29.03.2017 17:05 Uhr

Querkopf Streich: Mehr als ein Fußballtrainer

Freiburgs Trainer Christian Streich nachdenklich am Spielfeldrand
Freiburgs Trainer Christian Streich nachdenklich am Spielfeldrand

Von manchen hoch geschätzt, von anderen belächelt: Christian Streich gilt als eine Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Die einen feiern ihn als Mann klarer Worte, andere sehen in ihm bloß einen urigen Kauz. Dabei ist er vor allem eines: ein Meinungsführer.

"Jetzt haben wir wenig über Fußball geredet. Aber es gibt auch wichtigere Themen", stellte ein nachdenklich schauender Streich im September 2015 nach einer Pressekonferenz fest. Zuvor hatte er eine flammende Rede für mehr Solidarität in der Flüchtlingsdebatte gehalten. Typisch für den Charakterkopf, der über mehr spricht als nur die nächste taktische Aufstellung.

Immer wieder wagt sich der Breisgauer an politisch und gesellschaftlich relevante Themen heran. Während sich die meisten Kollegen hinter belanglosen Worthülsen verstecken, beantwortet der Fußballlehrer auch unangenehme Fragen offen. Er kritisiert, er bekennt sich, er regt zum Nachdenken an, er rüttelt wach - diese Einstellung macht ihn zu einem Unikat im Bundesliga-Business.

Es gibt Wichtigeres als Fußball

Streichs Interviews und Pressekonferenzen gelten gemeinhin als kultig. Längst ist es nicht mehr nur der breite badische Dialekt, der ihm Gehör verschafft, viel mehr stechen seine Statements zu ernsteren Themen hervor.

Als erklärter Demokrat fordert Streich seine Spieler beispielsweise zum Wählen auf. Der 52-Jährige sorgt sich vor der Erstarkung der AfD, unterstützt die Belange der Flüchtlinge, warnt vor den Gefahren von Social Media und spricht im TV über soziale Kompetenz. Seinem Ex-Schützling Max Kruse sprang er im Vorjahr zur Seite, als dieser wegen mehrerer disziplinarischer Verstöße in die Kritik geraten war. Streichs Motto: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Auch Trainerkollegen unterstützte er bereits. Als Ex-Bayer-Coach Roger Schmidt im Oktober 2016 wegen einer verbalen Entgleisung zum wiederholten Male auf die Tribüne verbannt wurde, warf Streich ein, dass die Trainer heutzutage unter unvorstellbarem Druck stünden und durch die Überwachung an der Seitenlinie vorgeführt würden.

Nagelsmann: "Er ist schon eine Marke"

Unweigerlich stellt sich die Frage, warum Streich als einer der wenigen Akteure im Profigeschäft eine solche Offenheit an den Tag legt. Will er Aufmerksamkeit erregen? Sieht er sich selbst als Weltverbesserer? Will er seine Person aufwerten? Weit gefehlt. Die Ursache seiner Redseligkeit könnte banaler nicht sein: Er antwortet, weil er nunmal gefragt wird. "Ich hätte die Fragen auch beantwortet, wenn man sie mir beim Einkaufen oder in einem Café gestellt hätte. Warum soll ich sie dann nicht beantworten, wenn sie von Journalisten kommen?", gab der ehemalige Fußballprofi gegenüber der "Badischen Zeitung" zu bedenken.

Derartige Aussagen offenbaren viel über den aktuell dienstältesten Bundesliga-Trainer, der stets bodenständig, ehrlich und politischen engagiert herüberkommt. Wegen seiner unnachahmlichen Art ist Streich nicht nur bei Fans und Journalisten beliebt, auch einige Trainerkollegen bringen ihm Bewunderung entgegen.

"Ich bin schwer begeistert, wenn ich seine Interviews sehe, auch zu weltpolitischen Themen", schwärmte beispielsweise Hoffenheims Julian Nagelsmann im "kicker": "Er hat immer eine klare Meinung. Er ist schon eine Marke. Als Mensch sehr sympathisch, ich schätze ihn als Kollegen sehr."

Ist Streich zu naiv?

Wenn so viele Lobeshymnen über eine Person ertönen, lassen Kritiker oftmals nicht lange auf sich warten. Vor allem in sozialen Netzwerken werden immer wieder negative Stimmen über den SC-Coach laut. Ein Trainer habe sich nicht in solche Themen einzumischen, heißt es dann. Er solle lieber sehen, dass seine Mannschaft guten Fußball spiele. Streichs Sichtweise auf die Welt sei zu verklärt und naiv, behaupten einige User.

Meist verpuffen derartige Vorwürfe jedoch schnell. Warum? Weil Streich eigenen Angaben zufolge nichts darauf gibt, was in sozialen Netzwerken geschrieben wird. "Ich schütze mich davor", erklärte er einst in einer Pressekonferenz.

Der "Choleriker" hat dazugelernt

Der gebürtige Weiler hat die Schattenseiten des Medienrummels längst am eigenen Leib erfahren. Es hat eine Zeit gedauert, bis sich Streich den Respekt erarbeitet hatte, den er heute in der Öffentlichkeit genießt. Zu Beginn seiner Bundesligakarriere wurde der vormalige Co-Trainer zunächst belächelt.

So machte sich Streich vor einem Spiel zusammen mit dem Team warm, ohne darüber nachzudenken, wie dies nach außen wirken könnte. Ebenso unbeholfen waren die Versuche, seinen badischen Dialekt zu verschleiern. Wegen seines emotionalen Coachings an der Seitenlinie musste sich Streich zudem schon oft als Choleriker titulieren lassen.

Streich sagt, was er denkt

Durch die Kritik hat der ehemalige Juniorentrainer dazugelernt, ist sich augenscheinlich aber stets treu geblieben. Ein Wesenszug, den der Mann klarer Worte vor allem deshalb ausleben kann, weil er im beschaulichen Breisgau trainiert. Hier ticken die Uhren noch etwas langsamer als andernorts. Selbst beim Abstieg im Sommer 2015 wurde seine Person nie in Frage gestellt.

Rückendeckung erhält Streich von Vereinsseite nicht nur für seine erfolgreiche Arbeit mit den Freiburger Profis, sondern auch für seine Art, Probleme anzusprechen. SC-Boss Fritz Keller ist froh, einen mündigen Trainer zu haben: "Insgesamt ist es wichtig, dass man Leute im Laden hat - und das gilt nicht nur für den Fußball -, die sagen, was ihnen nicht passt, die so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist."

Ein langjähriger Mitarbeiter Streichs sagte im "Spiegel" einmal, dass der Fußballlehrer "einer ist, der sich kein bisschen verändert hat, seit er Bundeslliga-Trainer ist." Diese Bodenständigkeit scheint sein schlichtes Erfolgsrezept zu sein. Er nimmt den oberflächlichen Fußball-Zirkus nicht ernster, als er ist. Für das, was ihm am Herzen liegt, steht Streich auch heutzutage ein. Sei es seine Heimat, Familie und Freunde, die Spieler und Mitarbeiter – oder eben seine Meinung.

Linda Nier