16.10.2015 13:36 Uhr

Trainerwechsel: Wenn das Tuch zerrissen ist

Ein heute kaum noch vorstellbares Bild: Thomas Tuchel umarmt FSV-Boss Harald Strutz
Ein heute kaum noch vorstellbares Bild: Thomas Tuchel umarmt FSV-Boss Harald Strutz

Heute trifft der 1. FSV Mainz 05 auf den BVB und damit Neu-Borussen-Coach Thomas Tuchel erstmals auf seinen Ex-Klub. Eine Geschichte, die noch nicht so ganz ausgestanden zu sein scheint und sich in die Riege einiger kurioser Trainertrennungen der Bundesliga einreiht.

Vor knapp eineinhalb Jahren gab Thomas Tuchel nach einer fast fünfjährigen Amtszeit als Cheftrainer beim 1. FSV Mainz 05 bekannt, dass er nicht mehr weiter für den Klub arbeiten wolle und eine Veränderung brauche. Eine Entscheidung, die das Tuch zwischen Tuchel und dem Mainzer Klubboss Harald Strutz bis heute zerrissen hat und für den einstigen A-Jugendtrainer des FSV zur Konsequenz hatte, dass man ihn ein ganzes Jahr lang nicht aus seinem Vertrag in Mainz entließ und ihn somit zu einem Sabbatjahr im Trainergeschäft zwang.

Während sich FSV-Manager Heidel in der jüngeren Vergangenheit eher versöhnlich zeigte und die sportlichen Qualitäten des ehemaligen Mainzer Trainers Tuchel lobte, ist der Ärger über Tuchels Entscheidung bei Strutz noch immer nicht ganz verflogen. Erst vor ein paar Tagen äußerte dieser sich erneut zu Tuchels Abgang aus der Rhein-Main-Metropole und zeigt sich angesichts des heutigen Spiels nur bedingt versöhnlich. "Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, sich nicht zu grüßen. Wir haben nur unterschiedliche Auffassungen von Respekt. Dabei bleibe ich, muss mich dafür auch nicht rechtfertigen", so Strutz, der Tuchel Respektlosigkeit durch Verhandlungen mit anderen Vereinen hinter dem Rücken der Mainzer vorgeworfen hatte.

Tuchel selbst wollte in der Pressekonferenz zum Spiel in Mainz nichts mehr zu dem Thema sagen, konnte es sich aber auch nicht verkneifen, zumindest ausführlich zu erklären, dass er sich nun nicht mehr über den Mainzer Klubchef ärgern wolle. Er verzichtete dabei auf eine verbale Gegenattacke, hinterließ aber den Eindruck, dass der Ärger über die Äußerungen von Strutz und seine erzwungene einjährige Trainerpause auch bei ihm noch nicht gänzlich verraucht ist.

Gestörte Kommunikation brachte Tuchel erst ins Amt

Eine andere Mainzer Trainerposse sorgte im August 2009 überhaupt erst dafür, dass Thomas Tuchel als Trainer den Weg in die Bundesliga fand. Erst einige Monate zuvor mit dem FSV in die 1. Liga aufgestiegen, wurde der norwegische Amtsinhaber Jørn Andersen als erster Bundesligatrainer bereits vor dem ersten Spieltag entlassen. Nach einer erfolgreichen Saison mit der Rückkehr ins Oberhaus und dem Einzug ins Pokalhalbfinale scheiterte Anderson noch vor dem Bundesliga-Start in der ersten Pokalrunde am VfB Lübeck und durfte anschließend seinen Hut nehmen.

Hauptakteur in der damaligen Posse war neben Anderson FSV-Manager Heidel, der die Entlassung des Norwegers auf Störungen in der Kommunikation zurückführte. "Unsere Stärken sind Teamwork, die Nähe zur Mannschaft und die interne Kommunikation. Unser Ansatz und der von Jørn Andersen haben nicht mehr übereingestimmt, weil der Trainer sich in eine andere Richtung entwickelt hat", gab Heidel hinsichtlich der Trennung von Anderson in einer Pressemitteilung des Vereins zu verstehen. In der Folge wurde U19-Trainer Tuchel befördert und stieg in den kommenden Jahren zur nächsten Mainzer Trainer-Ikone nach Jürgen Klopp auf.

Doch die Mainzer Trainerpossen sind keine Einzelfälle in der Bundesliga. Blickt man auf die mittlerweile über 50-jährige Ligageschichte zurück, ereigneten sich nicht nur in Mainz kuriose Differenzen zwischen Trainern und ihren Vorgesetzten.

Keine Stars kein Job

Mit seinem Vorstand verscherzt hatte es sich scheinbar Willi Entenmann, als er im November 1993 trotz eines 2:0-Sieges des 1. FC Nürnberg gegen Bayern München seinen Trainerstuhl räumen musste. Als Grund für die Entlassung wurden "unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten in der täglichen Zusammenarbeit" von FCN-Präsident Gerhard Voack genannt. Dass diese allerdings aus verletzter Eitelkeit resultierten, weil Entenmann die zuvor vom Finanz- und Verwaltungsrat bewilligten teuren Neuzugängen nicht einsetzte, kam dabei offiziell von Vereinsseite nicht zur Sprache. Trotz Fan-Protesten blieb die Nürnberger Führungsriege bei ihrer Entscheidung und entließ Entenmann.

Ebenfalls aus Eitelkeit verlor Dietrich Weise im Dezember 1986 seinen Trainerjob bei Eintracht Frankfurt. In diesem Fall war es allerdings sein eigener verletzter Stolz, der ihn das Amt kostete. Weil sein Spieler Wolfgang Kraus ab der kommenden Saison Manager und damit auch Vorgesetzter von Weise bei der Eintracht werden sollte, schmiss dieser Kraus kurzerhand aus dem Kader. "Schlechten Stil" warf Weise Kraus als Begründung vor. Der Frankfurter Vorstand sah in Weises Entscheidung ebenfalls keinen guten Führungsstil und entließ ihn wegen des Fehlens "einer gedeihlichen Zusammenarbeit" mit dem kommenden Manager.

Wenn der Trainer mal das Kräftemessen gewinnt

Tatsächlich einmal den Kürzeren im Kräftemessen mit dem eigenen Trainer und Umfeld zog im Sommer 1964 der Vorstand von Borussia Dortmund. Hermann Eppenhoff, seinerzeit Meistertrainer des BVB, wurde unmittelbar nach der Niederlage im Halbfinale des Europacups der Landesmeister gegen Inter Mailand entlassen. In der Nacht nach dem Spiel kam es zwischen Eppenhoff und dem BVB-Vorstand nicht nur zum Streit, sondern auch zu dessen Entlassung. Da der Vorstand nach dieser Entscheidung allerdings im Umfeld des Vereins heftigst unter Druck geriet, musste die Führungsetage der Borussia letztlich abdanken und Eppenhoff durfte, nach nur einem verpassten Pflichtspiel des BVB, zur Saison 1964/65 wieder seinen Trainerstuhl einnehmen.

Bei durchschnittlich rund dreizehn Trainerwechseln pro Saison in der Bundesliga dürften diese Trainerentlassungen nicht die letzten gewesen sein, die zu den Kuriositäten der Liga zählen. Oft genug brachte die Geschichte dabei auch unversöhnliche Entscheidungen und Ereignisse zum Vorschein und hinterließ bis heute Groll auf beiden Seiten. Zumindest in Sachen gegenseitigem Respekt können die Mainzer Verantwortlichen und Thomas Tuchel heute aber noch ein seltenes Zeichen setzen, in dem sie Größe beweisen und ihre Differenzen trotz aller Geschehnisse ausräumen.

Nils Marlow