22.04.2016 11:54 Uhr

Vor 30 Jahren: Kutzop verballert den Titel

Dieser Fehlschuss begleitet Michael Kutzop bis heute
Dieser Fehlschuss begleitet Michael Kutzop bis heute

Mit einem einzigen Schuss kann Michael Kutzop am vorletzten Spieltag die Meisterschaft für Werder im Duell mit dem direkten Konkurrenten aus München sichern. Der Ball knallt an den Pfosten und eine Woche später holen die Bayern den Titel.

Alles spricht an jenem 22. April 1986 für den SV Werder Bremen. Die Norddeutschen haben in der Tabelle zwei Punkte Vorsprung und am vorletzten Spieltag den direkten Verfolger Bayern München zu Gast im Weser-Stadion. Ein Sieg gegen den Rivalen und die zweite Meisterschaft in der Vereinsgeschichte nach 1965 ist den Grün-Weißen nicht mehr zu nehmen. Lange steht es 0:0, bis Schiedsrichter Volker Roth in der 88. Minute für einen dramatischen Höhepunkt sorgt. Bei einer Abwehraktion im Strafraum gegen den gerade eingewechselten Rudi Völler springt Søren Lerby der Ball ins Gesicht. Der Unparteiische aus Salzgitter entschied aber zum Entsetzen der Bayern auf Handelfmeter.

Die Meisterschale lag also bereit, Werder musste sie sich kurz vor dem Schlusspiff nur noch schnappen. Eigentlich kein Problem, denn die Bremer hatten mit Michael Kutzop den wohl sichersten Elfmeterschützen der Liga in ihren Reihen. Mehr als 30 Mal war der Libero in seiner Karriere vom Punkt für Kickers Offenbach und Werder Bremen angetreten – nicht einen einzigen hatte er verschossen. Bei seinem wichtigsten sollte es aber soweit sein. Vor der Ausführung versuchten die Bayern-Spieler, den Schützen mit den üblichen Tricks zu verunsichern. Sie traten dem wartenden Kutzop auf den Fuß und flüsterten ihm allerlei Nettigkeiten ins Ohr. Nach eine gefühlten Ewigkeit lief Kutzop dann an, verlud Jean-Marie Pfaff im Kasten der Bayern – und knallte das Leder gegen den rechten Pfosten. Sekunden später war das Spiel vorbei und die Meisterschaftsentscheidung vertagt.

Werder zeigt Nerven

Eine Woche darauf musste Werder beim Tabellenfünften in Stuttgart antreten, Bayern traf auf den Vierten, Borussia Mönchengladbach. Während die Münchener kurzen Prozess mit den Westdeutschen machten und die Gladbacher mit 6:0 nach Hause schickten, zeigte Werder Nerven und verlor beim VfB mit 1:2. Die sicher geglaubte Meisterschale entglitt den Bremern aus den Händen und wanderte wieder einmal in den Süden.

Obwohl die Bremer zwei Jahre später mit Michael Kutzop den zweiten Meistertitel an die Weser holen konnten, konnte der Fehlschütze sein Elfmeter-Trauma lange Zeit nicht abschütteln: „Noch heute höre ich den Ball am Pfosten“. Kutzops Mitspieler Jonny Otten scherzte später, dieser Fehlschuss habe ihn um eine Eigentumswohnung gebracht. Weil sich jede Menge Bayernfans telefonisch für den Pfostenschuss bedankten, musste Familie Kutzop gar die Telefonnummer wechseln. Das Vertrauen seines Trainers Otto Rehagel behielt der Abwehrspieler aber trotz seines Missgeschicks. In den letzten vier Jahren seiner Karriere blieb er der Elfmeterschütze der Bremer, trat achtmal an – und verwandelte alle.

Ralf Amshove