27.06.2015 11:15 Uhr

William Carvalho: Der Fels in der Brandung

William Carvalho (l.) weiß seinen Körper einzusetzen
William Carvalho (l.) weiß seinen Körper einzusetzen

Spielintelligent, physisch stark, motiviert: William Carvalho bringt bereits in jungen Jahren alles für eine große Karriere mit. Die Klubs reißen sich um den Portugiesen, hohe Summen werden ausgerufen – doch wie stark ist der 23-Jährige wirklich?

Pepe, Cristiano Ronaldo, Quaresma, Nani, Eliaquim Mangala, Fernandinho – die Liste der Spieler, die in den letzten Jahren aus der portugiesischen Primeira Liga für hohe Millionensummen in die europäischen Topligen gewechselt sind, ließe sich noch beliebig erweitern. Portugal ist seit Jahren eines der profitabelsten Exportländer für Fußballer. In dieser Woche wurde bekannt, dass Jackson Martínez für die festgeschriebene Ablösesumme von 35 Millionen Euro vom FC Porto zu Atlético Madrid wechselt.

Es ist jedoch möglich, dass der Kolumbianer nicht der teuerste Portugal-Export in diesem Sommer wird. Denn das Wettbieten um einen Youngster vom Sporting CP hat begonnen: William Carvalho.

Scouts stehen Schlange

Derzeit spielt der defensive Mittelfeldspieler mit Portugal bei der U21-EM in Tschechien vor, zahlreiche Scouts sollen englischen Medienberichten zufolge nur seinetwegen angereist sein. Vor allem Arsenal und Manchester United haben angeblich ein Auge auf den Youngster geworfen. Was sie dort sehen: Carvalho ist der Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld der Selecção, er verschafft sich Respekt beim Gegner und bei den eigenen Mitspielern.

In seiner noch jungen Karriere hat der mittlerweile 23-Jährige schon einiges erreicht. Nach zwei Leihgeschäften (2011 zum portugiesischen Drittligisten CD Fátima und 2012/2013 in die erste belgische Liga zu Cercle Brugge) hat sich William bei Sporting durchgesetzt. In der Primeira-Liga-Spielzeit 2013/2014 wurde er viermal zum Spieler des Monats und am Ende der Saison zum besten Newcomer der Saison gewählt.

Seine starken Leistungen haben den Sechser auf den Radar des damaligen portugiesischen Nationaltrainers gebracht: "Er ist für sein Alter taktisch schon sehr weit. Außerdem ist er technisch hochveranlagt", lobte Paulo Bento. Die Belohnung für die starke Entwicklung war ein Platz im Kader der Selecção, bei der WM in Brasilien stand er zweimal auf dem Rasen.

Spielerische Reife und starke Antizipation

Doch was macht den Spielertyp William Carvalho so besonders? In einer von Technikern und Zauberfüßen geprägten Liga ist er ein bulliger Mittelfeldspieler, der seinen Körper einzusetzen weiß und nicht davor zurückschreckt, auch mal rustikaler in Zweikämpfe zu gehen. Portugiesische Medien bezeichnen ihn als "Fels in der Brandung". Meist muss er jedoch gar nicht zum Foul greifen, denn er verfügt über eine große spielerische Reife, positioniert sich gut im Raum und hat eine starke Antizipation.

Sein Nationalmannschafts-Kollege Tiago (Atlético) schwärmt: "Er ist ein großartiger Spieler, der jeden Ball abfängt und für einen so rustikalen Mittelfeldspieler ein fantastisches Passspiel hat."

Starallüren hat Carvalho indes keine. Obwohl er seit einem Jahr ein fester Bestandteil der A-Nationalmannschaft ist, war es für ihn selbstverständlich, sich in den Dienst der U21 zu stellen. Er empfand die Nominierung nicht als "Herabstufung": "Ich habe in dieser Saison 52 Spiele gemacht, aber für mich wäre es auch kein Unterschied, wenn ich 100 gemacht hätte. Man kann sich nicht müde fühlen, wenn man die Chance bekommt, für sein Land zu spielen – egal in welcher Altersstufe. Da ist man immer mit vollem Herzen dabei." Mit diesem Kampfgeist hat er sich zum Publikumslieblings aufgeschwungen.

Wechsel ist wahrscheinlich

Dass Carvalho auch in der kommenden Saison die Sporting-Fans verzücken wird, ist unwahrscheinlich. Das Wettbieten hat begonnen.

Arsène Wenger soll bereits im Sommer 2014 Gespräche mit dem Youngster geführt haben, sich aufgrund von dessen mangelnder internationaler Erfahrung jedoch gegen einen Transfer entschieden haben. Diese hat er mit sechs Champions-League-, einem Europa-League- und 13 A-Länderspielen mittlerweile gesammelt. Auf der Insel wird er aufgrund seiner Spielweise schon jetzt als neuer Patrick Vieira gehandelt. Auch Vergleiche mit Claude Makelele sind bereits gefallen. Konkurrenzlos ist Arsenal jedoch nicht, auch Manchester United und der AS Monaco – auf der Suche nach einem Nachfolger für Geoffrey Kondogbia – sollen offiziell angefragt haben.

Zweifel?

Bestehen überhaupt Zweifel an einer großen internationalen Karriere? Zumindest leise! Kritiker befürchten, die wahrscheinlich hohe Ablösesumme könne zur Last werden. Darüber hinaus spekulieren englische Medien, Wenger habe sich im vergangenen Jahr auch deswegen gegen einen Transfer entschieden, weil er sich nicht sicher sei, dass der gebürtige Angolaner die nötige Beweglichkeit und Schnelligkeit für die Premier League mitbringe. Dazu ist in der Torgefährlichkeit noch Luft nach oben: In der vergangenen Saison war er nur an vier Treffern direkt beteiligt – auch als defensiver Mittelfeldspieler ausbaufähig.

Ausbaufähig, aber nicht Carvalhos Kerngebiet, das liegt in der defensiven Stabilität und im Umschaltspiel. Und davon bietet er derzeit bei der U21-EM einiges an. Der 23-Jährige ist einer der Garanten für den Gruppensieg Portugals. Auf dem Weg zum Titeltraum fordert die Selecção am Samstag Deutschland (ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) im Halbfinale. Dann wird William Carvalho mit seiner rustikalen Art wieder versuchen, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Mit einem netten Nebeneffekt: Er stellt sich ins Schaufenster für die internationalen Scouts. Womöglich wird er der nächste richtig teure Export aus Portugal.

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Jochen Rabe