02.11.2014 10:00 Uhr

Manchester United: Eine Frage der Geduld

Louis van Gaal polarisiert wie eh und je
Louis van Gaal polarisiert wie eh und je

Nach einem Viertel der Saison hat Manchester United oberflächlich noch keinen Schritt nach vorne gemacht: Die Red Devils hängen vor dem Stadtderby gegen City im Mittelfeld der Tabelle fest. Ein Zwischenfazit zur Entwicklung unter Louis van Gaal.

Wieder kein Sieg. Wieder eine Chance verpasst, in der Tabelle weiter nach oben zu klettern. Und doch zieht Louis van Gaal nach dem Remis ein positives Fazit: "Ich habe gesehen, dass wir eine Chance hatten. Das ist eine Spitzenmannschaft und wir waren auf Augenhöhe – mindestens", gibt sich der Niederländer selbstbewusst.

Dass van Gaal die nächste Punkteteilung seiner Ägide als Trainer von Manchester United nicht als Rückschlag, sondern als Schritt nach vorne bezeichnet, hat einen Grund: Der Gegner hieß nicht wie bei bisherigen Patzern Leicester City (3:5), Burnley (0:0) oder West Bromwich Albion (2:2), sondern Chelsea, der souveräne Tabellenführer.

Mithalten mit den Großen?

Nach einem durchwachsenen Saisonstart war Chelsea das erste Schwergewicht, gegen das sich die Red Devils beweisen mussten. Deswegen das positive Fazit: Man kann mithalten mit den ganz Großen.

Die Zahlen und Fakten spiegeln diesen Eindruck momentan nicht wirklich wider: United rangiert trotz eines vermeintlich einfachen Auftaktprogramms auf Rang acht, die Tabellenspitze hat man bereits schon aus den Augen verloren. Nach dem peinlichen Ausscheiden im League Cup (0:4 gegen die Milton Keys Dons) ist zudem bereits die erste Titelchance der Saison futsch.

Die Presse kritisiert – das Umfeld lobt

Schon jetzt macht Louis van Gaal das, was er bei jeder seiner Stationen gemacht hat: Er polarisiert. "Du bist noch schlechter als Moyes", spottete die "Sun" im Anschluss an das 3:5-Debakel gegen Leicester. Öffentlich wurde van Gaal schon mehrfach schon angezählt. Dieser blieb ruhig. Er glaubt an seinen Weg und appelliert immer wieder an die Geduld der Fans und des Umfeldes.

Wichtiger als die Stimme der Presse ist für ihn ohnehin die Meinung seiner Spieler. Und die ist positiv: "Er ist perfekt darin, eine Mannschaft zusammenwachsen zu lassen. Er kann ein Kollektiv und einen Mannschaftsgeist formen, mit dem man Spiele gewinnen kann", sagte etwa Neuzugang Daley Blind, der van Gaal schon von der niederländischen Elftal kennt. Auch Wayne Rooney lobte, "wie aufmerksam dieser unglaubliche Trainer auf Details achtet."

Selbst der Mann mit der wohl gewichtigsten Meinung im United-Umfeld schlägt sich auf van Gaals Seite: "Er hat viel verändert, aber es ist der richtige Schritt, erst mal klar Schiff zu machen und sich eine eigene Mannschaft zusammenzubauen", sagte Sir Alex Ferguson.

Auf System-Suche

In der Tat ist van Gaal bekannt dafür, seine eigene Spielidee zu haben und sie konsequent durchzusetzen. Die Konstanten des van Gaal'schen Spiels: viel Ballbesitz, Pässe in Dreiecken, penible Besetzung jedes Raumes auf dem Spielfeld. So wichtig er sich selbst nimmt, so stur er manchmal gegenüber den Journalisten wirkt, so flexibel kann er auch sein. Sein Fundus an taktischen Überlegungen ist riesig, Spielweise und System passt er häufig individuell an sein Spielermaterial an. Einen individuellen Charakter und ein eigenes System zu entwickeln, braucht allerdings vor allem zwei Dinge: Zeit und Geduld.

Wie in der Anfangsphase bei Bayern München ist van Gaal auch derzeit in einer Findungsphase und testet veschiedene Varianten. Sein bevorzugtes 3-5-2 hat er zu Saisonbeginn ausprobiert und ist damit verheerend baden gegangen. Für das System mit Dreierkette fehlen dem Niederländer die flexiblen Außenspieler.

Also stellte er auf ein 4-4-2 mit Raute um, auch ein 4-2-3-1 (einst war er ein Pionier für dieses System in der Bundesliga) und ein 4-3-3 hatte er bereits im Repertoire. Seitdem er von der Dreierkette abgerückt ist, ist auch eine steigende Tendenz zu erkennen, zuletzt blieb man immerhin viermal ungeschlagen.

Vor allem die defensive Balance hat das Team allerdings noch nicht gefunden, erst zweimal kassierte United keinen Gegentreffer. Ex-Spieler Andy Cole kritisiert: "Seine Philosophie scheint nicht zu beinhalten, wie man verteidigt – und das wird sein Untergang." Tatsächlich stimmen die defensiven Abläufe noch nicht, Schlüsselpositionen im Abwehrzentrum (Marcos Rojo) oder im defensiven Mittelfeld (Daley Blind und Ander Herrera) sind mit Neuzugängen besetzt, die noch Zeit brauchen, um sich an das Tempo der Premier League zu gewöhnen. Nur den teilweise sensationellen Leistungen von Torhüter David De Gea ist es zu verdanken, dass United nicht schon mehr als 13 Gegentreffer kassierte.

Tormaschine läuft langsam heiß

Während die Defensive das große Sorgenkind ist, läuft die Tormaschine langsam heiß. Vor allem Rekord-Neuzugang Angel Di María hat voll eingeschlagen. Mit drei Toren und vier Vorlagen in sechs Spielen ist der Argentinier der Topscorer der Red Devils. Von seinem Schwung profitieren auch Robin van Persie und Radamel Falcao, deren Formkurven nach oben zeigen.

Die zentrale Figur der United-Offensive ist und bleibt jedoch Wayne Rooney. Die Nummer 10 ist unter van Gaal zum Kapitän aufgestiegen, im Angriff unumstritten und strahlt ständig Torgefahr aus.

Pünktlich zum Derby gegen City kommt der 29-Jährige nach abgesessener Sperre zurück ins Team. Eine wichtige Personalie: Seit Rooney für United kickt, hat die Mannschaft ohne ihn kein Stadtderby mehr gewonnen. Zudem ist der bullige Angreifer der Rekordtorschütze in Manchester-Derbys (11 Treffer).

Initialzündung gegen City?

Mit Rückkehrer Rooney kann die Saison jetzt richtig losgehen. Und sie muss es auch, denn den Red Devils steht ein heißer Herbst bevor: Mit City, Arsenal, Southampton und Liverpool geht es in den nächsten Wochen beinahe gegen die gesamte Spitzengruppe. Perspektiven sind durchaus noch da: Zwar ist Chelsea an der Spitze bereits zehn Punkte weg, das Saisonziel Königsklasse liegt mit nur drei Punkten Abstand allerdings noch in Reichweite. Um sich festzusetzen, braucht United jetzt aber langsam Stabilität und möglichst eine Serie.

Auch bei den Bayern ging es in van Gaals Auftaktsaison erst im Spätherbst mit einer Siegesserie so richtig los, ein 4:1-Sieg gegen Juventus war damals die Initialzündung. Auf eine solche hofft Louis van Gaal jetzt ausgerechnet im prestigereichen Stadtderby gegen die derzeit angeschlagenen Citizens. Dann will sich der Niederländer gerne wieder vor die Mikrofone stellen und betonen, dass man mit den ganz Großen mithalten könne. Doch wird er sicher auch auf eines wieder verweisen: Alles ist eine Frage der Geduld.

Mehr dazu:
>> Alves: Vorvertrag bei Manchester United?
>> United: Van Gaal rüffelt van Persie
>> Falcao will "viele Jahre in Manchester"

Jochen Rabe