05.05.2016 10:02 Uhr

Trautmann: Für City den Kopf hingehalten

Trautmann im FA-Cup-Finale von 1956: Bei einer Rettungsaktion bricht sich der Keeper das Genick
Trautmann im FA-Cup-Finale von 1956: Bei einer Rettungsaktion bricht sich der Keeper das Genick

Vor 60 Jahren stand Bert Trautmann beim FA-Cup-Triumph von Manchester City zwischen den Pfosten - und brach sich das Genick. Die unfassbare Geschichte eines deutschen Kriegsgefangenen, der der Beste aller Zeiten wurde.

Als sich der Kriegsnebel über Europa im April 1945 langsam lichtete, war unter den zahlreichen Kriegsgefangenen der geschlagenen Wehrmacht auch ein junger Bremer. Der 21-jährige Fallschirmjäger Bernhard Trautmann, der schon in Russland inhaftiert wurde, betrat erstmals englischen Boden in einem Gefangenenlager nahe Liverpool. "In England begann meine Erziehung", wiederholte Trautmann später gerne, der von der Menschlichkeit der ehemaligen Feinde überwältigt war; abseits des Feldes stets als höflich, zurückhaltend und ehrlich beschrieben, lernte der Deutsche vor allem die Toleranz und Gutherzigkeit der Briten zu schätzen.

Letztere erkannten schnell, dass der athletische Knabe mit einem herausragenden Talent auf der Torhüterposition ausgestattet war. Nachdem Bert, wie er auf der Insel genannt wurde, sich im Team des Gefangenenlagers einen Ruf als furchtloser Keeper erarbeitet hatte, folgten im Anschluss an seine Gefangenschaft zahlreiche Angebote von Provinzvereinen. Trautmann schlug sie alle aus. Angesichts seiner persönlichen Situation - die erste Tochter war auf dem Weg - schien ihm das Abenteuer Fußballer ein zu großes Wagnis. Einige Zeit verdingte er sich auf einem Bauernhof und spielte bei einem lokalen Klub, ehe er sich letztlich für ein Arbeitspapier bei Manchester City entschied.

Wieso die Citizens das Rennen vor hochrangigen Nebenbuhlern machten? "Die City-Verantwortlichen lockten St. Helens' Sportdirektor zu vermeintlichen Verhandlungen nach Manchester, standen aber plötzlich vor meiner Tür. Ich lag an dem Tag mit einer Grippe im Bett. Sie schwärmten von mir und hatten einen Vertrag dabei. Ich wollte sie einfach nur loswerden – weil ich auf die Toilette musste. Doch sie redeten weiter. Irgendwann hatte ich genug und unterschrieb. Von dem Tag an war ich ein Citizen."

"Es gibt keinen Krieg in dieser Kabine"

1949, nur vier Jahre nach Kriegsende, verpflichtete Manchester City damit einen ehemaligen deutschen Soldaten. Der Aufschrei war gewaltig, vor allem die jüdische Gemeinschaft lief Sturm. Zehntausende demonstrierten auf den Straßen der englischen Arbeitermetropole gegen "Traut the Kraut", etliche Fans verfassten Protestbriefe oder gaben ihre Dauerkarten zurück.

Doch nicht jeder war gegen den Deutschen: Der Rabbi von Manchester, Alex Altmann, appelierte in einem offenen Schreiben an die Bürger der Stadt, unvoreingenommen mit Trautmann umzugehen. "Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, dann kann ich keinerlei Nachteil erkennen. Jeder muss nach seinem persönlichen Wert beurteilt werden." Auch seine Teamkollegen empfingen den Deutschen vorbehaltlos, obwohl viele von ihnen in der Normandie gekämpft hatten. "Es gibt keinen Krieg in dieser Kabine. Willkommen und viel Glück, Bert", begrüßte ihn City-Kapitän Eric Westwood bei seiner Ankunft.

Es war vor allem seine unnachahmbare Art, die Bert Trautmann zu einer Ikone zwischen den Pfosten und abseits des Spielfelds werden ließ. Ohne Angst vor dem Zusammenprall perfektionierte er das Herausstürmen: Bei der kleinsten Unsicherheit in der Ballführung des Stürmers warf er sich mit dem Momentum einer Großkatze auf das Leder. "Wenn wir gegen Bert spielten, sagte unser Coach: Schaut ja nicht ins Tor, bevor ihr schießt. Denn er wird eure Gedanken lesen", erinnert sich Sir Bobby Charlton, Klublegende von Citys Stadtrivalen United. Die Zahl seiner Bewunderer nahm Woche für Woche zu, mit seiner norddeutschen Gelassenheit flogen dem attraktiven und bodenständigen Trautmann die Herzen der Briten zu. Englands Torwart-Legende Bob Wilson gab zu, Trautmann sei sein Vorbild und Grund dafür gewesen, überhaupt einmal im Kasten stehen zu wollen.

Once a Blue, always a Blue

Am 5. Mai vor 60 Jahren kam es schließlich zu dem Spiel, das Bert Trautmann für immer einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Fans gesichert hat. Es ist das FA-Cup-Finale 1956, Manchester City führt im Wembley Stadium in der 75. Minute mit 3:1 gegen Birmingham. Wieder einmal schmeißt sich der Keeper mit vollem Risiko einem herannahenden Angreifer entgegen - und wird von Peter Murphy mit dem Knie am Kopf getroffen. Der zweite Rückenwirbel bricht. Eigentlich hätte das den Tod oder eine Lähmung Trautmanns bedeutet, doch der dritte Nackenwirbel schiebt sich unter den vorderen, stabilisiert dadurch den Hals ein wenig.

Bert bleibt zuerst benommen liegen. "Ich wusste sofort, dass er schwer verletzt war", erinnert sich sein damaliger Mitspieler Bill Leivers. Aber der baumhohe Deutsche richtet sich auf, spielt das Finale zu Ende. Nahe der Bewusstlosigkeit pariert er noch weitere Male, bricht zwischendurch immer wieder zusammen. Alles war grau in der Schlussphase, erinnert Trautmann sich später, wie im Nebel erkannte er die anderen Akteure nur schemenhaft. Eine Viertelstunde später steht der Torhüter noch immer und empfängt den Glückwunsch der Queen.

Langer Weg zurück

Fünf Monate verbrachte Bert danach mit einem Gips um den Hals und kehrte danach stärker zurück als je zuvor. Bis zu seinem Karriereende 1964 im Alter von 41 Jahren bestritt er über 600 Partien für die Citizens. Nur in die Nationalmannschaft schaffte er es nie. Trainer Sepp Herberger zog heimische Spieler den "Legionären" vor. Bei City war Bert zeitlebens unumstritten. Zu seinem letzten Spiel kamen 60.000 Zuschauer, die nach dem Abpfiff das Tor ins eine Einzelteile zerlegten. Kein Mensch sollte mehr in dem Tor stehen, in dem Bert Trautmann gestanden hatte.

Nach seiner aktiven Zeit arbeitete Trautmann kurz als Trainer, vor allem aber als fußballerischer Entwicklungshelfer in Afrika und Asien. Er wurde mit dem Bundestverdienstkreuz geehrt und erhielt den Order of the British Empire von der Queen. 2007 wählten ihn die Fans der Sky Blues zu Manchester Citys bestem Spieler aller Zeiten. Der deutsche Torhüter, der bis zu seinem Lebensende 2013 immer wieder nach Manchester zurückkehrte, avancierte vom Kriegsgefangen zum Botschafter für Völkerverständigung.

Kevin Brüssel