03.01.2016 15:04 Uhr

Formstarke Spurs: Hodgsons Hoffnungsträger

Dele Alli ist eine der großen Entdeckungen der bisherigen Saison
Dele Alli ist eine der großen Entdeckungen der bisherigen Saison

In einer bemerkenswert unvorhersehbaren Premier-League-Saison schickt sich Tottenham Hotspur an, nach Jahren des Frusts endlich in die Spitzengruppe vorzudringen. Die Basis des Aufschwungs ist die konsequente Talentförderung des argentinischen Trainers Mauricio Pochettino, der auf eine längst vergessen geglaubte Zielgruppe setzt – Engländer!

Eigentlich gehört es zu den absoluten No-Gos eines jeden Nationalcoachs, sich allzu wohlwollend über Spieler eines bestimmten Vereins zu äußern. Zu leicht könnte dabei der Eindruck entstehen, bei der Wahl des Kaders Vorzugsrechte zu gewähren. Umso interessanter ist ein Zitat des englischen Cheftrainers Roy Hodgson, der kürzlich zugab, dass es sich für ihn besonders lohne, die Spiele Tottenhams zu verfolgen. Aus gutem Grunde, wie der 68-Jährige anfügt: "Dort stehen oft fünf Engländer zugleich auf dem Platz."

Hinter dieser im Grunde doch trivialen Aussage steckt eine besondere Botschaft: Seht her, auch mit unseren Jungs lässt sich erfolgreich Fußball spielen! Denn die Macher an der White Hart Lane werden derzeit für den Mut belohnt, in einer Liga mit knapp 70% Legionärsanteil auf Talente von der Insel gesetzt zu haben. Während Chelsea und Co. oftmals ohne Engländer in der Startelf auflaufen, prägen Shootingstars wie Harry Kane, Eric Dier und Dele Alli das neue Gesicht der Spurs.

Konstant mit modernen Mitteln

Die Belohnung: Tottenham rangiert zum Jahreswechsel auf Rang vier mit Sichtkontakt zur Spitzengruppe. Entsprechend deutlich formulierte der renommierte 'Guardian' jüngst, dass "nicht einmal mehr der Hauch eines Zweifels an der Titeltauglichkeit dieser Mannschaft bestehen kann". Dank der stärksten Abwehr der Liga haben die Nordlondoner in den vergangenen Monaten zu einer bemerkenswerten Konstanz gefunden, die im Mutterland des Fußballs nur noch die kühnsten Optimisten für möglich gehalten haben.

Haftete dem von Daniel Levy geführte Verein früher das Stigma eines chronischen Verlierers an, der sich selbst stets um die Früchte der harten Arbeit bringt, schwärmen die Briten nun in höchsten Tönen vom modernen Pressingstil der Spurs. Während die selbsternannten Titelkandidaten mit ihren prominent besetzten Kadern gerade international immer wieder an taktische Grenzen stoßen, überzeugt Tottenham durch ein nahezu perfekt ausbalanciertes System, das Kompaktheit mit Angriffslust vereint.

Identifikation als Schlüssel

Pochettino, zuvor bereits in Southampton erfolgreich, hat die Lilienweißen nach und nach zu einer Spitzenmannschaft geformt. Angeführt von Goalgetter Harry Kane, der sich bei aktuell elf Liga-Treffern anschickt, seine Bestmarke aus dem Vorjahr (21 Tore) zu knacken, überzeugt der Klub gleichermaßen daheim wie auf fremden Plätzen. Partien an der White Hart Lane sind endlich keine Langweiler mehr, hört man dieser Tage rund ums Stadion häufig. Lange haben die Fans auf ein Team gewartet, das ihnen Identifikation bietet.

Ihre Geduld wurde belohnt: Defensivspezialist Eric Dier (21) gehört ebenso zu den Leistungsträgern wie der erst 19 Jahre alte Dele Alli. Letzterer gilt neben Leicesters Jamie Vardy als große Entdeckung der laufenden Saison. Mit erfrischender Leichtigkeit prägt der Mittelfeldmann das Spiel der Spurs, die um den Wert ihres Youngsters wissen und sämtliche Anfragen der Konkurrenz abblocken. Wechseln wollen die Nachwuchsstars ohnehin nicht: "Der Trainer glaubt an uns jüngere Spieler", ließ Neu-Nationalspieler Dier in einem Interview wissen und verwies Wechselgerüchte umgehend ins Reich der Fabeln. Identifikation pur!

Rosige Zukunft an der White Hart Lane

Derartige Treuebekenntnisse befeuern die Aufbruchsstimmung in Tottenham ebenso wie der geplante Stadionneubau, der gerade erst von der Stadt London abgesegnet wurde. 550 Millionen Euro soll die 61.000 Zuschauer fassende Arena kosten, die in der Nähe der White Hart Lane entstehen und in drei Jahren bezugsfertig sein soll. Beste Aussichten für den Traditionsverein, der in seiner neuen Spielstätte am liebsten Champions-League-Fußball bieten würde. Mit dem zuletzt gefristeten Dasein als Dauergast in der Europa League will sich bei den Spurs niemand zufriedengeben.

Roy Hodgson dürfte sich darüber freuen. Im vergangenen Jahr zählten stets fünf bis sechs Akteure des Pochettino-Teams zum Aufgebot der Three Lions. Bei der anstehenden EM dürfte der Tottenham-Block eine zentrale Rolle in Englands Auswahl spielen. Noch sind es etwas mehr als fünf Monate bis zur Endrunde in Frankreich – genügend Zeit für den Nationalcoach, noch einige dieser besonders lohnenswerten Reisen an die White Hart Lane zu machen.

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Heiko Lütkehus