01.09.2016 13:38 Uhr

Bolivien castet 93 Spieler - teils per Skype

Sturm-Ikone Marcelo Moreno will gegen Peru wieder angreifen
Sturm-Ikone Marcelo Moreno will gegen Peru wieder angreifen

Dreiundneunzig. Eine Zahl, die aus dem Zusammenhang gerissen auf dem ersten Blick ziemlich wenig aussagekräftig ist. Und doch wird man im Andenstaat Bolivien gleich an den neuen Trainer Ángel Guillermo Hoyos denken. An den Argentinier. An den, der Lionel Messi damals in der Jugend des FC Barcelona förderte und ihn zu einem Weltstar formte. Und eben an den Ángel Guillermo Hoyos, der als frischgebackener Nationaltrainer der bolivianischen Auswahl 93 Spielern die Chance gab, Nationalspieler zu werden.

Denn Hoyos will Dinge verändern. Bolivien, sportlich betrachtet nicht als Vorzeigeland des Kontinents bekannt, muss für die letzte Teilnahme an einer WM-Endrunde lange in den Geschichtsbüchern blättern. 1994, so lange liegt der letzte Auftritt der Grünen auf der großen Bühne zurück. Außerdem befindet sich der Verband in einer der größten Krisen überhaupt, nachdem 2015 Präsident Carlos Chávez wegen Steuerhinterziehung und Korruptionsvorwürfen verhaftet wurde.

Neuer Trainer, neue Wege

Um den nationalen Traum zu realisieren, ging Hoyos Mitte August einen unorthodoxen Weg, um die besten Spieler des Landes zu selektieren. Er veröffentlichte über den Verband eine ewig lange Namensliste bolivianischer Spieler, die er unter Umständen in die Selección berufen wollte. Die Liste war lang und bunt gemischt. Zum Teil fanden sich dort junge, unerfahrene Spieler. Zum Teil waren es ältere, bereits zurückgetretene Akteure. Außerdem stellte er Kontakt zu den Vereinen der Spieler und versuchte "in zahlreichen Dialogen das Maximum zu erreichen". Schließlich hatte Hoyos "keine Zeit zu verlieren, alle Beteiligten kennenzulernen" – Bolivien steht nach sechs Spielen mit drei Punkten auf dem nur vorletzten Platz der WM-Qualifikationsgruppe in Südamerika.

Die 93 Vor-Auserwählten bekamen in der Folge "multimediale Anweisungen" des Trainers, um verschiedene Übungen und Abläufe in ihren Vereinsmannschaften zu trainieren, wie es in der offiziellen Meldung heißt. Vorzugsweise wurden die Spieler über Skype instruiert. Der Hintergrund ist einfach erklärt: Hoyos will zum einen so viele Spieler wie möglich kennenzulernen und zum anderen auf jeder Position denjenigen auswählen, der am besten in das System passt.

Verband und Vereine: Freundschaft sieht anders aus

Ein immenser Aufwand, der am Ende überflüssig sein könnte. Denn schon Hoyos Vorgänger, César Baldivieso, hatte 2015 einen ähnlichen Ansatz. Immerhin stolze 32 Spieler wollte er auf eine bevorstehende Länderspielreise mitnehmen. Doch er hatte ein Problem, denn die größten Klubs Boliviens, allen voran The Strongest und Club Bolívar, stellten sich quer. Sie wollten nicht so viele Spieler abstellen und klagten - mit Erfolg. Kurz vor der Copa América in den USA stand Baldivieso sogar nur eine Handvoll Spieler zur Verfügung. Letztlich intervenierte der Verband doch noch und vermittelte. Bolivien stellte eine Mannschaft – und verlor. Und Baldivieso seinen Job.

Dass die Vereine nun bei Hoyos Plänen nicht auf die Barrikaden gehen, ist allein dem Umstand geschuldet, dass der Argentinier in Bolivien ein hohes Ansehen hat und die Strukturen aus seiner Zeit als Trainer von Club Bolívar bereits kennt. Er gilt als jemand, der den Krisen geschüttelten Verband wieder aufrichten kann. Außerdem gilt er als der Einzige, der Boliviens Ikone und Ex-Werder-Spieler, Marcelo Moreno, davon zu überzeugen im Stande ist, wieder für sein Land zu spielen.

Erster Teilerfolg des Heilsbringer

Vor knapp einem Jahr hatte dieser nämlich seinen Rücktritt erklärt und sich dem chinesischen Verein Changchun Yatai angeschlossen. Der 29-Jährige ist für Hoyos Master-Plan so wichtig, dass die 'Causa Moreno' sogar in der Amtsantritts-Erklärung des Argentiniers Platz fand. "Wir werden trotz der Entfernung zusammenarbeiten. Über Skype übermitteln wir taktische Vorgaben, sodass Martins diese vor dem ersten Training verinnerlichen kann", so der neue Trainer.

Einen ersten Teilerfolg konnte Heilsbringer Hoyos immerhin feiern. Nachdem er den Kontakt zu den 93 Vor-Auserwählten aufgenommen und zu einem zweitägigen Auswahltraining einlud, konnte er sich auf 25 Spieler festlegen, die gegen Peru und Chile in der WM-Qualifikation die so wichtigen Punkte im Kampf um Russland 2018 einfahren sollen. Im Vergleich zum Copa-Aus stehen nun 14 neue Spieler im Aufgebot. Mit dabei sind übrigens Marcelo Moreno und drei weitere Rückkehrer, die auf Drängen des Trainers zu den Grünen zurückkehrten. Der "Matador" Moreno stellte direkt angriffslustig klar: "Wie immer werde ich alles für die Selección tun. Was ich am liebsten will, ist so viele Tore wie möglich zu schießen und die Menschen glücklich machen."

Es wird sich zeigen, ob Hoyos und seine Bolivianer der Zeit voraus sind und mit ihrem unorthodoxen Auswahlverfahren erfolgreich sind. Oder ob sie einfach in ihrer eigenen Welt leben.

 

Gerrit Kleiböhmer