20.09.2014 09:50 Uhr

AC Milan: Der "Pippo-Effekt"

Milans neuer Trainer Filippo Inzaghi
Milans neuer Trainer Filippo Inzaghi

Nach jahrelanger Erfolglosigkeit startete der einstige italienische Vorzeigeklub Italiens stark in die neue Saison der Serie A. Maßgeblichen Anteil an diesem Aufschwung hat der neue Trainer Filippo Inzaghi. Doch der Weg zurück zu einem echten Topteam ist lang und die Milan-Legende hat auch mit Widrigkeiten zu kämpfen.

Überraschend kam die Nachricht Anfang Juni 2014 für niemanden in Mailand mehr. Wochenlang hatten es die Spatzen von den Dächern gepfiffen, nun wurde es offiziell: Filippo "Pippo" Inzaghi löste seinen langjährigen Teamkameraden Clarence Seedorf auf der Trainerbank Milans ab. Echte Aufbruchsstimmung erzeugte das "Bäumchen-wechsle-dich" der Vereinslegenden bei den seit fast drei Jahren titellosen Rossoneri allerdings nicht.

Zwar hatte es der erst im Januar verpflichtete Seedorf trotz einer ordentlichen Rückrunde nicht geschafft, das schwächste Abschneiden Milans in der Liga seit 16 Jahren zu verhindern. Doch Nachwuchstrainer Inzaghi - mit mehr als 200 Toren für die Mailänder immerhin einer der ganz Großen der Klubgeschichte - galt vor allem als preiswerte interne Lösung des klammen Klubs.

In wenigen Wochen zum Hoffnungsträger

Nur gut drei Monate später hat sich die öffentliche Meinung gewandelt: Nach zwei Siegen in den ersten beiden Ligaspielen ist Milan Spitzenreiter der Serie A – zum ersten Mal seit Frühjahr 2012. Inzaghi und seine Mannschaft haben damit rund um San Siro auch endlich wieder Hoffnung auf bessere Zeiten und neue Erfolge entfacht.

Vor allem der spektakuläre 5:4-Erfolg am vergangenen Wochenende in Parma ließ die Herzen der Tifosi höher schlagen. Und auch Inzaghi zeigte sich nach der Partie begeistert von seinen Schützlingen. "Wir müssen uns noch steigern, aber wir haben unglaubliche Tore geschossen", sagte der frühere Weltklassestürmer. "Alle meine Spieler waren fantastisch."

Die Highlights vom Schützenfest in Parma:


 

Ein neues System und psychologische Aufbauarbeit

An dem überraschend guten Saisonstart hat der Trainernovize selbst entscheidenden Anteil. In Abwesenheit der noch verletzten neuen Sturmhoffnung Fernando Torres setzte Inzaghi sowohl in Parma als auch eine Woche zuvor beim Heimsieg gegen Lazio auf ein 4-3-3-System mit Neuzugang Jérémy Ménez als "falsche Neun". Der Franzose zahlte das Vertrauen mit bislang drei Treffern zurück.

Neben diesem taktischen Kniff glänzt Inzaghi seit seiner Amtsübernahme aber vor allem als Psychologe. Immer wieder impfte er seinen Spielern ein, sich auf dem Platz für Mannschaft und Klub zu zerreißen – mit Erfolg. "Das ist der Geist von Milan", erklärte er im Anschluss an den intensiven Schlagabtausch mit Parma, bei dem die Mailänder 90 Minuten Powerfußball boten. "Ich weiß nicht, wo wir am Ende landen. Aber wir werden immer unser Bestes geben."

Immer noch viele Schwierigkeiten

Ob das allerdings wirklich für einen nachhaltig erfolgreichen Neuanfang des Traditionsvereins reicht, oder die positive Grundstimmung nach dem Trainerwechsel früher oder später verpufft, ist noch nicht abzusehen. Denn bei aller Zuversicht sieht sich auch der neue Mann an der Seitenlinie mit altbekannten Problemen konfrontiert.

Hinter den Kulissen schwelt nach wie vor der Zwist zwischen der als Geschäftsführerin installierten Berlusconi-Tochter Barbara und dem mächtigen Vizepräsidenten Adriano Galliani. Die finanzielle Situation des in dieser Saison nicht einmal mehr im Europapokal vertretenen Klubs lässt auf absehbare Zeit keine großen Sprünge auf dem Transfermarkt zu. Top-Talente aus dem eigenen Nachwuchs sind ohnehin seit Jahren Mangelware.

Vorsprung der Konkurrenz ist groß

Obwohl die Rossoneri momentan punktgleich mit den beiden aktuell stärksten italienischen Teams Juventus und AS Roma sind, scheinen zumindest diese Konkurrenten – und damit auch die direkte Champions-League-Qualifikation oder gar der Scudetto – in der nahen Zukunft noch außer Reichweite zu sein. Zu überlegen sind Finanzkraft und Spielermaterial der Klubs aus Turin und Rom.

Ins Spitzenduell mit der "Alten Dame" am kommenden Samstag (ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker) geht Milan jedenfalls als Außenseiter. "Gegen Juventus müssen wir ein perfektes Spiel machen", weiß auch Inzaghi. "Sie sind das stärkere Team, aber im Fußball weiß man nie." Ein Überraschungscoup gegen den Abonnementmeister der letzten Jahre würde die zarten Hoffnungen der Mailänder auf eine sportliche Renaissance endgültig in Euphorie umschlagen lassen – und den "Pippo-Effekt" zumindest verlängern.

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Tobias Knoop