16.11.2015 15:16 Uhr

Vor 10 Jahren: Skandalspiel in der Türkei

Schweizer Spieler flüchten nach dem Schlusspfiff in die Katakomben
Schweizer Spieler flüchten nach dem Schlusspfiff in die Katakomben

Viel stand auf dem Spiel als sich die Türkei und die Schweiz am 16. November 2005 zum Playoff-Rückspiel für die WM 2006 trafen. Ein turbulentes Duell endete im Chaos mit Tritten, Schlägen und wüsten Beschimpfungen.

Im Spätherbst 2005 wurden die letzten Plätze für die Weltmeisterschaft in Deutschland ausgespielt. In einem der Playoff-Duelle trafen mit der Schweiz und der Türkei zwei Mannschaften aufeinander, die in ihren Gruppen die direkte Qualifikation nur knapp verpasst hatten. Bereits im Hinspiel, das im Stade de Suisse in Bern stattfand, trat die Brisanz dieses K.o.-Duells offen zu Tage. Die Schweiz siegte durch Tore von Philippe Senderos und Valon Behrami verdient mit 2:0 und verschaffte sich eine vielversprechende Ausgangsposition für das Rückspiel in der Türkei. Den Gästen stieß sauer auf, dass es während der türkischen Nationalhymne Pfiffe und Buhrufe des Berner Publikums gegeben hatte.

Vier Tage lagen zwischen Hin- und Rückspiel – vier Tage, in denen sich die türkischen Medien und fanatische Fans in einen Rache-Rausch steigerten. Schon bei der Ankunft am Istanbuler Flughafen musste die Mannschaft von Nationaltrainer Köbi Kuhn registrieren, was in den kommenden Stunden auf sie zukommen sollte. Hunderte von türkischen Fans bedachten das Schweizer Team mit Beschimpfungen. Auf Plakaten wurden sie in der Hölle willkommen geheißen. Bei der Abfertigung der Schweizer ließen sich die Zollbeamten außerordentlich viel Zeit. Allein die Kontrolle des Passes von Alexander Frei, der im Hinspiel mit dem türkischen Trainer Fatih Terim aneinandergeraten und von der türkischen Presse danach besonders unter Beschuss genommen worden war, soll sich über eine halbe Stunde hingezogen haben. Auf dem Weg zum Stadion wurde der Mannschaftsbus dann mit Eiern, Tomaten und Steinen beworfen.

Tumulte nach Schlusspfiff

Im Spiel selbst beruhigten sich die Gemüter trotz eines hochspannenden Verlaufs. Bereits in der ersten Minute brachte Alexander Frei mit einem Elfmetertor den Hexenkessel Sükrü Saracoglu zum Schweigen – allerdings nur kurz. Die Türken antworteten mit einem Sturmlauf. Noch vor der Pause gingen sie durch zwei Treffer von Tuncay Sanli in Führung, nach dem Elfmetertreffer von Necati Ates in der 52. Minute fehlte ihnen nur noch ein Tor für die WM-Teilnahme. Sechs Minuten vor Schluss schloss Marco Streller einen der wenigen Konter der Schweizer zum vorentscheidenden 3:2 ab, der vierte türkische Treffer in der 89. Minute kam zu spät. Die Schweiz hatte sich für das Turnier in Deutschland qualifiziert. Der Schlusspfiff von Schiedsrichter Frank De Bleeckere war allerdings nur der Startschuss zu wilden Tumulten.

Dutzende von Gegenständen flogen auf die Schweizer Spieler, die fluchtartig versuchten, die Stadionkatakomben zu erreichen. Mehmet Özdilek, Co-Trainer der Türkei, setzte dabei die Kettenreaktion in Gang, als er dem vorbeisprintenden Valon Behrami ein Bein stellte. Benjamin Huggel rächte seinen Teamkameraden durch einen gezielten Tritt gegen Özdileks Oberschenkel, was wiederum den türkischen Verteidiger Alpay Özalan, damals in Diensten des 1. FC Köln, zu einem beherzten Tritt gegen Marco Streller veranlasste. All dies passierte unmittelbar vor dem Eingang in die Katakomben des Stadions.

Im Spielertunnel ging die Massenschlägerei zwischen Spielern, Trainern und Offiziellen. Selbst Ordner griffen auf türkischer Seite ein und schlugen auf ein deutsches Kamerateam ein, das die Situation filmen wollte. Der Schweizer Ersatzkeeper Stephane Grichting wurde derart heftig im Unterleib getroffen, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Ein Fifa-Beobachter berichtete später von einer eingetretenen Tür zur Schiedsrichter-Kabine. Nach den Handgreiflichkeiten sperrte sich das Schweizer Team für zwei Stunden in seiner Kabine ein.

Lange Sperren für Spieler und Offizielle

Die Folgen des Skandalspiels waren drastisch: Mehmet Özdilek wurde für ein Jahr, Emre Belözoglu bzw. Alpay Özalan für sechs Spiele gesperrt, die Türkei musste in der Folge sechs Pflicht-Heimspiele außerhalb des Landes vor leeren Rängen austragen. Fatih Terim kam einer Entlassung zuvor und trat zwei Monate nach den Ereignissen von Istanbul als Nationaltrainer zurück. Aber auch auf der anderen Seite gab es Konsequenzen. Benjamin Huggel wurde wegen seines Trittes gegen Özdilek ebenfalls für sechs Spiele gesperrt und verpasste so die Weltmeisterschaft.

Dort sorgte die Schweiz erneut für Schlagzeilen. Im Achtelfinale schieden die Eidgenossen sang- und klanglos gegen die Ukraine aus, nachdem sie im Elfmeterschießen das Kunststück fertig brachten, gleich sämtliche drei Versuche zu verschießen.

Ralf Amshove