29.11.2014 11:23 Uhr

Spätstarter auf der Überholspur

Southamptons Torjäger Graziano Pellè darf ausgiebig jubeln
Southamptons Torjäger Graziano Pellè darf ausgiebig jubeln

Lange hat es gedauert, bis die breite Fußballöffentlichkeit von der Existenz des Graziano Pellè erfahren hat. Nach seinem späten Durchbruch möchte er nun offenbar schnell alles nachholen, was ihm die schillernden Angreifer des Weltfußballs jahrelang voraus hatten - auf und neben dem Platz. Tore wie am Fließband, ein Transfer im zweistelligen Millionenbereich, die erste Nationalmannschaftsnominierung, ein eigenes Buch, jede Menge Schlagzeilen und ein Hype um die etwas eigenwillige Retro-Frisur - und das alles in nicht einmal zwei Jahren.

Der Spätstarter prescht voran und zieht seinen Verein mit, er ist das Gesicht des Erfolgs des FC Southampton. Der südenglische Klub steht derzeit sensationell auf dem zweiten Platz der Premier League, obwohl er nach dem wohl größten Ausverkauf der Vereinsgeschichte im Sommer eher als Abstiegs- denn als Champions-League-Kandidat gehandelt wurde. Mindestens genauso bemerkenswert wie der Höhenflug der Saints ist die Erfolgsgeschichte des Angreifers, an die selbst die Familie irgendwann nicht mehr so richtig hatte glauben können.

Als sich der Sohn einer Tanzlehrerin zunächst einmal gegen das Parkett und für den grünen Rasen entschieden hatte, lief es zunächst gut an. Im Alter von 18 Jahren debütierte der großgewachsene Mittelstürmer für Lecce in der Serie A, kam zu weiteren sporadischen Einsätzen und wurde in die höchsten italienischen Nachwuchsmannschaften berufen. Der Durchbruch aber blieb Pellè verwehrt, immer wieder wurde er im Halbjahresrhythmus bei verschiedenen Zweitligisten geparkt.

Flucht in die Niederlande

Nach zwei Jahren wurde es dem Angreifer zu viel. Um sich irgendwo dauerhaft zu behaupten, verließ der Italiener seine Heimat in Richtung Niederlande. Beim AZ Alkmaar fand er zwar für vier Jahre ein neues Zuhause, feierte unter Trainer Louis van Gaal eine Meisterschaft und schoss das eine oder andere Tor. Richtig überzeugen konnte Pellè indes nur selten. Acht Jahre nach seinem vielversprechendem Debüt zog es ihn zunächst wieder zurück nach Italien, ehe er schließlich mit seinem zweiten Engagement in den Niederlanden den lange ersehnten großen Wurf landen konnte.

Unter Trainer Ronald Koeman schlug der mittlerweile 27-Jährige bei Feyenoord ein. In seiner ersten Saison schoss er 27 mitunter sehenswerte Treffer, wurde damit zum Publikumsliebling und schaffte es mit seiner Frisur als Vorbild für diverse Youtube-Tutorials. Pellè wurde zum Star in den Niederlanden und befindet sich damit in der guten Gesellschaft von großen Namen wie Ronaldo, Luis Suárez oder Zlatan Ibrahimović, die über den Umweg Eredivisie ihren Durchbruch schafften. "Hätte er van Gaal und Koeman nicht getroffen, wäre mein Sohn wahrscheinlich Tischler geworden oder würde nun mit mir im Wagen sitzen und Kaffee verkaufen", erklärte Vater Roberto Pellè kürzlich in der Gazzetta dello Sport.

Schöner als Cristiano Ronaldo

Es kam anders. Statt Kaffee verkaufte er bald eigene Bücher, in denen er Fragen beantwortet, die sich der Fan so stellt, beispielsweise welcher Schauspieler ihn am besten verkörpern würde: George Clooney, natürlich! Oder ob er attraktiver als Cristiano Ronaldo ist. "Ich sehe besser aus. Cristiano schaut schon gut aus, aber ich bin noch ein bisschen größer", analysiert er im Buch. Schnell wird klar: An Selbstbewusstsein mangelt es dem Angreifer, der sich gerne auch mit Zlatan Ibrahimović vergleicht, nicht. Auf wie neben dem Platz präsent, überzeugte Graziano Pellè auch in seiner zweiten Saison bei Feyenoord, sodass Ronald Koeman ihn im Sommer diesen Jahres direkt mit in die Premier League nahm.

Nur wenige Tage nachdem er als neuer Trainer in Southampton vorgestellt wurde, präsentierte er seinen Schützling als Neuzugang der Saints. Rund zehn Millionen Euro legte der Klub für den 29-Jährigen hin, der einen anderen, von den Fans liebgewonnenen Spätzünder ersetzen sollte: Rickie Lambert. Entsprechend groß war die Skepsis unter den Anhängern, die im Sommer eine Menge Spieler kommen und gehen sahen. Doch der Italiener machte auch in der Premier League einfach dort weiter, wo er in der Eredivisie aufgehört hatte: Bereits neun Saisontore hat Pellè bisher für seinen neuen Arbeitgeber schon geschossen und wurde im September in der Liga zum Spieler des Monats gewählt.

Besser spät als nie: In die Squadra Azzurri getanzt

Dabei ist es nicht nur die Trefferquote, die seine Karriere weiter vorantreibt. Mit einer Größe von 1,93 Meter ist der Mittelstürmer robust genug, um sich gegen die Verteidiger in der Premier League durchzusetzen. Wer angesichts der Statur einen grobschlächtigen Knipser erwartet, wird allerdings überrascht: Der Italiener bewegt sich durchaus geschmeidig über den Rasen, kann mit beiden Füßen sowie mit dem Kopf abschließen und ist für die eine oder andere artistische Einlage gut - es mögen die vielen Tanzstunden aus Kindheitstagen sein, die ihm nun auch auf dem Fußballplatz zugute kommen.

Der gute Eindruck, den er dort hinterlässt, hat Graziano Pellè schließlich im Alter von 29 Jahren auch in die Nationalelf befördert. Im Oktober debütierte er in der Squadra Azzurra im EM-Qualifikationsspiel gegen Malta - und brauchte gerade mal 23 Minuten, um das einzige Tor des Abends zu schießen. Warum auch Zeit verlieren, wenn die Karriere so richtig erst im gesetzteren Fußballeralter begonnen hat?

Tipp: weltfussball berichtet Sonntag live vom Spitzenspiel zwischen Pellès Southampton FC und Manchester City

Maike Falkenberg