28.06.2016 14:07 Uhr

"Wikinger haben vor niemandem Angst"

Der EM-Traum geht für Island weiter
Der EM-Traum geht für Island weiter

Rund 20.000 registrierte Fußballer sind bei Islands Vereinen gemeldet. In Hallen läuft der Nachwuchs dem runden Leder nach und träumt vom Sprung in die englische Premier League. Täglich bebt auf Island die Erde. Auf der britischen Insel hat das Nationalteam der Nordländer am Montag für ein sportliches Erdbeben gesorgt.

Das 2:1 im EM-Achtelfinale gegen England ist eine der größten Überraschungen der Fußball-Historie. In der Runde der letzten Acht bekommen es die Isländer nun am Sonntag im Stade de France von Saint-Denis mit Gastgeber Frankreich zu tun. Island wird erneut alles in die Waagschale werfen.

"Wir haben noch nicht alles gezeigt, was wir können. Ich hoffe, dass unser bestes Spiel erst noch kommt", kündigte Trainer Heimir Hallgrimsson an. Torschütze Ragnar Sigurðsson erklärte nicht ohne Klischee: "Wir sind Wikinger, wir haben vor niemandem Angst. Wir haben England geschlagen, also können wir auch Frankreich schlagen." Zuzutrauen ist den Isländern dies allemal.

Britischer als die Briten spielten "Strákarnir okkar" (unsere Burschen) in Nizza. England ging zwar durch Wayne Rooney per Elfmeter in der 4. Minute in Führung, doch Sigurðsson (6.) und Kolbeinn Sigþórsson (18.) schlugen innerhalb von nur zwölf Minuten zurück. Island verteidigte das 2:1 danach geschickt und mit enormem Einsatz. Englands Topstürmer blieben gegen die "Nobodys" aus dem Norden wirkungslos.

"Haben die Welt verändert"

Torhüter Hannes Halldórsson verdient in Norwegen (FK Bodø/Glimt) sein Geld, die Verteidiger Birkir Sævarsson (Hammarby), Ragnar Sigurðsson (FK Krasnodar), Kári Árnason (Malmö FF) und Ari Freyr Skúlason (Odense BK) waren vor der EM ebenfalls kaum bekannt. "Wir haben die Welt schockiert", meinte Islands Star Gylfi Sigurðsson. Der Mittelfeldmann stand schon bei Tottenham unter Vertrag, nun spielt er für Swansea City ebenfalls in der Premier League. Als Kollektiv war seine Elf an diesem Tag nicht zu bezwingen.

Während in Reykjavik die Anhänger in Euphorie verfielen, feierten die Isländer in Nizza im Stadion mit ihren Fans. Der bei Cardiff City in der zweiten englischen Liga spielende Kapitän Aron Gunnarsson intonierte Wikinger-Schlachtrufe und sah mit nacktem Oberkörper, Vollbart und Tattoos dabei durchaus furchteinflößend aus. "Es ist ein stolzer Moment, er bleibt für den Rest unseres Lebens in unseren Erinnerungen", sagte Gunnarsson danach.

Nie zuvor hat ein sportliches Ereignis die Einwohner der kleinen Atlantikinsel derart fasziniert wie dieses kontinentale Fußballturnier. Selbst die Präsidentenwahl am Samstag stand im Schatten dieser eigentlich durchschnittlichen und spielerisch limitierten, aber niemals aufgebenden und immer kämpfenden Auswahl. Nur etwas mehr als 330.000 Einwohner zählt Island. 145 Vereine gibt es - in England sind es über 40.000.

England in Panik verfallen?

"Die Engländer haben geglaubt, es wird ein Spaziergang. Ich glaube, sie sind in Panik verfallen. Es ist nicht leicht, gegen Island ein Tor zu erzielen", meinte Sigurðsson. Schon in der Qualifikation für Frankreich biss sich die Niederlande an den Isländern die Zähne aus. In der Gruppe gelang nach 1:1-Unentschieden gegen Portugal und Ungarn mit einem 2:1 gegen Österreich der Aufstieg. Und nun das.

"Wir haben schon vor diesem Spiel gesagt, dass man bereit sein muss, wenn man das Beste vom Leben will. Und diese Burschen waren heute bereit", sagte Trainer Hallgrímsson, der die Mannschaft gleichberechtigt mit dem Schweden Lars Lagerbäck führt. Der 49-Jährige, der in Island lange Zeit als Zahnarzt tätig war, war deshalb auch für das Viertelfinale hoffnungsvoll.

"Manche sagen, Island ist zu optimistisch. Aber wir haben einen Gameplan, den wir gegen diese Teams benutzen können", betonte Hallgrímsson. Die französische Sportzeitung "L'Equipe" warnte bereits: Mit einer "furchterregenden Einfachheit" spiele der von den Franzosen nicht erwartete Kontrahent. "Island hat eine defensive und vorhersehbare Spielstrategie, was sie zu keinem leichten Gegner macht. Ganz im Gegenteil."

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apa