29.06.2016 13:10 Uhr

Duglegur! Island traut sich alles zu

Islands Trainer Heimir Hallgrímsson glaubt an weitere Kapitel des Fußball-Märchens
Islands Trainer Heimir Hallgrímsson glaubt an weitere Kapitel des Fußball-Märchens

Island hat bei der EM eine Saga geschrieben, von der noch Generationen erzählt bekommen werden. Ein neues Kapitel soll folgen.

Das Zauberwort heißt "duglegur". Es ist ein isländisches Adjektiv, eines dieser Wörter wie Weltschmerz oder Gemütlichkeit, die sich in keine andere Sprache bedeutungsgetreu übersetzen lassen. Es wird oft benutzt, um Kinder zu loben, wenn sie sich besonders angestrengt haben, wenn sie schaffen, was man ihnen nicht zutraute. Es bedeutet auch: tapfer, wehrhaft, arbeitsam.

Kurz gesagt: duglegur, ausgesprochen "tüglegchür", erzählt viel über Island und seine Fußball-Nationalmannschaft. "Wenn du das Beste im Leben willst, musst du bereit sein, wenn die Chance kommt! Das kann dein Leben verändern", sagte deren Trainer Heimir Hallgrímsson am Mittwochvormittag während seiner Pressekonferenz in Annecy. Eine solche Chance kommt am Sonntag: Das EM-Viertelfinale gegen den Gastgeber Frankreich vor fast 80.000 Zuschauern in St. Denis.

Die zähen Männer aus dem eisig-zerklüfteten Norden waren wahrhaft duglegur bei dieser EM, sie sehen deshalb auch überhaupt keinen Grund, sich in eine Außenseiterrolle zu fügen. Die Saga, von der jeder "Islendingur" noch seinen Kindern und Kindeskindern erzählen wird, soll ein neues Kapitel bekommen.

Sigurðsson voller Zuversicht

"Wir können jeden schlagen. Wir haben noch nicht gezeigt, was wir können", betonte Hallgrimsson, was nach dem sensationellen 2:1 gegen England im Achtelfinale doch sehr erstaunte: "Unser bestes Spiel kommt hoffentlich noch!" Innenverteidiger Ragnar Sigurðsson forderte sogar, seine Mannschaft müsse gegen Frankreich "noch ein wenig dominanter spielen".

Die Isländer, das ist ihre größte Stärke, trauen sich inzwischen alles zu. Sie sind vom Fußball-Zwerg zum Riesen erwachsen - spätestens seit dem Sieg gegen England, den Sehnsuchtsort der isländischen Fans. "Dieser Triumph verändert unsere Mentalität. Ab jetzt wird jedes Hindernis kleiner aussehen als zuvor", sagte Hallgrímsson pathetisch. Also auch: Die Aufgabe, den Gastgeber aus seiner EM zu werfen.

Das Fieber hat die gesamte Insel mit ihren 31 aktiven Vulkanen erfasst. Auch die, deren Leidenschaft eigentlich nicht "Knattspyrna", sondern der Handball ist. "Wir erleben die größte Sensation unserer Sportgeschichte", sagte Dagur Sigurdsson, Trainer der deutschen Europameister, dem "SID": "Ich drücke den Fußballern die Daumen und bin stolz. Ich traue ihnen zu, auch Frankreich zu ärgern."

"Wir sind optimistisch"

Der Respekt ist jedenfalls europaweit enorm gestiegen. Schon die Qualifikation war auf dem Kontinent als Erdbeben mittlerer Stärke angekommen, der Achtelfinal-Sieg erschütterte nicht nur die blamierten Engländer. "Vorsicht vor den Wikingern! Sie haben England geschlachtet", schrieb am Mittwoch die französische Sporttageszeitung "L'Équipe". "Frankreich muss auf der Hut sein." Vor Island!

Es ist ein wundersamer Siegeszug, der an Griechenland bei der EM 2004 zu erinnern beginnt. Stets sagen alle: "Jetzt haben sie wirklich keine Chance mehr!" Und es kommt doch anders. "Wir sind noch hier, weil wir immer an uns geglaubt haben", sagt Hallgrímsson. "Wir sind optimistisch. Manche sagen, die Isländer seien zu optimistisch. Ja, wir können scheitern. Aber: Wir haben einen Plan."

Derzeit ist der gelernte Zahnarzt noch gleichberechtigt mit dem routinierten Lars Lägerbäck. Das wird sich nach der EM ändern. "Ich freue mich sehr darauf, auf der Tribüne in Reykjavik zu sitzen. Ich werde fluchen, wenn sie es nicht vernünftig machen", sagte der Schwede am Mittwoch lachend. Kommt es anders, könnte er sagen: "Duglegur!" - gut gemacht.