04.06.2015 10:38 Uhr

Neitzel exklusiv: "Das macht mich sauer"

Mit vollem Eifer bei der Sache: Karsten Neitzel
Mit vollem Eifer bei der Sache: Karsten Neitzel

Zweimal stand die Kieler SV Holstein mit eineinhalb Bein in der zweiten Liga. Beide Chancen konnten die Störche nicht nutzen. Im Interview erklärt Trainer Karsten Neitzel, warum er trotzdem stolz auf seine Elf ist.

Herr Neitzel, kurz nach diesem dramatischen Fast-Aufstieg in die zweite Liga steht nun doch der Verbleib in Liga drei: Wie ist die Stimmungslage bei Ihnen und bei Ihren Spielern?
Karsten Neitzel: Es hat sich nichts groß geändert. Wir sind alle noch sehr enttäuscht und geknickt. Unsere Rückfahrt war total unspektakulär. Wir haben noch ein, zwei Bier miteinander getrunken, die meisten haben im Bus dann geschlafen.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Partie in München eingehen: Das 1:0 durch Kazior nach der Ecke in der 16. Minute hat Ihrer Mannschaft spürbar Sicherheit vor allem im Spiel gegen den Ball gegeben. Bis weit in die zweite Halbzeit hinein wirkten Sie wie der spätere Gewinner. Was war aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für die Wende in diesem Spiel?
Ausschlaggebend waren meiner Ansicht nach die zwei, drei Sachen, die wir nicht gemacht haben, um vielleicht den Deckel schon vorher drauf zu machen. 1860 macht mit der ersten richtig klaren Situation das 1:1. Danach haben wir uns zu weit an die eigene Box drängen lassen. Wir standen tief am und im eigenen Sechzehner, die Leute außerhalb der Box waren dann fast immer in Unterzahl. Dass es dann wirklich noch in der Nachspielzeit so ein Gegentor gibt, ist einfach ein brutaler Nackenschlag für uns alle gewesen.

Ist das Resultat – München in Liga zwei, Kiel in Liga drei – nach 180 Minuten im direkten Duell gerecht? Haben Sie die Chance vielleicht sogar eher im Hinspiel verpasst?
Das, was wir uns speziell gegen München vorgenommen hatten, ist sehr gut aufgegangen. Dass 1860 zu Hause in diesem Stadion auch mal Drangphasen haben würde, darauf waren wir vorbereitet. Aber insgesamt haben wir es eigentlich sehr gut gelöst und die meiste Zeit auch umgesetzt. Es ist nun vorbei, wir können es nicht mehr ändern. Aber ich bin mir sicher, wir können aus der ganzen letzten Phase vieles mitnehmen als Mannschaft und als Verein.

Sie waren ja gefühlt nicht nur einmal zweitklassig. Sondern auch schon am vorletzten Ligaspieltag, als Sie mit 1:0 in Duisburg führten. War das in der Schlussbetrachtung einfach Pech, dass Ihr Team zweimal einen Vorsprung in so wichtigen Spielen nicht verteidigen konnte?
Manchmal gibt es wirklich Dinge im Fußball, die man nicht so einfach erklären kann. Was mich aber wirklich stört, ist das jetzt niemand mehr von den 25 anderen Spielen in der Saison redet, in denen wir es waren, die nochmal zurückgekommen sind und gepunktet haben. Genauso die Geschichte mit unserer Startelf. Da werde ich schon vor dem Spiel darauf angesprochen: Warum spielt denn der Marc Heider heute nicht? Die Frage könnte ja auch lauten: Was versprechen Sie sich heute von Jarek Lindner? Es wird nur nach etwas Negativem gesucht und dann natürlich auch gefunden. Dieses projizieren auf einzelne Spieler macht mich wirklich sauer! Wir sind das ganze Jahr über unsere Gruppe gekommen. Aber das wird dann gar nicht mehr berücksichtigt.

Wie gehen Sie mit dieser Kritik um? Wie bewerten Sie selbst das Abschneiden in dieser letzten Phase?
Es war natürlich nicht unser Ziel, in der letzten Minute der Relegation zu verlieren. Mich stört aber die Bewertung, die nach dem Hinspiel vorgenommen wurde. Nicht einer, aber wirklich nicht einer hat uns diesen Saisonverlauf vorher zugetraut. Da wurden ganz andere Mannschaften genannt, die um Platz drei mitspielen. Jetzt aufgrund der verlorenen gegangenen Spiele gegen Duisburg und München das große Ganze nicht mehr zu sehen, machen wir nicht mit. Aber manchmal habe ich anscheinend einen etwas anderen Blick auf Fußball.

Die Reaktion der vielen mitgereisten Kieler Fans war in München weniger Enttäuschung, als vielmehr Fassungslosigkeit aufgrund des Zeitpunktes des zweiten Gegentores. Wie waren die Reaktionen auf den Abend zum einen in Ihrer Stadt, zum anderen im direkten Umfeld des Vereins?
Es herrschte die totale Enttäuschung bei uns allen im Verein. Beim Präsidenten und Manager ebenso wie bei der Mannschaft bis hin zu den beiden Busfahrern. Für die Fans tut es uns wahnsinnig leid. Ich weiß gar nicht, was ich denen jetzt sagen soll. Der Zuspruch, den wir erfahren haben, tut gut und baut die Mannschaft wieder auf.

Direkt nach Spielende haben Sie von einem Imagegewinn für Holstein Kiel gesprochen. Ziehen Sie daraus vielleicht auch neue Kraft und neuen Mut für die nächste Spielzeit?
Unsere Kraft für das neue Jahr werden wir schon aus anderen Dingen schöpfen, die wichtiger sind. Aber klar ist auch, dass so ein Zuspruch jedem Verein gut tut. Das müssen wir in die richtigen Bahnen lenken. Wir werden momentan anders wahrgenommen als noch vor einem Jahr. Das ist eine angenehme Nebenerscheinung, die sich die Mannschaft verdient hat. Für die Spieler war dieses Gegentor in München ein extremer Schlag. Aber wir müssen irgendwann dann auch aufhören, uns mit der Hand über den Kopf zu streicheln! So ein Ding kann dich noch stärker machen. Das ist eine Herausforderung. Die größte Herausforderung wird es sein, diese Saison auch nur ansatzweise zu bestätigen. So ein Ausreißer nach oben, wie wir ihn jetzt hatten, ist nicht alltäglich. Und das sage ich, ohne tief zu stapeln, das gebietet einfach der Respekt vor dieser dritten Liga.

Wie sieht der grobe Fahrplan der Mannschaft jetzt aus – wie geht es zeitlich weiter?
Wir hatten noch eine Autogrammstunde und ein Essen in kleinerem Kreis, am Donnerstag treffen wir uns dann noch einmal zum Check-Out der Kabine, bei der die Spieler Trainingsempfehlungen für die freie Zeit erhalten. Freitag ist der erste offiziell freie Tag. Am 24. Juni geht es dann in die Vorbereitung, und zwar mit voller Kraft...

Mehr dazu:
>> Kiel: Wege, die nicht beklatscht werden

Das Interview führte Mats-Yannick Roth