25.10.2016 12:15 Uhr

Şahin: Tuchels Stich ins Herz

Er ist wie der Hund, der zum Schlafen vor die Hütte des Familienhauses gesetzt wurde: Nuri Şahin. Der Leistungsträger vergangener Spielzeiten, Dortmunder Publikumsliebling und Rückkehrer nach seinen gescheiterten Anläufen in Madrid und Liverpool spielt unter Thomas Tuchel keine Rolle mehr. Hat er an der Strobelallee noch eine Chance?

Es sind Szenen, die dem 28-Jährigen verblasst und ganz weit weg vorkommen werden. Am Tag der Deutschen Einheit des Jahres 2011 bekommt der BVB im Spiel gegen Bayern München einen Freistoß an der halbrechten Strafraumgrenze zugesprochen. Nuri Şahin läuft kurz an und verwandelt die Kugel unhaltbar ins rechte Toreck. Er dreht jubelnd ab und formt mit seinen Händen ein Herz.

Nach dem Comeback folgte die Tristesse

Doch die Tage, in denen der Meinerzhagener der Kopf des Dortmunder Meister-Mittelfelds war, sind lange gezählt. Bei seiner Rückkehr aus Madrid im Januar 2013 verkündete das BVB-Eigengewächs noch: "Als Fußballer und als Mensch funktioniere ich zu 100 Prozent bei Borussia Dortmund." Unter Jürgen Klopp wurde er wieder Stammspieler, doch zahlreiche Verletzungen warfen ihn weit zurück. Nach fast einem Jahr Pause absolvierte er im Februar gegen Porto sein erstes Pflichtspiel unter Thomas Tuchel. Sein Comeback wurde gefeiert, doch schnell wandelte sich Euphorie in Tristesse.

Nach seiner Rolle als Ergänzungsspieler des vergangenen Saisonendspurts sitzt Şahin in dieser Spielzeit im Optimalfall auf der Bank. Sein Leistungsniveau ist aktuell schwer zu beurteilen, doch richtig erscheint die Ausgrenzung des 28-Jährigen nicht.

Die mangelnde Flexibilität

Tuchel liebt flexible Spieler, Şahins Position ist ganz klar die im zentralen bzw. defensiven Mittelfeld. Soweit macht die Nichtberücksichtigung Sinn. An Youngster Weigl kommt momentan keiner vorbei, doch seine Backups Rode und Merino haben in der laufenden Saison noch nicht vollends überzeugt. Der spanische Neuzugang wurde nicht auf die Champions-League-Liste gestellt und ist offenbar eher als Ersatz für die Innenverteidigung vorgesehen. Rode fehlt oft noch Genauigkeit und die finale Bindung zum Spiel. Als echte Spielmacher sind alle drei nicht anzusehen. Şahin aber durchaus.

Spätestens als Gonzalo Castro jüngst verletzt fehlte, hätte der türkische Stratege eine Chance verdient gehabt, sich zu präsentieren. Aber Thomas Tuchel hat sein Urteil offensichtlich bereits gefällt. Emotionalitäten und Leistungen aus der Vergangenheit zählen beim Dortmunder Übungsleiter nicht. Im Leistungsprinzip des Profifußballs ist das durchaus vertretbar. Integrationsfiguren, die durchaus technisch versiert sind, braucht der Verein, der sich "Echte Liebe" auf die Fahnen schreibt, aber ebenso.

Şahin verdient eine Chance

"Er ist nicht abgeschrieben, wir werden ihn noch brauchen. Er wird für uns noch eine wichtige Rolle spielen", sagte Tuchel über Şahin im September. Nun droht ihm ein ähnliches Schicksal wie Błaszczykowski und Subotić. Der Trainer entscheidet, wen er aufstellen will, verdiente Spieler haben aber zumindest eine letzte Chance verdient.

Das Fußballer-Herz des Mittelfeldstrategen, welches er in jenem Spiel im Oktober 2011 formte, scheint gebrochen zu sein. Der jüngste Bundesligaspieler aller Zeiten wird sich im Winter einen neuen Verein suchen müssen. Beim BVB hat er, so bitter das auch klingen mag, keine Zukunft mehr.

Lionard Tampier