25.07.2014 16:41 Uhr

Boom vs. Stagnation: Soccer am Scheideweg

"Experience Greatness" – unter diesem Motto steht der International Champions Cup in den USA, der einige der größten Klubs der Welt zu einem Schaulaufen der Superstars versammelt. Doch kann das Turnier den US-Soccer auch nach der WM am Leben halten? Oder braucht es dafür Stars in der eigenen Liga? weltfussball schildert die Lage jenseits des Atlantiks.

Die Weltmeisterschaft ist gelaufen, Europa stellt sich allmählich auf die neue Saison ein. Während die kleineren Vereine schon mitten in der Vorbereitung stecken, wird es nun auch für die Topvereine ernst. Kommende Woche steigen die letzten WM-Helden ins Training ein, um sich für die neue Spielzeit zu rüsten.

Die Saisonvorbereitung stellte in den vergangenen Jahren für Europas Topklubs ein zweischneidiges Schwert dar: Einerseits wollte man sich konditionell für die nächste lange und kräftezehrende Saison rüsten, andererseits den finanziell nicht zu vernachlässigenden Aspekt des Club-Marketings nutzen und durch Übersee-Reisen die Werbetrommel rühren. Lange Flüge und niveauarme Partien in exotischen und oft nur halbgefüllten Spielstätten waren der Alptraum eines jeden Trainers und konnten nur durch aufwändige Entschädigungszahlungen ermöglicht werden.

Neben Asien galten insbesondere die USA als unerschöpflicher Vermarktungspool und Mega-Sponsor der Zukunft. Immer wieder heuerten die Großklubs im Land der unbegrenzten Möglichkeiten an, um sich aber letztlich doch nur lustlos über den Platz zu schleppen und mit vollen Geldkoffern die Heimreise anzutreten.

Werbung für den Fußball statt Werbung für Vereine

Doch dieses Bild scheint allmählich der Vergangenheit anzugehören. Die Organisatoren reagierten auf die Kritik der Vereine und stellten den Klubs sowohl exzellente Trainingsbedingungen als auch einen echten und interessanten Wettbewerb zu Verfügung, in dem sich die vor Ort versammelten Spitzenteams untereinander messen können, anstatt gegen regionale Auswahlen unterfordert zu sein. Der im letzten Jahr auf die Beine gestellte International Champions Cup hat das Ziel, neben simpler Vereinsvermarktung auch wieder das Sportliche in den Mittelpunkt zu rücken und die Teams in ihrer Saisonvorbereitung zu fördern statt zu hemmen.

"Die Trainer sehen, dass sie neben professionellen Trainingsbedingungen auch einen sportlich herausfordernden Wettkampf bekommen. Es geht wieder mehr um den Fußball", stellt ICC-Organisator Charlie Stillitano die Vorteile der überarbeiteten Vermarktungs-Struktur heraus. Die Werbung bleibt dabei jedoch nicht auf der Strecke, sondern wird durch die Professionalität der auftretenden Vereine nur noch mehr gefördert, "sodass die kommerzielle Seite Hand in Hand mit dem Fußball geht." Das beeindruckt auch die Fans in den USA, die seit der Weltmeisterschaft auf einer Welle der Euphorie schwimmen und einen "Soccer-Boom" heraufbeschwören, wie er seit Jahren erwartet wird.

Beim International Champions Cup messen sich acht europäische Topvereine zunächst in zwei Gruppen, deren Sieger im Finale um den Turniersieg spielen. Bereits jetzt wird mit einer Verdopplung der Zuschauerzahlen im Vergleich zum letztjährigen Turnier gerechnet. Als Hauptattraktion der Vorrunde gilt dabei insbesondere das Duell zwischen Manchester United und Titelverteidiger Real Madrid, für das am 2. August im Michigan Stadium mit etwa 110.000 Zuschauern gerechnet wird – es wäre ein neuer Zuschauerrekord für ein Fußballspiel in den Vereinigten Staaten.

Die heimische Liga im Schatten des Mega-Events WM

Doch kann sich diese Fußball-Euphorie zwischen Big Apple und Golden Gate Bridge auch über den ICC hinaus halten? Pessimisten glauben, dass mit Abreise der großen Weltstars auch das Interesse für den Soccer erlischt. Bereits während der WM in Brasilien stellte die USA Today, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen im Land, fest, dass es beim viel gerühmten WM-Fieber um das Team von Jürgen Klinsmann "mehr um Patriotismus als um Soccer" ginge. "Wir verlieben uns in das Team und in den Sport und den Moment. Aus Nationalstolz heraus. Es ist Nationalismus. Das sind unsere Jungs. Deswegen interessieren wir uns für sie."

Wird aus den aus aller Welt versammelten "verlorenen Söhnen" beim World Cup wieder die durchschnittliche Truppe aus der MLS, könnte aus dem Boom ganz schnell wieder Alltag werden – wie nach den vergangenen drei Weltmeisterschaften, in denen die US-Boys jeweils mehr oder weniger überraschend die Vorrunde überstanden, danach aber wieder für vier Jahre aus dem Blickfeld verschwanden und allenfalls Achtungserfolge hinter den großen Sportarten American Football, Basketball und Baseball zu verbuchen hatten.

Große Namen als Zuschauermagnet?

Um der Stagnation Einhalt zu gebieten, flüchten sich die Franchise-Vereine erneut in große Investitionen. Es sollen wieder Weltstars her, um das Zuschauerinteresse hoch zu halten und zumindest ansatzweise das Gefühl zu vermitteln, die MLS sei als Fußball-Ableger der NFL oder NBA ein Sammelsurium der besten Spieler der Welt.

Insbesondere die ab der nächsten Spielzeit im Frühjahr 2015 an den Start gehenden "Unternehmen" Orlando City und New York City FC scheinen es wissen zu wollen. Letzterer Klub gehört mehrheitlich der "City Football Group", welche auch die Geschicke beim europäischen Spitzenklub Manchester City lenkt. Er verfolgt offen das Ziel, nicht nur der innerstädtischen Konkurrenz der New York Red Bulls um Thierry Henry, sondern der gesamten Liga den Rang abzulaufen. Nachdem Ex-Weltfußballer Kaká in Orlando unterschrieb, zog NYC FC mit Chelsea-Legende Frank Lampard nach, und auch Welt- und Europameister Xavi soll kurz vor der Unterschrift an der US-Ostküste stehen. Zuvor hatte bereits Spaniens Rekordtorschütze David Villa im "Big Apple" unterschrieben.

Große Namen für eine große Liga, für eine "Fußballnation"? Spätestens im nächsten Jahr wird abzusehen sein, ob die US-Amerikaner den Fußball lediglich als alle vier Jahre wiederkehrende, willkommene Abwechslung erachten oder sich der beliebteste Sport der Welt auch im fortschrittlichsten Land des Globus etablieren kann.

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Johann Mai