29.07.2016 14:25 Uhr

ÖFB kann sich selbst nicht viel vorwerfen

Willi Ruttensteiner und Marcel Koller analysierten die EM auf einer zweitägigen Klausur in der Schweiz
Willi Ruttensteiner und Marcel Koller analysierten die EM auf einer zweitägigen Klausur in der Schweiz

"Faktum ist, dass das Ausscheiden eine riesige Enttäuschung ist, da gibt es nichts schönzureden." Mit diesen Worten eröffnete ÖFB-Präsident Leo Windtner am Freitag die Analyse-Pressekonferenz zum Abschneiden des Nationalteams bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Ursachen für das vorzeitige Out wurden viele gefunden.

"Wir wollen Antworten auf entscheidende Fragen geben, warum das Nationalteam nur einen Punkt erreicht hat. Wir wollen das auch deswegen, weil wir die EM damit abschließen können, unsere Lehren daraus ziehen und um dann erfolgreich in die Qualifikation einsteigen zu können", gab Willi Ruttensteiner zu Protokoll.

"Von der Organisation und dem Management her hat der ÖFB eine sehr gute Performance abgeliefert", meinte der Sportdirektor. Zwei Fehler sind dennoch passiert: "Nach dem Spiel gegen Portugal mussten wir 50 Minuten auf die Dopingkontrolle warten und sind deswegen verspätet zum Essen in die Botschaft gekommen. Beim Heimflug wurde das Flugzeug noch aufgetankt. Insgesamt war es ein Zeitverlust von rund zweieinhalb Stunden. Wir tragen nur bedingt Schuld daran, eine Nächtigung in Paris wäre aber besser gewesen."

Bei einem EM-Spiel begann die Aktivierung am Vormittag auf einem Trainingsplatz auch mit 20 Minuten Verspätung. "Wir hatten bezüglich dem Standort keine Alternative. Die Eskorte der französischen Polizei hat es aber nicht geschafft, uns rechtzeitig durch den zähen Verkehr zu schleusen", benannte Ruttensteiner das zweite Versäumnis seitens des ÖFB.

Angeschlagene Spieler

"Über das ganze Turnier hindurch hatten wir kein qualitatives Spiel in Ballbesitz. Wir haben in entscheidenden Situationen Chancen vergeben. Konzentration, Präzision und Konsequenz haben gefehlt. Es war auffällig, wie viele Fehlpässe wir gespielt haben. Wir hatten wenig Selbstvertrauen und im Pressing nicht unser übliches Selbstverständnis", sprach Koller. Aber warum funktionierte es nicht?

"Jeder Teamchef ist abhängig, wie die Spieler zum Nationalteam kommen. Es waren acht Spieler die mit physischen oder mentalen Problemen in das Trainingslager in der Schweiz eingerückt sind", so Ruttensteiner. Damit meinte er Marko Arnautović, David Alaba, Marc Janko, Robert Almer, Aleksandar Dragović, Sebastian Prödl, György Garics und Markus Suttner. Vier Spieler wiesen zudem mangelnde Spielpraxis auf: Martin Hinteregger, Kevin Wimmer, Martin Harnik und Florian Klein.

"Ich glaube nicht, dass es bei der Kadernominierung Fehleinschätzungen gab. Es gab auch keine Alternativen", sprach Koller. Spieler wie Alessandro Schöpf, wohl einer der wenigen Lichtblicke dieser EM, waren da die Ausnahme.

Unrealistische Erwartungshaltung

Als nächster Grund für die nicht erreichte Zielsetzung, nämlich zumindest das Überstehen der Gruppenphase, wurde die riesige Erwartungshaltung angegeben. "Nach dieser Qualifikation sind die Erwartungen in die Höhe geschraubt worden. Nicht vom ÖFB, sondern von den Medien. Dieser Hype ist zu einer gewissen Last geworden", meinte Windtner.

"Das Ereignis in dieser Größenordnung hat bei den Spielern zu Stress geführt und sie belastet. Sie sind bei diversen Marketing-Veranstaltungen als 'Heroes' gefeiert worden. Auch das hat zu einer großen Erwartungshaltung geführt", erklärte Ruttensteiner.

Eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Spielern gab während der Europameisterschaft an, dass sie nicht auf die Dienste von Sportpsychologen zurückgreifen. Dabei hätte die Betreuung in diesem Sektor vielleicht helfen können, den Stress abzubauen. "Wir wollen jetzt aber nicht eine verpflichtende halbe Stunde beim Psychologen einbauen. Da sind die Spieler selbst gefordert", meinte Koller.

"Wir haben den Druck, der bei einem derartigen  Großereignis entsteht, unterschätzt und es ist uns nicht gelungen, die Spieler mental auf das richtige Level zu bringen", gab Ruttensteiner zu.

An vielen Stellen wurde von heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des Kaders geschrieben. "Ich weise zurück, dass es Streit gegeben hat. Dass man nach Niederlagen nicht der fröhlichste Mensch ist, ist normal", versicherte Ruttensteiner.

Die Idee hinter dem 3-5-2

Viel Kritik erntete Teamchef Koller für seine Formation im entscheidenden Spiel gegen Island. Diese teilte er nur bedingt: "Es war mir bewusst, dass es gegen sie zäh wird. Wir wollten eine Überzahl im Mittelfeld herstellen. Die 3-5-2-Formation war dabei eine Möglichkeit. Leider konnten wir das auf dem Platz nicht so gut umsetzen. Die Formation hat uns aber dabei keine Schmerzen bereitet. Der Lattenknaller der Isländer nach zwei Minuten und das Gegentor nach dem Einwurf hatten nichts mit dem System zu tun."

Vor der EM hielt der Schweizer stets an seinem Stamm und seiner Formation fest. Während dem Turnier wagte er plötzlich Experimente. Gegen Portugal ging seine Rechnung – durchaus mit Glück – auf, gegen Island scheiterte der Plan – durchaus mit Pech.

Es gibt kein Geheimrezept, das Erfolg verspricht. Überall gibt es Faktoren von außen, die über das Gelingen und Misslingen von Projekten entscheiden. In eine leitende Position kommt man im Berufsleben dann, wenn einem zugetraut wird, dass man die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt trifft. Wenn man scheitert, muss man als Leader Verantwortung übernehmen. Und nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen.

Mehr dazu:
>> Nach dem EM-Aus folgt der Weitblick
>> Rückendeckung für ÖFB-Teamchef Koller

Johannes Sturm