22.06.2016 09:17 Uhr

Vor 30 Jahren: Maradonas göttliche Rache

Diego Maradona erzielt mit der
Diego Maradona erzielt mit der"Hand Gottes" das 1:0 gegen England

Am 22. Juni 1986 wurde im Aztekenstadion von Mexiko-City Fußballgeschichte geschrieben. 114.580 Zuschauer sahen an jenem Tag ein WM-Viertelfinale, das noch Jahre später für Diskussionen sorgen sollte.

Auf dem brütend heißen Geläuf standen sich mit England und Argentinien zwei Mannschaften gegenüber, die noch Rechnungen aus den vorherigen Endrunden offen hatten. Die Gauchos enttäuschten 1982 auf ganzer Linie und schieden als amtierender Titelträger bereits in der Zwischenrunde aus. Die Three Lions ereilte das gleiche Schicksal, obwohl sie in Spanien ungeschlagen blieben.

Nun kam es vier Jahre später in der Runde der letzten Acht zum direkten Duell. Die Argentinier um Trainer Carlos Bilardo marschierten als Erster durch die Gruppe und schalteten anschließend Uruguay (1:0) aus. England quälte sich durch die erste Phase des Turniers, feiert dafür im ersten K.o.-Spiel einen überzeugenden 3:0-Erfolg gegen Paraguay.

"Feinde" unter sich

Die Erinnerung an den 1982 verlorenen Falklandkrieg gegen England war in Argentinien noch sehr frisch. Aus diesem Grund kam der Partie gegen den "Feind" von damals eine besondere Bedeutung zu. Die Hoffnungen der argentinischen Fans ruhten vor allem auf ihrem Kapitän Diego Armando Maradona.

Hatte der Spielmacher bei der WM 1982 über weite Strecken des Turniers noch enttäuscht, so zeigte er jetzt, was in ihm steckte. Bereits in den Gruppenspielen gegen Südkorea, Bulgarien und besonders in der Partie gegen Italien bot er eine starke Leistung. Es sollte sich zeigen, dass er damit noch lange nicht auf dem Zenit angelangt war.

Die Show beginnt

Schon nach wenigen Minuten riss der damals 26-Jährige das Spiel an sich. Seine atemberaubenden Dribblings und Täuschungen waren schlicht zu viel für die englische Abwehr, die sich oft nur mit Fouls zu helfen wusste. Dennoch blieb ein Pfostentreffer des Spielmachers die einzige gefährliche Situation in den ersten 45 Minuten.

Nach dem Wechsel hielten die Südamerikaner das Tempo unverdrossen hoch. Die Three Lions wankten wie ein angeschlagener Boxer – und gingen in der 51. Minute erstmals zu Boden. Maradona ließ im Mittelfeld drei Gegenspieler stehen und bediente Jorge Valdano an der Strafraumkante. Steve Hodge ging dazwischen und produzierte eine unglückliche Bogenlampe, die genau auf das Tor von Peter Shilton zuflog.

Der englische Keeper erkannte die Situation und eilte aus seinem Kasten, um das Leder abzufangen. Der nur 1,67 Meter große Maradona hatte im Luftkampf gegen den fast 20 Zentimeter größeren Shilton eigentlich keine Chance. Eigentlich. Die Nummer 10 sprang hoch, riss den linken Arm in Höhe und beförderte das Leder mit seiner Hand über den Keeper ins Netz. Ein Skandal.

Das 1:0 im Video:

Die "Hand Gottes"

Die Briten waren außer sich. Sie rannten wie von der Tarantel gestochen auf Schiedsrichter Ali Bin Nasser, doch der blieb bei seiner Meinung und gab den Treffer. "Es war ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf", gab der Spielmacher hinterher zu Protokoll. Von Reue oder gar Einsicht keine Spur.

Seine Mitspieler hatten das Handspiel genau erkannt und gratulierten Maradona nur sehr zurückhaltend. Sie bezeichneten das Tor als "geraubtes Tor", doch "Dieguito" entgegnete ihnen: "Wer einen Räuber beklaut, dem wird 100 Jahre lang vergeben." Er sah in seiner Unsportlichkeit eine Art Rache für den Falklandkrieg, den die Argentinier vier Jahre zuvor gegen Großbritannien verloren hatten.

Argentinien nicht zu stoppen

Nach dem 1:0 erhöhte Argentinien noch einmal die Schlagzahl und Maradona lief zu absoluter Höchstform auf. Nur drei Minuten nach der Führung setzte er zu einem historischen Sololauf an, der für immer in Erinnerung bleiben sollte. Er umkurvte nahezu die komplett englische Elf wie Slalomstangen, drang in den Strafraum ein, düpierte Shilton mit einer Körpertäuschung und erzielte das "WM-Tor des Jahrhunderts" zum 2:0.

Den Engländern gelang durch Lineker nur doch bedeutungslose Ergebniskosmetik. Die Gauchos schwebten fortan auf einer Welle, eliminierten zunächst Belgien im Halbfnale und gewannen auch das Endspiel gegen Deutschland mit 3:2. Argentinien hatte seinen zweiten Weltmeistertitel, Maradona seinen Platz in den Geschichtsbüchern und seine ganz persönliche Rache an England.

Das "WM-Tor des Jahrhunderts" im Video:

Thomas Eßer