23.01.2015 11:50 Uhr

"Il Dio" Ocwirk: Der Wiener Weltkapitän

Ernst Ocwirk während seiner Trainertätigkeit beim 1. FC Köln
Ernst Ocwirk während seiner Trainertätigkeit beim 1. FC Köln

Am 23. Jänner 1980 verstarb Ernst Ocwirk im Alter von nicht einmal 54 Jahren. Seine schwere Erkrankung soll dem zweifachen Kapitän der FIFA-Weltauswahl die skrupellose Dopingpraxis im italienischen Fußball der 1950er eingebracht haben.

Ernst Ocwirk hat einen Höhepunkt seiner großen Fußballerkarriere vermutlich mit dem Leben bezahlt. Sie hatte den Floridsdorfer auch nach Italien geführt. Bei Sampdoria verdiente sich Ocwirk zwischen 1956 und 1961 nicht nur den ehrenvollen Beinamen "Il Dio" (Gott), er lernte auch die Schattenseite des Sports kennen. Denn schon damals war Doping kein Fremdwort.

Einmütig ließen sich die Sampdoria-Kicker von verantwortungslosen Ärzten Spritzen verabreichen. Eine ungewöhnliche Häufung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) bei der zu dieser Zeit in Italien engagierten Kicker-Generation gilt vielen Experten als Beleg für die exzessive Dopingpraxis. Neben Ocwirk starben auch zwei seiner Teamkollegen an ALS. Die Zahl der Erkrankungen bei den damaligen Profifußballern soll sechsmal höher als bei der Durchschnittsbevölkerung liegen. Ein wissenschaftlich haltbarer Zusammenhang konnte jedoch bis heute nicht bewiesen werden.

Die Krankheit gilt nicht nur als unheilbar, sondern zieht auch einen besonders qualvollen Tod nach sich. Am 23. Jänner 1980 hatte Ocwirks schweres Leiden ein Ende, er wurde nicht einmal 54 Jahre alt. Österreichs Fußball trauerte um einen seiner prominentesten Vertreter.

Trauertag für violett und rot-weiß-rot

Die Karriere des Ernst Ocwirk begann beim FC Stadlau im Jahr 1939. Im selben Jahr – ebenfalls am 23. Jänner – war mit Matthias Sindelar der Mittelstürmer und das Aushängeschild des legendären Wunderteams auf etwas mysteriöse Art und Weise an einer Kohlenmonxydvergiftung verstorben, die Spekulationen reichten von Unfall bis (Selbst)Mord. Die Spieler vereint mehr als nur der viel zu frühe Tod. Beide führten die Austria und das österreichische Nationalteam zu großen Erfolgen. Ocwirk darf als legitimer Erbe von Sindelar gesehen werden, der dem Wiener Fußball einmal mehr zu großem Ruhm verhalf.

Mit 16 feierte Ernst Ocwirk noch als Stürmer sein Debüt im DFB-Pokal. Sein Klub Stadlau hatte kriegsbedingt mit dem Floridsdorfer AC fusioniert. Fünf Jahre später wechselte der nunmehrige Mittelläufer vom FAC zur Austria - im Tausch für neue Sitzreihen und den Bau von Umkleidekabinen. Fünf Mal wurde "Ossi" mit den Veilchen Meister, drei Mal Cupsieger.

Noch größere Erfolge feierte er auf internationaler Ebene. Österreichs Nationalteam wurde bei der WM 1954 in der Schweiz mit Ocwirk als Kapitän Dritter. Die damalige Enttäuschung ist bis heute das unerreicht beste Abscheiden des ÖFB bei einer Endrunde. Bereits 1952 hatte sich die Qualität Ocwirks auch über die Landesgrenzen herumgesprochen und so wählte ihn das Fachblatt "France Football" zum besten Fußballer der Welt. Sein weiter Pass, die ästhetische Ballbehandlung und die überragende Spielübersicht galten als Markenzeichen. 1953 und 1955 gab es mit der Kapitänschleife der FIFA-Weltauswahl die fußballerische Krönung.

Neue Ideen aus Italien

Mit dem Ende der Spielerlaufbahn folgte die Rückkehr zu Sampdoria, diesmal als Trainer. Außergewöhnliche Erfolge blieben in der Serie A aus, harter Abstiegskampf war angesagt. Zurück nach Wien brachte Ocwirk aus Italien den modernsten Stand im Profifußball: Harte Trainings, viel Disziplin und Augenmerk auf die Defensive. Sogar die Ernährung bestimmte der Trainer und saß dabei so mancher aus heutiger Sicht Torheit auf.

Vor dem Spiel bestand er nämlich auf ein Achterl Rotwein für die Spieler, Wasser gab es keines. "Das Training war für damalige Verhältnisse außergewöhnlich gut", erinnerte sich Ocwirks Schützling Josef Hickersberger anlässlich eines Themenschwerpunkts über den Außnahmespieler im Magazin "Ballesterer" (Externer Link). "Nur das Achterl Rotwein war eine Katasrophe, ich habe das nicht runtergebracht", so der spätere ÖFB-Teamchef.

Frühes Ende der Trainerlaufbahn

Mit Ernst Ocwirk auf der Bank holte die Austria zwei Meistertitel und einen Cupsieg. 1970/71 endete ein Engagement beim 1. FC Köln trotz Einzug ins DFB-Pokalfinale unglücklich. "Ossi" kam abermals nach Österreich zurück und übernahm diesmal mit der Admira jene Mannschaft, die ihn 1936 die Liebe zum Fußball entdecken ließ. 1973 beendete die damals in ihrer Form noch unerkannte Krankheit eine weitere Trainertätigkeit.

Lange wurde fälschlicherweise Multiple Sklerose als Todesursache genannt. Mittlerweile ist klar, dass Ocwirk tatsächlich an ALS litt. Erst 2014 erreichte das Wissen um die Krankheit durch die "Ice Bucket Challenge" eine wirklich breite Öffentlichkeit.

Kurz vor Ocwirks 35. Todestag war bei der Wahl zur FIFPro XI des Jahres 2014 für Österreichs unumstritten besten Fußballer der Gegenwart David Alaba übrigens kein Platz in der Weltauswahl. Das unterstreicht, wie hell der Stern von Ernst Ocwirk in seiner Epoche geleuchtet hat.

Sebastian Kelterer