger hat Kolumbien nur zwei gewonnen – eine desaströse Bilanz. Der letzte Pflichtspielsieg liegt bereits 23 Jahre zurück, die Tordifferenz im direkten Vergleich spricht mit 11:55 Bände. Zwar endeten die letzten drei Duelle jeweils 0:0, allerdings kann es kein Zufall sein, dass die Cafeteros gegen keine südamerikanische Mannschaft eine derart geringe Punkt- und Torausbeute vorzuweisen haben.

5. Die Sehnsucht nach der 'Hexa Campeão'
Sie können, sie sollen und sie müssen diese WM einfach gewinnen. Seitdem Brasilien im Oktober 2007 als Gastgeber auserkoren wurde, spricht das Land von der 'Hexa Campeão', dem sechsten Titel. Mit dem Heimvorteil im Rücken, den fanatischen Fans und der grenzenlosen Unterstützung kann die Mannschaft über sich hinauswachsen. Der Achtelfinal-Krimi gegen Chile hat das Selbstvertrauen zusätzlich gestärkt.

Christian Schenzel