10.10.2015 10:02 Uhr

Typisch deutsch? Typisch Österreich!

Unbezwingbar! Das ÖFB-Team demonstrierte große Moral
Unbezwingbar! Das ÖFB-Team demonstrierte große Moral

Zwei Mal zurückgelegen, Charakter gezeigt dazu am Ende sogar noch eiskalt zugeschlagen und gewonnen. Klingt "typisch deutsch". Ist aber inzwischen "typisch Österreich"! Vorgezeigt am Freitagabend in Podgorica beim 3:2-Erfolg in Montenegro im letzten Auswärtsspiel der EM-Qualifikation.

Das bereits zuvor als souveräner Gruppengewinner feststehende ÖFB-Team beendete mit dem Sieg in einer hochdramatischen Partie die letzten Träume der Hausherren von einer Teilnahme an der Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Dazu wurde der eigene Erfolgslauf weiter ausgebaut: Mit zehn ungeschlagenen Pflichtspielen in Folge gibt es einen neuen Rekord seit Qualifikationen für WM- oder EM-Endrunden ausgetragen werden.

Diese stolze Bilanz soll auch am Montag (ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) im letzten Gruppenspiel daheim gegen Liechtenstein erneut untermauert werden. Mit einem Heimerfolg würde man die EM-Qualifikation dann mit neun Siegen und einem Remis abschließen: Eine sensationelle Marke. Dazu würde man auch den angestrebten Platz in Topf zwei bei der EM-Auslosung absichern.

In der FIFA-Weltrangliste, wo man sich mittlerweile auf Rang elf (ein ÖFB-Höchstwert) vorgearbeitet hat, sind nun die Top Ten ebenfalls in Reichweite. Wenn's läuft, dann läuft's.

"Feuchter Ball, kurzer Rasen, helles Licht: Alles nur Ausreden"

Dabei waren die ersten 45 Minuten im Gradski Stadion Pod Goricom einfach "schlecht". Teamchef Marcel Koller nannte das Kind in der Pressekonferenz nach dem Spiel beim Namen. Die Führung für Montenegro durch Kapitän Mirko Vučinić in der 32. Minute war verdient. Wenn auch nicht unumstritten. Die erste von vielen fragwürdigen oder einfach falschen Entscheidungen des Schiedsrichter-Teams. Der indiskutable Referee Daniele Orsato aus Italien und seine Assistenten sorgten am Ende nur mehr für Kopfschütteln.

Aber das war so wie der "feuchte Ball, der kurze Rasen oder das zu helle Licht" eine jener Ausreden, die der ÖFB-Erfolgscoach nicht hören will. Schon gar nicht von seinen Spielern. Die Leistung vor der Pause hatte dem Schweizer sauer aufgestoßen. "Wir mussten was ändern. Ich habe sie gefragt, ob sie wirklich so weiterspielen wollen?"

"Bisher hatten wir noch nie in der bisherigen Qualifikation so gespielt. Abspielfehler, Flüchtigkeitsfehler, defensiv nicht gut und offensiv auch nicht. Teilweise die Positionen aufgegeben, überall herumgerannt und immer den Ball frühzeitig verloren", ging Koller mit seiner Mannschaft hart ins Gericht."

Marcel Koller: "Nie aufgeben, bis zum Abpfiff immer alles tun!"

Doch es wäre nicht der ÖFB-Erfolgscoach, wenn er nicht das richtige Rezept zur Wende gefunden hätte. "Manchmal muss man auch laut werden und die Spieler zurechtweisen. Diesmal habe ich mir das sogar überlegt, bin dann aber ruhig und bestimmt geblieben. Ich kenne meine Spieler jetzt schon längere Zeit und weiß, was sie brauchen."

Offensichtlich: Nie aufgeben. Einen Rückstand wegstecken. Moral beweisen. Unbedingter Siegeswille bis zur letzten Aktion. Ein Schweizer vermittelt Österreich inzwischen deutsche Tugenden, oder Herr Koller? Die Frage von weltfussball brachte den 54-Jährigen zu einem Plädoyer in eigener Sache: "Ich würde sagen es ist eine Eigenheit von mir. Man darf nicht aufgeben. Ich habe den Spielern immer gepredigt, dass sie von Spielbeginn weg bis zum Abpfiff die Zeit haben, um alles zu tun."

Also nicht typisch deutsch, sondern typisch Koller oder sogar typisch Österreich! Da entwickelt sich gerade ein neues Markenprodukt.

Montenegro-Teamchef schwärmt von Österreich

Sein Gegenüber Branko Brnović, der im Finish auf die Tribüne verwiesen wurde, schwärmte gegenüber weltfussball sogar vom ÖFB-Team: "Es zeichnet sehr gute Mannschaften aus, wenn sie auch solche Spiele gewinnen können. Ich habe schon früh in der EM-Qualifikation gesagt, dass Österreich diese Gruppe gewinnen wird. Dieses Team hat sich gefunden und verzichtet auf Rotation: Eine extrem kompakte Elf."

Nach dem Wechsel traten die Gäste den Wahrheitsbeweis für dieses Extralob an. Zunächst glich Marc Janko in der 55. Minute mit seinem 23. Tor im Teamdress aus. Selbst als das Schiedsrichter-Gespann einen herrlichen Treffer von Zlatko Junuzović aberkannte, dafür aber das 2:1 für Montenegro durch Fatos Bećiraj trotz Abseitsstellung von Vučinić vor ÖFB-Teamkeeper Robert Almer zählte, gab sich Österreich nicht geschlagen.

Marko Arnautović glich mit einer sehenswerten Einzelaktion aus (80.) und "Joker" Marcel Sabitzer stach in der Nachspielzeit mit dem Siegestreffer zum 3:2 entscheidend zu. Da war Montenegro mit den Kräften längst am Ende und in Unterzahl, weil Torjäger Vučinić nach Schiedsrichter-Kritik (Wen wunderte es nach dieser Leistung?) ausgeschlossen worden war.

"Nicht angezogene Handbremse, sondern letzten Prozent rausgeholt"

Für diesen Kraftakt seiner Mannschaft gab es von Koller nach aller zuvor geäußerter Kritik, auch den gerechten Lohn: "Wir haben nach der Pause eben genau so gespielt, wie wir müssen. Nicht mit 80 Prozent und angezogener Handbremse, sondern Vollgas. Die Partie stand auf Messers Schneide, aber wir haben Charakter und Moral gezeigt."

"Es ist ein wichtiger Lernprozess im Nationalteam, dass die Spieler merken immer 100 Prozent zu geben. Natürlich herrscht eine große Euphorie und sie haben Spaß, weil wir mit der EM unser Ziel erreicht haben. Aber wenn nur ein paar Prozent wegfallen, dann wird es gefährlich und die haben vor der Pause sicher gefehlt", analysierte Koller.

"Doch man hat am Ende deutlich gespürt, dass sie unbedingt gewinnen möchten. Sie wollten dieses dritte Tor, haben Gas gegeben und es auch gemacht. Das war hervorrragend. Diese Erfahrung nehmen wir gerne mit." Eine neue rot-weiß-rote Qualität. Handschrift Marcel Koller. Typisch Österreich im Jahr 2015.

Mehr dazu:
>> 3:2! Österreich gewinnt Krimi in Montenegro
>> Ergebnisse und Tabelle in Österreichs EM-Qualifikationsgruppe
>> Diashow: Österreichs Weg zur Europameisterschaft 2016

Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Podgorica