27.04.2016 10:15 Uhr

Simeone schickt die Spieler "in den Tod"

Diego Simeone gibt bei Altético stets die Richtung vor
Diego Simeone gibt bei Altético stets die Richtung vor

Seit knapp fünf Jahren lenkt Diego Simeone die Geschicke bei Atlético Madrid. Unter ihm hat sich der Verein vom Schatten des großen Stadtrivalens Real gelöst und in der europäischen Spitze etabliert. Der ganze Verein folgt dabei den Überzeugungen des Trainers.

"Wir müssen mit dem Messer zwischen den Zähnen antreten", ist ein legendäres Zitat von Simeone, das sich eigentlich auf jedes Spiel seiner Mannschaft übertragen lässt. Simeone steht immer für absoluten Einsatz, absolute Überzeugung und absolute Aggressivität nah an der Grenze zum Unsportlichen – auf und neben dem Platz. 

Wie schnell die Grenze zum Unsportlichen dabei überschritten werden kann, zeigte sich am zurückliegenden Spieltag in der Primera División. Ein Konter des Gegners aus Malaga drohte gerade das Tor der Rojiblancos zu gefährden, als auf einmal ein zweiter Ball aus Richtung der Atlético-Bank auf das Spielfeld flog. Der Ball sorgte für Verwirrung und ließ den Angriff verpuffen. Anschließend schickte der Schiedsrichter Trainer Simeone auf die Tribüne. TV-Bilder ergaben nachträglich, dass der Argentinier einen Balljungen zum Wurf animiert haben könnte. Jetzt droht dem heißblütigen Coach eine Ligasperre bis zum Saisonende.

Der Trainer reißt alle mit

"Fußball sind Emotionen, Enthusiasmus", propagiert Simeone selbst. Dies fordert er nicht nur von seinen Spielern ein. Oft genug peitscht der Übungsleiter das ganze Stadion ein und sorgt so im Vicente Calderón regelmäßig für Gänsehaut-Atmosphäre. Eine Stimmung mit der auch die Bayern-Spieler im Hinspiel (ab 20:45 Uhr im sport.de-Liveticker) zu kämpfen haben werden. Bayer Leverkusen durfte bereits letztes Jahr Erfahrung mit dem Rot-Weißen-Hexenkessel machen.

Dabei geriet Bayer-Trainer Roger Schmidt im Achtelfinale der Königsklasse mit dem Madrider Trainerbank aneinander. Hinterher sagte der 49-Jährige bei "Sky": "Der Betreuer wird ja immer als eine Art Türsteher vorgeschickt, provoziert gelbe Karten." Auch mit Simeone persönlich war es im Laufe der 90 Minuten zu mehreren Disputen gekommen. Der argentinische Chefcoach gab hinterher zu Protokoll, er wolle seinem Betreuer lediglich "zu Hilfe" gekommen sein. 

Showman und akribischer Arbeiter

Die große Show an der Seitenlinie ist aber nur ein Aspekt des Simeone-Erfolges. Der 106-fache Nationalspieler, mit Hang zu derber Sprache, formte Atlético Madrid in den letzten fünf Jahren zu einer europäischen Spitzenmannschaft. Ein Erfolg, der vor allem auf harter Arbeit zurück zu führen ist.

Auf die Frage wie viel Zeit er mit Fußball verbringt antwortete er während seines zweiten Amtsjahres in Madrid: "24 Stunden am Tag. Wenn ich ins Kino gehe und mir während des Films eine Idee für das nächste Training kommt, rufe ich meine Assistenten an und spreche das durch. Wenn ich mit meiner Familie spreche, denke ich dabei an Fußball. Ich kann gar nicht anders."

Die Abwehr thront über allem

Besonders widmet sich der exzentrische Übungsleiter dabei der Defensive. Eine perfekte Organisation und Raumaufteilung auf dem Platz, die dem Gegner kaum Möglichkeiten gibt Chancen zu kreieren, sind stets das prägende Element im Spiel der Madrilenen.

Trotz Top-Torjäger Griezmann und einem wiedererstarkten Fernando Torres, ist daher die Abwehrarbeit das Herzstück des Simeone-Stystems. Mit gerade einmal 16 Gegentoren stellt Atleti momentan die beste Verteidigung der Primera División. Fußballästhetik à la Guardiola ist dabei sicherlich kein Ideal, das in Madrid gepflegt wird, doch der Erfolg spricht für sich.

Bisherige Höhepunkt des oft destruktiven Spielstils: In der Saison 2013/14 errang der Hauptstadtklub seine erste Meisterschaft nach fast 20-jähriger Durststrecke. In der Königsklasse musste sich die Simeone-Elf im Finale erst nach zwischenzeitlichem Last-Minute-Ausgleich in der Verlängerung gegen Lokalrivale Real Madrid geschlagen geben. Eine Niederlage, die den Trainer und seine Mannschaft aber nur noch enger zusammengeschweißt haben dürfte.

"In jeden Ball wie in den Tod“

"Atlético hat den gleichen Stil, den Simeone als Spieler hatte. Perfektes Stellungsspiel, eine starke Konzentrationsfähigkeit und vor allem Charakter", sagte einst der künftige München-Coach Carlo Ancelotti über die Atletico-Simeone-Symbiose. Und auch beim kommenden Gegner hat dieser Stil schon für erheblich Respekt gesorgt: "Es war das Team gegen das ich am wenigsten spielen wollte. Für mich ist es der härteste Gegner", sagte Bayerns spanischer Nationalspieler Javi Martínez vor dem Champions-League-Duell.

"Wir sind einfach eine Gruppe ehrlicher Arbeiter, da gibt es schlechtere Werte in der heutigen Gesellschaft", bringt Simeone selbst seine Erfolgsformel auf den Punkt. Seine Spieler haben dabei längst verinnerlicht, worum es dem Trainer geht: "Wir gehen in jeden Ball wie in den Tod, wie in ein Finale. Nur mit dieser Einstellung ist es möglich für uns, gegen eine Mannschaft wie den FC Bayern zu bestehen", tönt Mittelfeldspieler Saúl Níguez vor dem Hinspiel.

Auf die Bayern wartet also ein heißer Tanz im Vicente Calderón. Neben einem Abwehrbollwerk der Spitzenklasse treffen die Münchener dann auf einen der besten und charismatischsten Trainer im Fußballgeschäft. In Madrid dürften die Messer für das Duell mit dem deutschen Rekordmeister ohnehin schon gewetzt sein.

Falk Velten