29.05.2015 19:25 Uhr

An Teflon-Blatter prallt alles ab

Joseph Blatter in Siegerpose
Joseph Blatter in Siegerpose

Trotz der schwersten Krise seiner Amtszeit hat sich Präsident Joseph Blatter die Macht im Fußball-Weltverband (FIFA) erhalten - so stand es vor vier Jahren geschrieben und trifft genauso auf den 29. Mai 2015 zu. Der Schweizer wurde allen vergangenen und aktuellen FIFA-Skandalen zum Trotz am Freitag neuerlich zum FIFA-Präsidenten gewählt und geht mit 79 Jahren in seine fünfte Amtszeit.

Skandale und Affären auch aus seinem unmittelbaren Umfeld prallen an dem seit 17 Jahren amtierenden Blatter seit jeher ab. Festnahmen seiner engsten Mitarbeiter und Ermittlungen in seiner Zentrale, wie am Mittwoch in Zürich, verkauft der berechnende Machtpolitiker sogar noch als Erfolg. Für Blatter individuelle Fehlleistungen, die "Schande und Beschämung" für den Fußball brächten - und ihn als Kapitän benötigen. "Ich werde nicht erlauben, dass einige wenige die harte Arbeit der Mehrheit, die so hart für den Fußball arbeitet, zerstören", schlüpfte er flugs in die Rolle des Aufräumers und Korruptionsbekämpfers.

Denn auf der Zielgeraden eines eigentlich schon gewonnenen Präsidentschaftswahlkampfes sind die bösen Geister der Vergangenheit plötzlich wieder böse Geister der Gegenwart. Zwei FIFA-Vizepräsidenten verhaftet, Ermittlungen gegen ein Dutzend weitere Funktionäre aus dem Weltverband oder zumindest aus dessen Dunstkreis sowie Sportgeschäftsleute - und dann noch die Schweizer Staatsanwaltschaft in den heiligen Hallen der FIFA-Zentrale auf dem Zürichberg, um Unterlagen über die dubiosen WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 zu beschlagnahmen.

Machterhalt als Blatters Maxime

Mit dem ihm eigenen Selbsterhaltungstrieb will der maximal skandalerprobte FIFA-Präsident aber auch diese massiven juristischen Vorwürfe gegen mehrere Mitglieder seines inneren Machtzirkels aussitzen. Ähnlich wie vor vier Jahren. "Ich bin ein Kapitän in turbulenten Zeiten. Wir haben Schläge eingesteckt und ich persönlich einige Ohrfeigen, die Verwarnung hat gut getan", hatte Blatter damals gesagt, sich so die Wiederwahl gesichert und angekündigt, seine letzte Funktionsperiode antreten zu wollen. Wort hat er nicht gehalten, weder da noch dort.

Mit dieser Offensivstrategie hat Blatter bisher alle Skandale seit 1998 ignoriert, ausgesessen oder clever umschifft. Im Zweifelsfall wurde der Sturz von Gegnern oder auch ehemaligen Wegbegleitern zumindest billigend in Kauf genommen. Und der Mann aus dem Kanton Wallis, der sich kürzlich selbst die Zähigkeit einer Schweizer Bergziege bescheinigte, kam mit den gleichen Tricks und Argumenten wieder davon: Schuld sind immer andere, nie die FIFA und schon gar nicht ihr Präsident.

Im Wahlkampf heuer nahmen sich vier Gegner selbst aus dem Rennen, ehe Prinz Ali bin al-Hussein der einzig verbliebene Kontrahent war. Blatter brauchte da nicht viel Wahlkampf, er schickte einfach einen DIN-A-4-Seite langen Brief an alle 209 FIFA-Mitglieder. Unter der simplen Überschrift "Together" verwies er darauf, dass doch alles bleiben solle, wie es ist - Hauptsache, man halte in der Fußball-Familie ganz brav zusammen.

Seit Beginn an Schmiergeld-Verdacht

Wie in den 40 Jahren, die Blatter für die FIFA arbeitet. Seine Zeit als Präsident ist begleitet von ständigen Verdächtigungen um Korruption und Vorteilsnahme. Schon bei der ersten Wahl im Juni 1998 sollen Umschläge mit Schmiergeld den Besitzer gewechselt haben. Auch die Spätfolgen der Pleite von Ex-FIFA-Vermarkter ISL mit der belegten Bestechung von Ex-Präsident Joao Havelange überstand er mit lediglich leichten symbolischen Kratzern. Kulminiert sind die Ereignisse um die WM-Vergabe an Russland und Katar - die einen Demokratisierungsprozess einleiteten.
>> FIFA-Skandale in Blatters Amtszeit

Für die meisten europäischen Vertreter um UEFA-Präsident Michel Platini, einst enger Weggefährte von Blatter, war dies zu viel. Die Europäer unterstützten und förderten die Blatter-Gegner, Platini wandte sich noch am Donnerstag direkt an Blatter und appellierte an ihn, doch endlich zurückzutreten.

Doch wer das System Blatter verstehen will, muss die europäische Brille abnehmen. Denn das Wahlvolk von Guinea bis Guam bekam wieder genau das, womit Blatter immer prahlen konnte. Eine gute Portion materielle Sicherheit für den Fußballbetrieb daheim und das Gefühl, am schillernden Milliardenspektakel Weltfußball gleichberechtigt beteiligt zu sein. Wer eventuell doch aufmucken wollte, wurde diesmal nicht direkt, aber subtil daran erinnert, dass erst am Tag nach der Wahl über die Quoten der WM-Startplätze entschieden wird.

Selbst Platini wagt keine Konfrontation

Doch warum hängt Blatter so an der Macht? Michel Platini kennt den FIFA-Chef so gut, dass er dessen Seelenleben analysieren kann. Der Franzose, der seinen langjährigen Funktionärs-Ziehvater aus dem Amt drängen wollte, es aber nicht wagte, selbst gegen ihn anzutreten, hat erkannt, dass es für Blatter nicht mehr um Inhalte oder Missionen geht, sondern nur noch um Machterhalt zum Selbstzweck.
>> UEFA verzichtet auf Boykott

Nach 40 Jahren im Weltverband und 17 davon als Chef ist Blatter mit der FIFA quasi verschmolzen. "Er hat sein Leben an die Institution gegeben, bis zu dem Punkt, an dem er sich komplett mit der FIFA identifiziert", sagte Platini. Freiwilliges Aufhören ist somit auch im Pensionsalter unmöglich geworden. Wie ein alternder Herrscher ohne Anbindung an die Realität marschiert Blatter durch sein FIFA-Reich und die große Mehrheit seines Fußball-Volkes folgte weiter dankbar. Ob die neuen Skandale das ändern können, bleibt abzuwarten.

Mehr dazu:
>> Aller Skandale zum Trotz: Blatter bleibt
>> Beckenbauer: Es liegt nicht an Blatter

apa