03.07.2015 09:51 Uhr

Grabenkämpfe vor dem Copa-Finale

Ruft zur Mäßigung auf: Argentiniens Kapitän Javier Mascherano
Ruft zur Mäßigung auf: Argentiniens Kapitän Javier Mascherano

Vor dem Endspiel der Copa América herrscht bei Fans und Medien eine beinahe kriegerische Stimmung. Die alte Rivalität zwischen Chile und Argentinien flammt neu auf. weltfussball beleuchtet die  Hintergründe.

In der Anfangsphase des 6:1 Halbfinalsieges Argentiniens waren die Spieler Paraguays wohl überrascht über den großen Rückhalt auf der Tribüne. Aus einem der kleinsten und ärmsten Länder des Kontinents waren nur wenige Fans angereist, um ihre "Albiroja" im David-gegen-Goliath-Duell gegen Argentinien zu unterstützen. Es waren die Chilenen im Stadion, die hämisch und hasserfüllt den großen Nachbarn verlieren sehen wollten. Wobei sie sich eigentlich genau diesen Gegner für das Finale gewünscht hatten.

Mascherano besänftigt die Gemüter

Auch die argentinischen Spieler haben nicht erst im Spiel die aufkochende Aggressivität im öffentlichen Diskurs wahrgenommen. Nach dem Spiel gab Kapitän Javier Mascherano ein besänftigendes Interview, was sich in diesen Tagen vor dem Endspiel unter gemäßigteren Chilenen und Argentiniern viral verbreitet hat: "Hoffentlich verstehen die Leute, dass es sich hier um Fußball handelt. Hier gibt es keinen Krieg. Alles, was in der Vergangenheit passiert es, muss vergessen werden. Wir dürfen nicht den Sport mit der Politik vermischen." Wenn jemand derart auf die patriotische Bremse tritt, dann wird er wohl seine Gründe haben. Denn in den Heimatländern der Finalteilnehmer herrscht eine aggressive Stimmung, eine alte Rivalität flammt neu auf.

Argentinien und Chile verbindet die die drittlängste Staatsgrenze der Welt. Eine 5150 Kilometer lange, fast vollständig natürliche Grenze mit der Andenkette als Demarkationslinie. Die Narbe einer Rivalität, die ihren Ursprung bereits in der Unabhängigkeit beider Länder hat. Die Argentinier behaupten, dass der chilenische Freiheitskämpfer und Nationalheld Bernardo O'Higgins eigentlich nur ein Handlanger war von José de San Martín, der ebenfalls erfolgreich gegen die spanische Kolonialmacht kämpfte – und Argentinier war.

Grenzkonflikte in Patagonien sorgten für 'kalten Krieg'

Die Chilenen behaupten, die Argentinier hätten ihnen in Patagonien hunderttausende Quadratkilometer Land gestohlen. Für die Argentinier war es die Cleverness des Landvermessers Francisco Moreno, der als einer der ersten Weißen überhaupt im 19. Jahrhundert die Einsamkeit Patagoniens erforscht hatte. Die Grenzkonflikte gingen weiter und gipfelten schließlich Ende der 1970er Jahre in einem kalten Krieg. Beide Länder wurden regiert von Militärdiktaturen und schäumten über vor Patriotismus. Sie verminten Grenzgebiete und brachten Truppen in Stellung. Schließlich verhinderte Papst Johannes Paul II. den Ausbruch eines offenen Konfliktes.

Diesen trugen die Argentinier gegen England aus und begannen einen Krieg um die Falkland- alias Malwinen-Inseln. Chile ermöglichte der britischen Armee Versorgungsflüge vom Kontinent und seitdem singen argentinische Fans bei jedem Copa-Libertadores-Duell gegen eine chilenische Mannschaft: "Ich bitte Gott nur darum, dass alle Chilenen sterben mögen. Ich bin stolzer Argentinier, den Verrat an den Malwinen vergisst man nicht." Starker Tobak für einen Stadiongesang, den die Chilenen seit jeher ebenbürtig erwidern: "Argentinier, alles Schwuchtel. Ihr habt die Malwinen aus Dummheit verloren."

Neid, Eifersucht und nationale Gedanken

Heutzutage werden die Dispute auf anderen Ebenen ausgetragen. Die Argentinier, deren Spanisch häufig kaum arroganter klingen könnte, lästern über die ungebildeten Nachbarn westlich der Anden. Die Chilenen, deren Spanisch häufig kaum 'hinterwäldlerischer' klingen könnte, haben im Gegensatz zu den Argentiniern immerhin zwei Literaturnobelpreisträger hervorgebracht und belächeln die gelegentlich strauchelnde Wirtschaft des östlichen Nachbarn.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Argentinien mit dem Hafen in Buenos Aires seit jeher ein der großen Welt zugewandtes Land ist, während die Chilenen mit den Anden und dem Pazifik als Scheuklappen sich eher mit sich selbst beschäftigen - und dabei den "Angstkomplex des in Vergessenheit Geratens" in Patriotismus und einem von Neid erfüllten Konkurrenzverhältnis gegen den Nachbarn abarbeiten. Gleichzeitig ist aber auch das argentinische Volk selbst nach der Diktatur von einem blinden Nationalgedanken getrieben und das ideologische Geschwafel einer kontinentalen Einheit endet spätestens an den Außengrenzen Uruguays.

Wie wenig das alles mit dem Fußball zu tun haben könnte, zeigt die Geschichte: Sportlich handelt es sich um kein Duell von großer historischer Bedeutung. In den letzten 40 Jahren konnte Chile nur ein einziges von 27 Spielen gewinnen. Dieses Match fand wie das Finale am Sonntag im Nationalstadion von Santiago statt. Chile siegte im Jahr 2008 nach einem sensationell herausgespielten Treffer mit 1:0. Diesen Sieg wollen die Gastgeber um jeden Preis wiederholen. Sie sollten sich dabei auf Messi und Mascherano konzentrieren und weniger auf Francisco Moreno und José de San Martín.

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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco