20.07.2016 11:34 Uhr

Nagelsmann: "Gibt mehr als Fußball"

Julian Nagelsmann ist der jüngste Bundesligatrainer aller Zeiten
Julian Nagelsmann ist der jüngste Bundesligatrainer aller Zeiten

Hoffenheims Coach wird am Samstag 29 Jahre alt: Im Interview in der "Sport Bild" zeigt sich Julian Nagelsmann als bodenständiger Typ der zum Leben nicht viel mehr braucht als seine Familie und zwölf Mehrkornbrötchen.

Wegen Verletzungen musste Nagelsmann früh seine Karriere aufgeben. Ein Jahr zuvor verlor der damals 20-Jährige zudem seinen Vater. Er musste sich um die Beerdigung, ein kleineres Haus für die Mutter und viele andere Dinge kümmern. Zeit zum Trauern blieb kaum. "Ich bin früher erwachsen geworden, als wenn es anders gelaufen wäre", blickt der 28-Jährige positiv nach vorne. All das habe ihn geprägt, auch wenn seine Vorstellungen von der Zukunft im Teenager-Alter sicherlich andere gewesen waren. 

Deshalb möchte der Hoffenheimer Trainer auch nicht bis zur Rente Coach sein. "Man hat nur ein Leben, soll man da die ganze Zeit nur für Fußball aufbringen?", gibt der fast 1,90 Meter große Mann in der "Sport Bild" zu Protokoll. "Ich habe eine Kite-Ausrüstung. Schöne Freizeitgestaltungen sind für mich Luxus. Deshalb muss man auch mal den Fernseher ausschalten, wenn ein gutes Fußballspiel läuft. Gesundheit und eine glückliche Familie sind wichtiger." 

Keine private Verbindung mit Spielern

All diese Dinge könne man auch mit dem besten Vertrag nicht kaufen. Deshalb hat sich der 28-Jährige auch noch nie Gedanken darüber gemacht, was andere verdienen. "Ich bin von Neid so weit weg wie wir von China." Nagelsmann ist genügsam: "Wenn ich abends nach Hause gehe und mir beim Bäcker zwölf Mehrkornbrötchen kaufen kann, ist das völlig in Ordnung."

Sollten die Hoffenheimer ihr Testspiel am Samstag gegen KV Oostende gewinnen, wird es nicht nur ein Esse zur Feier des 29. Geburtstags von Nagelsmann geben, "dann gibt's vielleicht auch ein Bier", versprach der Trainer, der ansonsten nicht mit den Spielern zusammen ausgeht. "Die Spieler wissen alle, dass es ein Trainer-Spieler-Verhältnis gibt." Er habe auch in der U19 nie etwas mit seinen Spielern privat gemacht: "Die kommen in der Freizeit alle gut ohne mich zurecht."

Nagelsmann, der selbst vor Spielen zwei Energy-Drinks trinkt, macht seinen Spielern keine strikten Vorgaben über Essen und Trinken, sagt aber: "Natürlich achten wir die Ernährung. Ich möchte das aber nicht reglementieren." Für ihn ist Essen nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern auch Genuss. "Meine Spieler bewegen sich viel, da kann man ab und an auch mal was Ungesundes essen."

"Jeder hier hasst das Mittelmaß"

Wie Carlo Ancelotti ist Nagelsmann ein nahezu ständiger Kaugummi-Kauer. Das hat aber auch seine Gründe: "Der Mund wird schnell trocken, wenn man so viel schreit. Und immer nur trinken geht ja auch nicht." Außerdem gebe es noch einen weiteren, positiven Nebeneffekt: "Wenn man kaut, nimmt das ein bisschen Druck weg und man bleibt lockerer." Airwaves mit Kirsch- und Cassis-Geschmack sind Nagelsmanns Favoriten.

Was Hoffenheims Zukunft angeht, ist der Trainer optimistisch, dass es für das Team aus dem Süden weiter nach vorn gehen kann. "Jeder hier hasst das Mittelmaß. Wir haben zuletzt in den Spielen immer 30 Minuten gut gespielt. Ziel muss es jetzt sein, 70 Minuten auf diesem Niveau zu spielen." Das steigere die Wahrscheinlichkeit, mehr Punkte zu holen. 

Gelobt wird Nagelsmann für seine Arbeit im taktischen Bereich, die sehr umfangreich ausfällt. Das ist für die Spieler nicht immer ganz einfach, muss der 28-Jährige zugeben: "Wenn ich zehn Informationen gebe, bleiben sieben hängen." Das sei besser, als würden nur zwei von fünf hängen bleiben. Er weiß: "Es schadet nicht, dass man was vom Fußball versteht, wenn man bei mir Spieler ist." 

Menschenführung ist der Schlüssel

Nagelsmann ist begeisterter Motorradfahrer. Wenn er die Wahl zwischen einer Fahrstunde bei Weltmeister Valentino Rossi oder ein Taktikschulung bei Pep Guardiola hätte, würde er aber doch die Dienste des ehemaligen Bayern-Coaches bevorzugen. "Motorradfahren ist für mich persönlich kein Sport: Es ist ein Moment, in dem Du mit der Straße allein bist und richtig was von der Natur mitbekommst."

An Guardiola habe er sich sicherlich ein wenig orientiert, das größere Vorbild sei aber Thomas Tuchel. "Am Ende musst Du aus den vielen Reizen aber den eigenen Weg finden", sagt Nagelsmann in der "Sport Bild", dem die besten taktischen Einfälle abends vor dem Einschlafen kommen. 

Wichtiger als all die Taktik sei aber die "Menschenführung, das ist der entscheidende Faktor", glaubt der Mann an der Linie. "Wie kriege ich es hin, dass 23 Leute in dieselbe Richtung marschieren?" Das sei nur begrenzt erlernbar. "Was das fußballerische Know-How betrifft, kann man sich auch viel anlesen." Schon früh habe er gemerkt, dass er eine Gruppe begeistern kann: "Ich war in der Schulzeit aber bestimmt auch für viele nervig."