10.07.2014 12:23 Uhr

Kommentar: Kein Sechser im Lotto

Nach dem Elferkrimi gegen Costa Rica hat sich Louis van Gaal für sein goldenes Händchen feiern lassen. Dass die Niederlande jetzt gegen Argentinien vom Punkt ausschieden, schieben viele dem Bondscoach in die Schuhe. Doch geht die Diskussion nicht am Thema vorbei?

Elfmeterschießen ist eine Lotterie. Es ist reine Glückssache. Zumindest meistens. Kleinigkeiten entscheiden darüber, ob ein Elfer hinterher als "souverän verwandelt" oder als "grottenschlecht geschossen" gilt.

Die gechippte Panenka-Variante ist genial und abgezockt - wenn das Ding denn drin ist. Bleibt der Keeper aber stehen und fängt das Leder, gilt der Schütze als arrogant und überheblich. Schießt ein Spieler flach einen Meter links von der Mitte, nennen das alle "eiskalt", wenn der Torhüter in die andere Ecke hüpft. Ist letzterer jedoch dran, war es der schlechteste Elfer, den man schießen kann.

"Lieber 1:7 als Elfmeterschießen"

Es ist ein simples Prinzip. Und eben weil es so simpel ist, kann es absolut brutal sein. "Wir hätten lieber 1:7 verloren, als im Elfmeterschießen auszuscheiden", sagte Bondscoach Louis van Gaal nach dem bitteren Halbfinal-Aus gegen Argentinien.

Der knurrige Trainerfuchs gilt schon lange als Gegner der Entscheidung durch Elfmeterschießen. Schon in seiner Zeit bei den Bayern machte er Schlagzeilen, als er stattdessen Gladiatorenspiele forderte.

Und doch hat sich van Gaal nach dem Weiterkommen gegen Costa Rica für sein goldenes Händchen feiern lassen. Kurz vor Ende der Verlängerung hatte er Keeper Jasper Cillessen durch seinen Ersatzmann Tim Krul ersetzt – und die Maßnahme griff: Krul hielt zwei Elfer und war der gefeierte Held. Nein, Moment: Van Gaal war der gefeierte Held. Wie immer stellte er sich vor die Mikros und betonte seinen eigenen Anteil am Halbfinaleinzug. Er war derjenige, der die Lotterie entscheidend beeinflusst hatte. Zumal Krul vorher nicht gerade als Elferkiller bekannt war (in der Premier League hatte er nur zwei von 20 Elfern entschärft).

Cillessen verbrannt?

Genau diese Selbstbeweihräucherung schlägt van Gaal jetzt voll ins Gesicht! Gegen Argentinien hatte er schon alle drei Wechsel aufgebraucht und musste notgedrungen Jasper Cillessen vertrauen, im Elferschießen die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Es kam, wie es kommen musste: Cillessen hielt keinen der vier Elfmeter, Oranje schied aus.

Wer sich als Reiter des höchsten aller Rosse positioniert, muss sich hinterher auch der Kritik stellen. Der Tenor: Der Bondscoach habe Cillessen verbrannt, ihm durch die Degradierung im Spiel gegen Costa Rica jegliches Selbstvertrauen genommen. Jetzt habe dieser unter einem unmenschlichen Druck gestanden, allen zu zeigen, dass er auch Elfer halten könne – das konnte nicht gut gehen. Zugegeben, diese Schlussfolgerung liegt nahe!

Besonders die Tatsache, dass van Gaal die Aktion im Costa-Rica-Spiel nicht mit seiner Nummer eins abgesprochen hatte, spricht nicht gerade für gute Menschenführung. Und klar ist auch: Auf die Sprünge geholfen hat er Cillessens Selbstbewusstsein damit nicht. Aber ist das die ganze Wahrheit?

Gute Leistung – aber kein Glück

Fakt ist, dass Cillessen mit diesem Nackenschlag hervorragend umgegangen ist und gegen Argentinien ein starkes Spiel gemacht hat. Er hat jederzeit Sicherheit ausgestrahlt und  nicht aus dem Spiel heraus gepatzt. Auch vor dem Elferschießen wirkte er nicht übermäßig nervös, brach nicht etwa in Tränen aus wie beispielsweise Brasiliens Julio Cesar gegen Chile.

Grundsätzlich darf man kritisch fragen, ob ein Keeper überhaupt für ein Elferschießen verbrannt werden kann. Er entscheidet sich für eine Ecke, springt – und mit etwas Geschick, vor allem aber Glück hält er den Ball. Dieses Glück hatte Cillessen nicht. An Maxi Rodriguez‘ Elfer etwa war er dran und doch fiel das Leder über die Unterkante der Latte ins Tor. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob Krul dieses Glück gehabt hätte.

Die Geschichte lässt durchaus Rückschlüsse auf den Charakter van Gaals zu, auf seine Menschenführung. Die Diskussion, ob er Cillessen verbrannt hat, ist aber eine Scheindiskussion. Man könnte argumentieren, dass ein Elferschießen im Kopf entschieden wird, aber letzten Endes bleibt es dabei: Es ist eine Lotterie. Und diesmal hatte Oranje keinen Sechser…

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Jochen Rabe