19.02.2015 09:40 Uhr

ÖFB-Teamchef sucht nach "Spielverstehern"

So will man Marcel Koller nach Abschluss der EM-Qualifikation sehen
So will man Marcel Koller nach Abschluss der EM-Qualifikation sehen

Er hat Österreichs Fußball aus der internationalen Bedeutungslosigkeit geführt. Er soll die Nationalmannschaft zur EM 2016 nach Frankreich dirigieren. Er ist der beliebteste Schweizer zwischen Boden- und Neusiedler See. ÖFB-Teamchef Marcel Koller ist als sportlich Verantwortlicher auf der Betreuerbank der personifizierte rot-weiß-rote Hoffnungsträger.

Im Interview mit weltfussball spricht der 54-Jährige über seine Rolle als Trainer, Psychologe und "Menschenversteher". Koller ist beim Termin im ÖFB-Büro jederzeit wach und aufmerksam, wie man ihn kennt. Schon seine Augen spiegeln das wieder, was er wenig später ausspricht. Seine Blicke verraten, wie dieser Mensch tickt.

Der Händedruck des Teamchefs ist fest, beim Gespräch fühlt man sich wohl. Dieser Mann liebt es, über Fußball zu sprechen. Bei Sachen, die man gerne macht, gibt es mehr Spaß und Erfolg. Die halbe Stunde verrinnt wie im Flug. Als sich die Tür öffnet und es zurück auf den Gang Richtung Ausgang geht, steht plötzlich Andreas Herzog da.

Der österreichische Rekord-Internationale, der die Nationalmannschaft 1998 nach Frankreich schoss. Das letzte Turnier, bei dem das ÖFB-Team die sportliche Qualifikation schaffte. Wenn das kein Zeichen ist.

"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Herr Koller, sind Sie auch dieser Meinung?

Marcel Koller: Klar. Das ist sicher besser, als wenn man um den heißen Brei herumredet. Aber natürlich auch abhängig von der persönlichen Situation eines Menschen, wie privaten Schicksalsschlägen. Dann sollte man mit der Wortwahl sehr vorsichtig umgehen.

Also ist auch den österreichischen Fußball-Fans die Wahrheit zumutbar. Ihr Vorgänger als Teamchef meinte, dass Taktik überbewertet ist. Er verscherzte es sich mit arrivierten Spielern wie Alexander Manninger und Martin Stranzl, dazu wurde seit 1998 jede Qualifikation vergeigt. In diesem Zustand haben Sie das österreichische Nationalteam übernommen. Wie kommentieren Sie das?

Es ist nicht mein Stil, schlecht über meine Vorgänger zu sprechen. Jeder hat nach bestem Gewissen gearbeitet. Ich habe selbst in der Schweiz im Nationalteam gespielt und bin nicht immer gerne eingerückt. Mein Ziel war deshalb, eine gute Stimmung bei der Nationalmannschaft zu schaffen, denn dann ist eine bessere Leistung möglich. Das ist meine Überzeugung. Wenn du dich am Platz wohl fühlst und auch außerhalb, dann fällt es leichter, erfolgreich zu sein.

Aber reicht es, um ein Land, welches im Fußball zuletzt gewaltig ins Hintertreffen geraten ist, wieder in die richtige Spur zu bringen? Zu ihrer Zeit als Spieler war die Schweiz weniger erfolgreich. Österreich war hingegen bei der WM 1978, 1982 und 1990. Vereine wie die Austria, Rapid und Salzburg haben das Europacup-Finale erreicht. Mittlerweile hat sich das gewaltig gedreht: Die Schweizer Nati ist Stammgast bei WM und EM, dazu der FC Basel in der Champions League. Warum?

Die Schweiz hat einfach früher begonnen, systematisch Talente zu fördern. Man hat strukturiert gearbeitet. Es wurde ein Konzept erstellt, welches bis runter zu den Amateurvereinen geht. Die Investition in gute Trainer, welche die richtigen Talente finden können, hat sich bezahlt gemacht.

Österreich ist mit seiner Nachwuchsarbeit auch auf dem richtigen Weg. Das zeigt sich nicht nur an den Erfolgen der Nachwuchsteams, sondern auch daran, dass einige junge Spieler bei der Nationalmannschaft dabei sind. Aber man hat eben später begonnen und diese Entwicklung braucht Zeit.

Auch unter Ihnen brauchte Österreich noch Zeit. Die Qualifikation für die WM 2014 wurde nicht geschafft. Trotz einer 1:0-Führung und einer ganz starken Leistung über 45 Minuten beim Entscheidungsspiel in Schweden. Wie lange hat es an Ihnen genagt, beschäftigt Sie das verpasste Ziel noch?

Wir waren noch nicht so weit. Wir hatten noch nicht die Ruhe und die innere Überzeugung, die Leistung über 90 Minuten bringen zu können. Weniger reicht nicht. Das Team ist jetzt weiter, ruhiger und selbstbewusster. Trotzdem gilt es, daran weiter zu arbeiten. Wichtig ist, dass die Spieler auch lernen, dass sie auf Entwicklungen auf dem Platz reagieren.

Sie meinen auch mehr Eigenverantwortung der Spieler bei Fehlentwicklungen? Wenn sich ein Ibrahimović wie beim Spiel in Schweden plötzlich etwas weiter auf den linken Flügel fallen lässt, weil ihm der Verteidiger dorthin nicht nachläuft und er dann mit einer Flanke ein Tor vorbereitet?

Natürlich. Du kannst den Spielern vor der Partie und in der Pause in Ruhe etwas sagen. Aber wenn das Match läuft und ein volles Stadion eine gewaltige Lautstärke erzeugt, dann ist es ganz schwierig und oft gar nicht möglich, weil dich die Spieler nicht hören. Dann ist es gut, wenn du Spieler hast, die solche Änderungen erkennen und umsetzen können. Das ist aber einerseits ein längerer Prozess und dazu sind auch nicht alle Spieler in der Lage. Aber es gibt welche, die das können. Das ist natürlich auch eine Sache der Erfahrung.

Sie waren während Ihrer aktiven Karriere ein Spieler, der eine Partie "lesen" konnte. "Marcel Koller hat schon damals wie ein Trainer gedacht", so werden Sie von ehemaligen Kollegen beschrieben. Waren Sie als Fußballer unterfordert?

(lacht) Ich habe schon mit 26 Jahren meine Trainerausbildung gemacht. Damals waren die Trainingseinheiten noch nicht so strukturiert und präzise wie heute, da haben wir manchmal einfach 10 gegen 10 d´rauf los gespielt.

Leo Beenhakker bei den Grasshoppers und Roy Hodgson bei der Schweizer Nationalmannschaft haben mich dann sehr beeindruckt, weil diese ein sehr 'positions-spezifisches' und strukturiertes Training umgesetzt haben. Die Vorteile ihrer unterschiedlichen Systeme mit 3-4-3 und 4-4-2 waren ein Schlüsselerlebnis für mich.

Und dann wurden Sie auch noch spielender Co-Trainer. Wie ist es dazu gekommen?

Ich erlitt 1991 einen Schienbeinbruch und bin 18 Monate ausgefallen. Dann habe ich als Co-Trainer bei Leo Beenhakker arbeiten dürfen und zudem auch als Coach der C-Jugend.

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Anmerkung: Marcel Koller untertreibt. Am 24. Juli 1991 erlitt der damalige Grasshoppers-Schlüsselspieler in der Partie gegen Aarau bei einer Attacke seines ehemaligen Vereinskollegen Roger Wehrli einen doppelten offenen Schien- und Wadenbeinbruch. "Das verfolgt dich ein ganzes Leben lang", meinte Wehrli noch Jahrzehnte danach in Erinnerung an die folgenschwere Szene. "Sein entsetzliches Schreien liegt mir noch heute in den Ohren."

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Freitag folgt Teil zwei des Interviews von weltfussball mit Marcel Koller

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Christian Tragschitz