15.05.2015 08:00 Uhr

Europacup-Finaljubiläum für den SK Rapid

Hans Krankl von Rapid und Kevin Ratcliffe von Everton beim Wimpel-Tausch vor Spielbeginn
Hans Krankl von Rapid und Kevin Ratcliffe von Everton beim Wimpel-Tausch vor Spielbeginn

15. Mai: Ein besonderer Tag in der Vereinsgeschichte des SK Rapid. Vor genau 30 Jahren stand Österreichs Rekordmeister zum ersten Mal in einem Europacup-Finale. Der 1:3-Niederlage gegen Everton in Rotterdam gingen Spiele voraus, die heute noch bei älteren Semestern das Blut in Wallung bringen.

Die unglaubliche internationale Rapid-Saison 1984/85 hatte legendäre Partien gegen Celtic, Dynamo Dresden und das Endspiel ohne "Happy End" gegen den englischen Traditionsverein zu bieten. weltfussball erinnert an die damaligen Europacup-Sternstunden.

Es war eine andere Zeit. Besser? Schlechter? Einfach anders. Speziell im Fußball. Es gab noch drei Europacup-Bewerbe: Unfassbar angesichts der Gegenwart, wo die allgegenwärtige Dominanz der Champions League schon den mittlerweile einzigen "Konkurrenten" Europa League zum Stiefkind verurteilt.

Damals aber existierten Europacup der Meister, Europacup der Cupsieger und UEFA-Cup noch als harmonisches Dreigestirn. Auch von einer Aufsplittung der internationalen Spiele an Dienstag, Mittwoch und Donnerstag war keine Rede. Es gab einen Europacup-Tag als Fixtermin: Der Mittwochabend gehörte dem runden Leder und sorgte für Begeisterung.

Auch Österreichs Rolle war noch eine andere. Es war eine Blütezeit des heimischen Kicks. In der Saison 1983/84 etwa standen mit Rapid (Meister) sowie der Austria und Sturm (jeweils UEFA-Cup) gleich drei rot-weiß-rote Vereine im Europacup-Viertelfinale. Das Nationalteam war 1978 und 1982 Teilnehmer bei der Weltmeisterschaft. Zudem wurde man auch in der Bundesliga verwöhnt von Spielern wie Hans Krankl, Antonin Panenka, Zlatko Kranjčar, Herbert Prohaska, Tibor Nyilasi, Toni Polster oder Božo Bakota.

Weber, Panenka, Krankl: Namen für die Rapid-Rekordbücher 

Ein weiterer graviender Unterschied zur aktuellen Situation speziell der beiden Wiener Erzrivalen war ihr sportlicher Stellenwert. Man war nicht nur in der Lage die besten Spieler zu halten, sondern verstärkte die Mannschaft auch noch mit den herausragenden Kräften der "kleineren" Vereine in Österreich. So bediente sich Rapid bei der Konkurrenz und holte Michael Konsel (Vienna), Leo Lainer (Austria Salzburg), Karl Brauneder und Peter Pacult (beide Wiener Sportclub) oder Peter Hrstic (Austria Klagenfurt).

Gemeinsam mit Routiniers wie Keeper Herbert Feurer, Abwehrchef Heribert Weber, Freistoßkönig Antonín Panenka, Mittelfeldmotor Petar Bručić sowie den Topstürmern Zlatko Kranjčar und Hans Krankl eine Mischung, die im Europacup der Cupsieger 1984/85 für Furore sorgen sollte.
>> Der Rapid-Kader der Saison 1984/85

Es begann mit Beşiktaş als erster Hürde. Obwohl Rapid im Hinspiel früh mit 0:1 in Rückstand geriet, gab es am Ende einen klaren 4:1-Erfolg. Mann des Abends war Antonín Panenka mit drei Treffern aus ruhenden Bällen (zwei Elfmeter und einer seiner berühmten Freistöße), das vierte grün-weiße Tor steuerte Petar Bručić bei. Übrigens vor nicht einmal 10.000 Zuschauern im Hanappi-Stadion. Auf dem Weg ins Finale sollte nur ein Heimspiel ausverkauft sein.

Der Aufstieg wurde zwei Wochen später in Istanbul fixiert. Ein Tor von Zlatko Kranjčar nach einer Viertelstunde beendete alle Beşiktaş-Hoffnungen. Den Hausherren gelang nach der Pause nur noch der Ausgleichstreffer zum 1:1.
>> Spieldetails Rapid - Beşiktaş 4:1
>> Spieldetails Beşiktaş - Rapid 1:1

"Kein Mensch lässt sich den Kopf aufschneiden, selbst für Rapid nicht"

Das Los sah Celtic als nächsten Gegner vor. Das Europacup-Duell erstreckte sich über fast zwei Monate, den Instanzenweg bei der UEFA am grünen Tisch und drei unvergessene Spiele. Es begann mit einem 3:1-Sieg für Rapid im Hinspiel im Hanappi-Stadion. Peter Pacult (53.), Leo Lainer (66.) und Hans Krankl (87.) machten die 15.700 Zuschauer in Wien-Hütteldorf glücklich, aber das Auswärtstor der Schotten durch Brian McClair (56.) ließ für das Rückspiel in Glasgow Schlimmes befürchten.

Es wurde die Hölle. Am 7. November 1984 verwandelten 48.813 aufgeputschte Fans in Parkhead die Celtic-Heimstätte in ein Tollhaus. Am Ende stand ein 3:0-Erfolg der Hausherren, jedoch unter folgenschweren Begleiterscheinungen. Der schwedische Schiedsrichter Kjell Johansson ließ eine Gangart der Hausherren zu, die im dritten Tor gipfeln sollte. Rapid-Ersatzkeeper Karl Ehn (Herbert Feurer stand nicht zur Verfügung) wurde von Tommy Burns mit gestrecktem Fuß getroffen, ehe der Celtic-Mittelfeldspieler ins leere Tor traf.

Danach brannten sämtliche Sicherungen durch. Die Partie musste für 18 Minuten unterbrochen werden. In der Folge sah Reinhard Kienast nach einer Tätlichkeit die Rote Karte, Ehn revanchierte sich an Burns und verschuldete einen Elfmeter, der jedoch von Celtic vergeben wurde. Es flogen wiederholt Flaschen auf das Spielfeld, ehe Rudolf Weinhofer von einem Gegenstand am Kopf getroffen und verletzt vom Platz getragen wurde.

Das Austauschkontingent war bereits erschöpft. Rapid wollte zunächst abtreten, entschied sich dann aber doch zur Fortsetzung des Spiels im Hexenkessel. Dies sollte noch den Aufstieg retten. Weinhofer wurde übrigens Jahrzehnte später angesichts der Europacup-Neuauflage gegen Celtic von schottischen Medien wieder aufgespürt. In seinem neuen Job als Krankenkontrollor der Wiener Gebietskrankenkasse. Unglaublich, aber wahr.

Celtic-Anhänger werfen ihm bis heute Simulation vor. Die blutende Wunde soll ihm nachträglich in der Kabine zugefügt worden sein. Was Weinhofer heftig dementiert: "Kein Mensch lässt sich freiwillig den Kopf aufschneiden, selbst für Rapid nicht."

Auf eigene Verantwortung zum 1:0-Sieg im Wiederholungsspiel in Old Trafford

Die UEFA schmetterte den Rapid-Protest jedoch in erster Instanz ab. Beim Gang vor die Berufungskommission rechnete man sich kaum noch Chancen aus, doch die Skandalszenen wurden nun geahndet: Es wurde ein Wiederholungsspiel 150 Kilometer außerhalb von Glasgow angeordnet. Doch Celtic fand mit Old Trafford, der Heimstätte von Manchester United ein "würdiges" Ausweichquartier.

Am 12. Dezember 1984 stand die dritte und entscheidende Partie auf dem Programm. Rapid schlug schon am Abend vor dem Spiel blanker Hass entgegen. Bei einem Angriff von Celtic-Fanatikern auf das Mannschaftshotel ging eine Glastür zu Bruch und ein Portier wurde verletzt. Auch am Spieltag erinnerte wenig an einen sportlichen Vergleich: Der Spielerbus wurde mit Steinen beworfen und fand nur dank eines Großeinsatzes der berittenen Polizei den Weg durch die Massen zum Stadion.

Abwehrrecke Kurt Garger hatte noch viele Jahre später bei der Schilderung der Szenen Gänsehaut: "Wir sind am Boden gelegen und dann musste jeder auf eigene Verantwortung laufen." Im Sprint in die Kabine, wo man zumindest vorerst in Sicherheit war. Mit dem Anpfiff peitschten die über 50.000 Fans im ausverkauften Old Trafford die Schotten nach vorne, doch nach einem Stangenschuss von Celtic traf Peter Pacult aus einem Konter zum 1:0 für Rapid.

Das Siegestor, denn Rapid-Keeper Herbert Feurer hielt an diesem Abend alles. Ein Celtic-Anhänger attackierte ihn daraufhin wutentbrannt auf dem Spielfeld, doch Feurer zeigte sportliche Größe: Er stand auf und spielte weiter. Ein Abbruch hätte nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen. Auch Goldtorschütze Pacult bekam nach Ende der Begegnung den Volkszorn zu spüren, als er beim Abgang einen Tritt in die Weichteile kassierte.
>> Spieldetails Rapid - Celtic 3:1
>> Spieldetails Celtic - Rapid 0:1

5:0-Aufholjagd nach 0:3 gegen Dynamo Dresden: Das Wunder von Hütteldorf

Trotz des Treffers in die grün-weißen Kronjuwelen stand Rapid im Viertelfinale. Dort wartete DDR-Pokalsieger Dynamo Dresden. Im Hinspiel am 6. März 1985 gab es vor 36.000 Zuschauern im gerammelt vollen Dynamo-Stadion eine glatte 0:3-Abfuhr, die alle Träume vom Europacup zu beenden schien.

Doch am 20. März 1985 machte eine 5:0-Aufhojagd das Wunder von Hütteldorf perfekt. Ein Doppelpack von Peter Pacult (4. und 37.), sowie Tore von Leo Lainer (17.), Antonín Panenka (70./Elfmeter) und Hans Krankl (77.) ließen das Hanappi-Stadion erbeben. Während der Partie strömten motiviert durch die Radio-Einstiege (TV-Liveübertragungen waren damals Seltenheit) immer mehr Zuschauer nach Hütteldorf.

Der nach dem Celtic-Eklat gesperrte Rapid-Coach Otto Barić war ganz in seinem Element und schwärmte von der "maximalen Leistung" seiner Mannschaft. "Das kann in Österreich nur Rapid."
>> Spieldetails Dynamo Dresden - Rapid 3:0
>> Spieldetails Rapid - Dynamo Dresden 5:0

...vielleicht nach Rotterdam

Bei der Auslosung für das Semifinale war auch Glücksgöttin Fortuna den Grün-Weißen wohl gesonnen. Der FC Bayern und Everton wären ebenso möglich gewesen, doch Rapid zog Dinamo Moskva. Beim Heimspiel im diesmal bis auf den letzten Platz gefüllten Hanappi-Stadion erwies sich der UdSSR-Cupsieger jedoch vorerst als Partycrasher. Ein Elfmeter von Vasiliy Karataev brachte die Gäste aus Moskau in der 26. Minute in Führung.

Diese hatte auch noch nach der Pause lange Bestand, weil der überragende Dinamo-Keeper Aleksey Prudnikov selbst einen Elfmeter von Antonín Panenka parierte. Erst ein Gewaltschuss von Leo Lainer zum Ausgleich brach den Bann (68.). Nun ging es Schlag auf Schlag: Hans Krankl (70./Elfmeter) und Peter Hrstic (72.) sorgten noch für einen nicht mehr erwarteten 3:1-Heimsieg.

Dieser sollte beim Rückspiel locker zum Aufstieg reichen. Ein früher Treffer von Antonin Panenka in der vierten Minute schockte die Dinamo-Fans und auch die Gastgeber, denen durch Boris Pozdnyakov (29.) nur noch das 1:1 gelang. Gleichzeitig der Endstand: Rapid stand im Europacup-Endspiel!
>> Spieldetails Rapid - Dinamo Moskva 3:1
>> Spieldetails Dinamo Moskva - Rapid 1:1

Finalgegner in Rotterdam war Everton. Ein gewisser Franz Beckenbauer hatte nach dem 0:0 im Halbfinal-Hinspiel zwischen den Bayern und Everton gemeint, dass dieser Gegner "spielerisch in der deutschen Bundesliga nicht mithalten kann." Die Engländer gaben die passende Antwort im Rückspiel und schickten die Gäste aus München mit einer 1:3-Niederlage nach Hause.

Im Finale ohne Bručić, Panenka und Willfurth: Das war zuviel

Bei Rapid sparte man sich große Töne zu spucken, die Klasse des englischen Meisters von 1985 war unübersehbar. Zudem standen die Vorzeichen denkbar schlecht: Petar Bručić fehlte gelbgesperrt, Gerald Willfurth stand wegen einer Knöchelverletzung nicht zur Verfügung und Antonín Panenka war nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, daher zunächst nur Ersatz.

Ohne das Herzstück im Mittelfeld beschränkte sich Rapid im Finale zunächst auf die Defensive. Diese hielt rund eine Stunde bis ein schwerer Fehler von Leo Lainer das Everton-Führungstor durch Andy Gray bedeutete (57.). Trevor Steven erhöhte auf 2:0 (72.), ehe der Anschlusstreffer von Hans Krankl den tausenden nach Rotterdam mitgereisten Rapid-Fans kurz Hoffnung gab (83.). Viel zu kurz, denn Kevin Sheedy machte mit dem 3:1 alles klar (85.).


Am Ende anerkannte auch Rapid-Erfolgscoach Barić, der bereits zuvor seinen Wechsel zum VfB Stuttgart bekannt gegeben hatte, die Leistung des Siegers an: "Everton ist eben ein Team, das unsere Grenzen aufgezeigt hat."
>> Spieldetails Everton - Rapid 3:1

Unter dem Strich blieb dennoch eine unvergessene Europacup-Saison. Zudem ein friedliches Finale, welches die Anhänger von Rapid und Everton in Rotterdam gemeinsam feierten. Sie tauschten ihre Schals, tranken gemeinsam Bier und hatten Spaß. Zwei Wochen später war die Fußballwelt nach dem Endspiel im Europacup der Meister zwischen Liverpool und Juventus eine andere. Die Tragödie von Heysel mit 39 Toten und über 450 Verletzten sollte englische Vereine für lange Zeit von der europäischen Bühne verbannen.

Mehr dazu:
>> Die Rapid-Saison 1984/85 im Überblick
>> Alle Spiele im Europacup der Cupsieger 1984/85
>> Die Ehrentafel der Sieger im Europacup der Cupsieger

Christian Tragschitz