06.07.2015 14:15 Uhr

Das Fax, das uns zur WM verhalf

Sepp Blatter verkündet am 6. Juli 2000 das überraschende Votum
Sepp Blatter verkündet am 6. Juli 2000 das überraschende Votum

Es klingt wie das Drehbuch für eine Satire, was sich heute vor 15 Jahren in Zürich abspielte und Deutschland den Zuschlag für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2006 verschaffte. Ohne die Hilfe der "Titanic" wäre das Sommermärchen wohl nicht möglich gewesen.

Im Sommer 2006 fand in Deutschland die größte Party statt, die dieses Land jemals gesehen hatte. Millionen von Fußballfans feierten in den Stadien, auf Fan-Festen und Public Viewings bei traumhaftem Wetter das größte Event der wichtigsten Nebensache der Welt. All das hing sechs Jahre zuvor am seidenen Faden. Denn bei der Vergabe der Weltmeisterschaft am 6. Juli 2000 wäre Deutschland um ein Haar mit seiner Kandidatur gescheitert. Letztlich deutet einiges darauf hin, dass erst eine Aktion des Satiremagazins "Titanic" die Waage zugunsten der deutschen Bewerbung ausschlagen ließ.

Neben dem DFB hatten sich Marokko, England und Südafrika um die Ausrichtung der globalen Titelkämpfe 2006 beworben. Die Südafrikaner galten als Favorit, Deutschland als aussichtsreichster Konkurrent. Marokko schied bereits in der ersten Abstimmungsrunde aus, England in der zweiten. Bekanntermaßen endete die dritte Runde zugunsten Deutschlands, aber die Entscheidung fiel mit 12 zu 11 Stimmen denkbar knapp aus. Eine Stimme fehlte – die vom Neuseeländer Charlie Dempsey. Als Vertreter Ozeaniens hatte dieser auf Geheiß seines Verbandes in der entscheidenden Runde zugunsten Südafrikas votieren sollen, enthielt sich aber überraschend seiner Stimme. Ein 12 zu 12 hätte letztlich Südafrika zum Sieg verholfen, denn im Falle eines Unentschieden entscheidet laut FIFA-Statut der Generalsekretär und Sepp Blatter hatte sich vor der Wahl ausdrücklich zugunsten der Afrikaner ausgesprochen.

Kuckucksuhr und Schwarzwälder Schinken

Was hat Dempsey dazu bewogen, sich der Stimme zu enthalten? Bis heute ist diese Frage nicht endgültig geklärt. Der Neuseeländer, der 2008 starb, nahm die exakten Gründe für sein Verhalten mit ins Grab. Es gibt aber einige Indizien, die darauf hindeuten, dass die "Titanic" einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Abstimmung genommen hat.

Am Vorabend der Wahl hatte sich Martin Sonneborn, der damalige Chefredakteur der "Titanic", in kurzer Folge zwei Faxe an die Rezeption des Züricher Grand Hotel Dolder, in dem die Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees abgestiegen waren, gesandt, mit der Bitte, diese sieben ausgesuchten Wahlmännern zuzustellen. Pflichtbewusst wurden die Faxe in Couverts gepackt und den gewünschten Personen angesichts der späten Stunde unter die Tür geschoben. Im ersten Fax, das weder einen Briefkopf trägt noch unterschrieben ist, wurde den Faxempfängern ein kleines Geschenk in Aussicht gestellt, sollten sie sich für Deutschland entscheiden. Im zweiten Schreiben, dass eine halbe Stunde später unter die Tür geschoben wurde, konkretisierte der Absender sein Angebot:

"[…] in this difficult situation, Germany would like to emphasize the urgency of its appeal to hold the World Cup 2006 in Germany.
Let me come straight to the point: In appreciation of your support we would like to offer you a small gift for your vote in favour of Germany: A fine basket with specialities from the black forest, including some really good sausages, ham and – hold on to your seat – a wonderful KuKuClock! And a beer mug, too! Do we leave you any choice???
We trust in the wisdom of your decision tomorrow, sincerely yours
Martin Sonneborn Secretary TDES (WM 2006 initiative)"

"This fax finally broke my neck"

Dieses offensichtlich satirisch gemeinte Angebot einer Kuckucksuhr und eines Schwarzwälder Schinkens sollte also Charlie Dempsey umgestimmt haben? Nach der Abstimmung geriet der Chef des ozeanischen Fußballverbandes in Erklärungsnot. Vor allem die knapp unterlegenen Südafrikaner witterten Bestechung. Dempsey gab an, er sei in den Tagen vor der Wahl von allen Seiten in einer nicht mehr tolerierbaren Form unter Druck gesetzt worden. In einem Live-Interview mit dem Nachrichtensender CNN erklärte er weiter, dass er zuletzt noch ein Bestechungs-Fax erhalten habe: "This fax finally broke my neck". Tatsächlich ist es bis heute nicht eindeutig erwiesen, ob es sich bei dem von Dempsey erwähnten späten Bestechungsversuch tatsächlich um das Fax der "Titanic" gehandelt hat. Wenn ja – und das ist nicht unwahrscheinlich – dann hat Deutschland das Sommermärchen weniger Franz Beckenbauer sondern vielmehr Martin Sonneborn zu verdanken.

In den Tagen nach dem erfolgreichen Zuschlag wurde dem "Titanic"-Chefredakteur das Bemühen allerdings nicht gedankt. Nachdem die Fax-Aktion weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, kamen in Deutschland Befürchtungen auf, das Wahlergebnis könnte angefochten werden. Die Bild-Zeitung veröffentlichte einen Artikel unter dem Artikel "Böses Spiel gegen Franz (Beckenbauer; Anm. d. Red.)", indem sie die Telefonnummer der Titanic veröffentlichte und ihre Leser aufforderte, der Redaktion die Meinung zu sagen. Als "Vaterlandslose Gesellen" wurden Sonneborn und Redaktionskollegen beschimpft, denen die "Lizenz entzogen gehöre".

>> Hörbeispiele der Redaktionsbeschimpfung

Die Befürchtungen der deutschen Delegation stellten sich letztlich als unbegründet heraus. Jack Warner, damaliger FIFA-Vizepräsident und einer der Adressaten des Titanic-Faxes äußerte sich kurz nach der Wahl: "Die Briefe waren schlecht getippt und sahen ziemlich komisch aus. Sie sollten nicht ernst genommen werden." Einer, der mit Bestechungsfaxen offenbar nicht so vertraut war wie Warner, sah dies offensichtlich anders – zum Glück für Deutschlands Sommermärchen.

Ralf Amshove