16.07.2015 14:00 Uhr

Coman: Bereit für die große Bühne?

Im Champions-League-Finale durfte sich Kingsley Coman (l.) wenige Minuten mit Stars wie Leo Messi messen
Im Champions-League-Finale durfte sich Kingsley Coman (l.) wenige Minuten mit Stars wie Leo Messi messen

Spielintelligent, ambitioniert, flexibel: Frankreichs U19-Hoffnung Kingsley Coman hat alle Voraussetzungen für eine steile Karriere. Seine erste Saison bei Juventus lief auch ordentlich – dennoch steht über seiner Zukunft ein Fragezeichen.

Berliner Olympiastadion, Champions-League-Finale 2015. Wenige Minuten vor Schluss führt der FC Barcelona gegen Juventus mit 2:1. Juve-Trainer Massimiliano Allegri will noch einmal alles probieren, um sich vielleicht doch noch in die Verlängerung zu retten. In der 89. Minute wechselt er seine letzte Offensivoption ein: Kingsley Coman.

Für den 19-Jährigen geht es plötzlich in Zweikämpfe gegen Größen wie Piqué, sogar mit Lionel Messi kommt er auf Tuchfühlung. Es ist zweifelsohne die bisher größte Bühne in der jungen Karriere des Youngsters.

Wenige Minuten später die große Enttäuschung: Schiedsrichter Cüneyt Çakır pfeift ab, Barça gewinnt die Champions League, Juves Traum ist geplatzt. Wenngleich sich Coman an diesem Abend nicht mit einem guten Gefühl ins Bett legen wird, wird sich mit etwas Abstand auch der Stolz darüber einstellen, einige Momente beim wichtigsten Spiel im Klubfußball auf dem Platz gestanden zu haben. Die späte Einwechslung ist für den Franzosen auch ein Zeichen von Wertschätzung.

Fehlende Wertschätzung bei Paris

Genau diese hatte er bei seiner vorherigen Station vermisst. Seit seinem zehnten Lebensjahr hatte Coman in seiner Geburtsstadt für Paris Saint-Germain gespielt. Beim französischen Nobelklub durchlief er alle Jugendabteilungen.

Im Februar 2013 verhalf ihm Trainer Carlo Ancelotti mit 16 Jahren, acht Monaten und vier Tage gegen Sochaux zu seinem Ligue-1-Debüt – damit wurde Coman zum jüngsten Spieler, der je für PSG in der französischen Eliteliga auflief. Schon damals fehlte es dem Jungspund nicht an Selbstvertrauen: "Ich habe gezeigt, dass ich so weit bin. Jetzt möchte ich auch regelmäßig spielen", sagte er forsch.

Eine Forderung, der Ancelottis Nachfolger Laurent Blanc in der Folgesaison nicht nachkam. Statt auf das Eigengewächs zu setzen, zog er stets Stars wie Zlatan Ibrahimović oder Edinson Cavani vor. Coman bekam nur zwei Kurzeinsätze. Ein Wechsel war unausweichlich. Arsenal, Tottenham oder Bayern erkundigten sich. All diese Interessenten hatten aber von Anfang an keine Chance: "Ich wollte nur zu Juventus", sagte der Offensivspieler.

In bester Tradition

Coman war sich bewusst, dass er als Franzose bei der Alten Dame in bester Tradition stehen würde: Michel Platini, Zinedine Zidane, Didier Deschamps, Patrick Vieira – die Liste der ehemaligen Juve-Legionäre liest sich wie ein Who-is-Who des französischen Fußballs.

Den größten Anreiz hat jedoch ein aktuelles Beispiel gegeben: "Als Juve mit mir über meine Perspektiven gesprochen hat, haben sie auch das Beispiel Paul Pogba genannt. An ihm kann man sehen, wie gut man sich hier als junger Spieler entwickeln kann."

Schnell kamen in den Medien Vergleiche zu Pogba auf. Robust, laufstark, zweikampfstark, gute Übersicht – viele Eigenschaften vereinen Coman mit seinem Landsmann. Auch der Weg, nach fehlender Wertschätzung bei einem Topklub (bei Pogba war es Manchester United) zu Juve gewechselt zu sein, ist eine Parallele.

Offensive Qualitäten

Die Ausrichtung des inzwischen 19-jährigen Coman ist aber deutlich offensiver. Für die Bianconeri spielte er meist Mittelstürmer. Allerdings nicht als klassischer Stoßstürmer, der nur den Fuß reinhält. Er arbeitet viel in der Defensive, ist stark im Pressing, gedankenschnell und abschlussstark.

Die Bilanz nach einem Jahr kann sich sehen lassen: 20 Pflichtspieleinsätze, davon sieben in der Startelf, dazu ist er der jüngste Juve-Legionär aller Zeiten (18 Jahre, zwei Monate, 17 Tage beim ersten Einsatz).

"Richtige Entscheidung"?

Trainer Allegri ("Von seiner Qualität gibt es in dem Alter nicht viele") und Mitspieler wie Pogba ("Er bringt alles mit, um mit Juve viel zu erreichen") prophezeien Coman eine große Zukunft. Der Youngster selbst zieht ein positives Zwischenfazit: "Ich habe einige große Spiele gemacht und werde weiter meine Chancen bekommen. Es war die richtige Entscheidung. Ich glaube, dass es bei PSG schwieriger gewesen wäre."

Es gibt allerdings auch eine anderen Wahrheit. Ganz so groß, wie es verkauft wird, scheint das Vertrauen in Coman nicht zu sein: Durch die Verpflichtungen von Simone Zaza, Paulo Dybala und Mario Mandžukić haben sich die Einsatzchancen zumindest nicht erhöht. Dazu sind Morata und Llorente im Kader.

Leihe? Verkauf? Verbleib?

Könnte Comans Zeit bei der Alten Dame nach nur einem Jahr wieder vorbei sein? Arsenal soll wieder interessiert sein, Bayern hat angeblich sogar bereits ein 12-Millionen-Euro-Kaufangebot abgegeben, ist jedoch abgeblitzt. Begründung: Juve plant fest mit dem Youngster. Nichtsdestotrotz scheint ein Transfer zumindest nicht ausgeschlossen – vor allem wenn sich Coman seinen großen Traum erfüllen will, im kommenden Jahr bei der EM im eigenen Land ein Teil der Équipe Tricolore zu sein. Möglich scheint auch ein Leihgeschäft zu Sassuolo Calcio. Dort haben sich Zaza und Domenico Berardi während ihrer Zeit als Leihspieler von Juventus gut entwickelt.

Ob nun für potentielle neue Klubs oder für sein Standing bei Juve: Derzeit steigert Coman seinen Marktwert im internationalen Schaufenster. Bei der U19-EM zeigt er bislang starke Leistungen und ist einer der Garanten dafür, dass Frankreich am Donnerstagabend gegen Spanien (ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker) um den Finaleinzug kämpft.

Die Auftritte in der Junioren-Nationalmannschaft unterstreichen seine Vielseitigkeit: Auf der Zehn, über Rechtsaußen, auf der Halbposition im Dreiermittelfeld – Coman kann nicht nur Mittelstürmer, er überzeugt auch als kreativer Mittelfeldspieler.

Ambitioniert war Kingsley Coman schon immer. Vielleicht hat er schon am Sonntag beim Schlusspfiff in einem Finale mehr Grund zur Freude als noch Anfang Juni im Olympiastadion. Er will ein Ausrufezeichen setzen und für die kommende Saison zeigen: "Ich bin bereit für die große Bühne."

Ob bei Juventus oder eben doch einem neuen Klub...

Mehr dazu:
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>> Bayern gibt Angebot für Juves Coman ab

Jochen Rabe