15.01.2016 10:00 Uhr

Higuaín: Wie Maradona? Noch nicht ganz!

Gonzalo Higuaín (l.) trifft in dieser Saison, wie er will
Gonzalo Higuaín (l.) trifft in dieser Saison, wie er will

Gonzalo Higuaín erweckt bei Napoli Träume vom Scudetto – und Vergleiche zu Diego Maradona. Europas Topklubs stehen Schlange. Die Quote des Argentiniers spricht für sich, doch bittere Rückschläge pflastern seinen Weg. Um in die Eliteliga vorzustoßen, ist der Titel beinahe Pflicht.

Es ist beinahe ein Automatismus. Wenn der SSC Napoli in der Erfolgsspur ist, wird ins oberste Regal gegriffen, was die Vergleiche angeht. Titelambitionen und die Partenopei sind untrennbar mit einem Namen verbunden: Diego Maradona.

Nach dem gelungenen Start der Ära Benítez im Herbst 2013 schwärmten die Medien von Marek Hamšík. Der Slowake sei der Schlüsselspieler, der die Mannschaft zum ersten Scudetto seit 1990 führen und damit "der neue Maradona" werden könne. Am Ende der Saison stand zwar der Pokalsieg, nicht aber die Meisterschaft, die Vergleiche zwischen Hamšík und einem der größten Fußballer aller Zeiten ebbten ab.

Gut zwei Jahre später starten die Neapolitaner den nächsten Angriff auf die italienische Krone. Nach der Hinrunde steht Napoli oben, zwei Punkte vor den Verfolgern Juventus und Inter. Der Traum vom Scudetto lebt wieder und getreu dem bekannten Automatismus haben die italienischen Medien wieder den legitimen Maradona-Nachfolger ausgemacht: "Higuaín wie einst Maradona", titelte "Tuttosport".

Herausragende Figur

In der Tat ist Gonzalo Higuaín momentan die herausragende Figur in einer starken Mannschaft. Der Angreifer ist beweglich, setzt seinen Körper gut ein und kann aufgrund seiner starken technischen Fähigkeiten auch ins schnelle Kombinationsspiel eingebunden werden. "Ich sehe nicht viele Stürmer im Weltfußball, die seine Qualität haben", sagt sein Trainer Maurizio Sarri über ihn. "Er ist unersetzbar für unser Team, selbst wenn er mal nicht trifft."

Dass der 28-Jährige auch noch Argentinier ist, ist Wasser auf die Mühlen der Wortakrobaten in den Sportredaktionen. Der Vergleich zu Maradona drängt sich förmlich auf.

Ein Blick auf die Statistiken hebt Higuaín aber eher auf eine Ebene mit einem anderen Rekordhalter. Derzeit steht er nämlich bei 18 Toren nach den 19 Hinrundenspielen. In der Geschichte der Serie A hat nur ein Spieler mehr Hinrunden-Tore erzielt: István Nyers erzielte in der Vorrunde 1949/50 einen Treffer mehr für Inter.

Immer zweistellig

Higuaín ist einer der formstärksten Fußballer in Europa. Seine Quote kommt allerdings keineswegs aus dem Nichts. Seit Jahren spielt der im französischen Brest geborene Stürmer auf höchstem Niveau. Die laufende Spielzeit ist bereits die achte in Serie, in der er zweistellig trifft.

Schon bei Real Madrid etablierte sich Higuaín in der Weltspitze (107 Tore in 190 Ligaspielen). Dass die Königlichen ihn 2013 für 40 Millionen Euro nach Neapel ziehen ließen, galt für viele als schwerer Fehler.

Nur die vielen Tore und Glanzlichter zu beleuchten, würde dem Karriereverlauf jedoch nicht gerecht werden. In den beiden bisher größten Spielen seiner Laufbahn stand Higuaín nämlich als tragischer Held im Mittelpunkt.

Tragischer Held

Beim WM-Finale 2014 gegen Deutschland vergab der Argentinier nach einem fatalen Fehlpass von Toni Kroos freistehend vor Manuel Neuer (21.).

Später wurde ihm ein Abseitstor und nach einer grenzwertigen Aktion des deutschen Torhüters auch ein möglicher Elfmeterpfiff aberkannt. Zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit wurde er ausgewechselt und musste mitansehen, wie sein Team in der Verlängerung den Titel verspielte.

Auch bei der Copa América im vergangenen Jahr stand Higuaín mit der Albiceleste im Finale kurz vor dem großen Triumph. Doch im Elfmeterschießen gegen Gastgeber Chile war er der erste, dem die Nerven versagten – der Anfang vom Ende, wieder zog er mit hängendem Kopf von dannen.

Niederlagen machen stark

Besonders diese bittere Niederlage hat ihn angestachelt: Higuaín arbeitete hart an sich, um endlich den Schritt zum Gewinnertypen zu machen. Er stellte seine Ernährung um, verlor vier Kilo, brachte sich körperlich in Bestform und ging mit einer nie dagewesenen Motivation in die neue Saison.

Der Mehraufwand hat sich gelohnt, der aktuelle Lauf gibt Higuaín recht. In vier der letzten sechs Ligaspiele traf er doppelt, gemeinsam mit Borussia Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang (ebenfalls 18 Tore) ist er derzeit aussichtsreichster Kandidat auf den Goldenen Schuh für den besten Torjäger Europas.

Solche Leistungen bringen den Angreifer logischerweise auch auf den Radar der internationalen Topklubs. Unter anderem winkt die Premier League mit dem dicken Scheckbuch. Chelsea und Arsenal werden immer wieder als Interessenten genannt.

Bayern zeigt Interesse

Darüber hinaus sagte Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge am Mittwoch: "Gonzalo Higuaín ist ein großartiger Spieler, der Bayern gefällt." Ein Transferversprechen an den kommenden Trainer Carlo Ancelotti, der die Serie A intensiv verfolgt? Nicht wirklich! Viel Hoffnung macht sich Rummenigge nicht: "Mein Freund Aurelio De Laurentiis möchte ihn nicht verkaufen."

Das muss der Napoli-Präsident auch nicht: Der Vertrag des Angreifers läuft noch bis 2018 und Higuaíns Bruder und Berater Nicolas sagte erst im November: "Selbst wenn ein Klub sich mit De Laurentiis einigen würde, hätten wir kein Interesse an einem Wechsel."

Ein echtes Treuebekenntnis oder der übliche Berater-Poker? Fakt ist nämlich auch, dass Verhandlungen über eine weitere Ausdehnung des Vertrags im Sommer gescheitert sind. Das spricht nicht dafür, dass Higuaín seine Zukunft auf Ewigkeiten am Vesuv sieht. Sollte er doch wechseln wollen, müsste ein potentieller Abnehmer allerdings tief in die Tasche greifen. Angeblich liegt die festgeschriebene Ablösesumme bei 95 Millionen Euro.

"Im Mai oben stehen"

Schwer vorstellbar, dass jemand bereit ist, diese Summe für einen Spieler hinzublättern, der zwar in absoluter Topform ist, bislang in den ganz großen Spielen jedoch versagt hat und deshalb als unvollendet gilt. Die Meisterschaft mit Napoli würde diese Wahrnehmung ändern. Der erste Schritt ist mit der Hinrunden-Meisterschaft bereits getan. Doch Higuaín will mehr: "Das bringt uns überhaupt nichts. Wir müssen im Mai ganz oben stehen. Nur das zählt."

Ob der automatisierte Vergleich mit Diego Maradona tatsächlich berechtigt wäre, sollte der Gewinn des Scudetto gelingen, sei dahingestellt. Zu schwer wiegt die Scharte der verlorenen Endspiele mit der argentinischen Nationalmannschaft.

Zumindest in Neapel hätte Higuaín aber spätestens dann Heldenstatus erreicht. Dann wären erfolgreiche Zeiten in Zukunft wohl auch eng mit seinem Namen verbunden...

Mehr dazu:
>> Vereinsspiele von Gonzalo Higuaín

Jochen Rabe