19.05.2017 13:49 Uhr

Schweini: Aus Rückschritt mach' Fortschritt

Bastian Schweinsteiger fühlt sich mit Chicago Fire im heimischen Toyota Park wohl
Bastian Schweinsteiger fühlt sich mit Chicago Fire im heimischen Toyota Park wohl

Ende März war der Wechsel endlich unter Dach und Fach: Bastian Schweinsteiger wagte den Sprung über den Großen Teich und wechselte zu Chicago Fire. Wohl für immer verlässt er dabei den europäischen Spitzenfußball. Nie mehr Manchester United, nie mehr Premier League, nie mehr Champions League - nie mehr die ganz große Bühne. Ein Wechsel als Rückschritt?

"Wenn man das mit Bayern München oder der Nationalmannschaft vergleicht, dann ist der Unterschied schon gewaltig": Diese und weitere Aussagen von Bastian Schweinsteiger, die er zuletzt in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" über den sportlichen Anspruch seiner neuen Heimat tätigte, sprechen Bände. Damit nicht genug: "Es ist ganz normal, dass nicht alles perfekt läuft. Wenn das so wäre, würden diese Leute nicht hier in Amerika spielen, sondern in der Bundesliga." Mit "diesen Leuten" meinte er übrigens seine Mitstreiter in der Major League Soccer.

Schweinsteiger übt also rund zwei Monate nach seinem Wechsel in die US-Profi-Liga erstmals Kritik. Eine Kritik an seiner neuen Liga und an seinem neuen Team. Eine Kritik, die ankam.

Schweinsteiger im Amateur-Fußball?

Prompt musste sich der Ex-Nationalspieler von US-amerikanischen Medien Vorwürfe gefallen lassen, er ließe die MLS wie eine Amateur-Liga aussehen. Physis statt Taktik, laufen statt denken. Sofort relativierte er seine Worte gegenüber dem US-Sender "ESPN" und betonte, er sei missverstanden worden: "Vielleicht ist es hier der Stil wie in anderen Sportarten wie Eishockey oder Basketball: Wenn du den Ball gewinnst, geht es sofort nach vorne." Viel besser macht es diese Formulierung allerdings nicht - vielmehr klingt sie immer noch nach Kick-and-Rush-Kreisliga-Fußball.

Damit war das Thema jedoch noch nicht durch. Erst kürzlich äußerte sich der Weltmeister in einem "Bild"-Interview. Diesmal drückte er sich etwas deutlicher aus und relativierte: "Ich würde nicht sagen, [die MLS ist wie die] zweite Liga. Es gibt schon richtig gute Mannschaften, die physisch auch sehr stark sind und sehr gute Spieler in den Reihen haben. Ich denke, dass viele Mannschaften auch in der 1. Bundesliga spielen könnten."

Ein (unwirklicher) Traum

Egal, wie man Schweinsteigers neue sportliche Heimat bewertet: Die Diskussion zeigt gleichzeitig, wie ehrgeizig der Mittelfeldstar von Chicago Fire noch ist. Das Team, das im Vorjahr noch am schlechtesten in der Liga abschnitt, soll schon bald ganz oben stehen: "Ich würde gerne den MLS-Cup mit Chicago Fire gewinnen. Das ist auf jeden Fall ein Traum, den ich versuche zu erfüllen".

Ob ihm das gelingt, steht auf einem anderen Blatt Papier. Dennoch ist Schweinsteigers Glaube groß. Nach zwei enttäuschenden Auswärtsniederlagen in Toronto (1:3) und bei New York RB (1:2) sowie einem Remis in Los Angeles (2:2) hat Chicago zuletzt wieder in die Spur finden können. Mit 18 Punkten nach elf Spielen steht der Klub aus Illinois vor dem anstehenden Duell gegen DC United immerhin auf Rang vier und kämpft in der noch jungen Saison weiter um die Playoff-Plätze.

Vor allem im heimischen Toyota Park läuft es rund: Zunächst fegten die Rot-Blauen Meister Seattle Sounders mit 4:1 vom Feld. Dann schickte man die Colorado Rapids mit 3:0 nach Hause. "Ich spüre auch, dass die Leute wieder daran glauben, dass Chicago Fire erfolgreich Fußball spielen kann", so die Nummer 31.

Schweinsteiger macht die Mannschaft besser

So abwegig sein Traum auf den ersten Blick erscheint, so sehr möchte man dem Bayer Glauben schenken. Schließlich zeichnet sich langsam sein Einfluss auf das Spiel von Chicago Fire ab. Abgesehen von seinem Debüt-Treffer gleich im ersten Spiel hilft er auf dem Rasen mit seiner Erfahrung und seiner Führungsqualität. Aus einer "Kick-and-Rush-Truppe" ist eine Mannschaft geworden, die Kurzpassspiel beherrscht. David Accams 2:0 gegen Colorado entstand so nach einer tollen Ballstafette.

Die neue Tendenz wird auch mit einem Blick auf die letzten beiden Duelle zwischen Chicago Fire und den Colorado Rapids sichtbar. Mit Schweinsteiger hat sich Fire verbessert. Starke 57,4 Prozent Ballbesitz stehen beim jüngsten 3:0-Erfolg mageren 43,7 Prozent bei der 1:2-Pleite in der Vorsaison gegenüber. Auch in puncto Passgenauigkeit (84 zu 81 Prozent) hat sich die Mannschaft weiterentwickelt. Zugegeben, es sind nur zwei Momentaufnahmen, Schweinsteiger jedenfalls geht mutig voran und trägt seinen Teil bei. Gegen die Rapids gewann er 100 Prozent seiner Tacklings und brachte 90 Prozent seiner Pässe an den Mann. Ein Spitzenwert.

Hatte man den 121-fachen Nationalspieler nach seinem Wechsel von Manchester United zu Chicago Fire noch belächelt, muss man mittlerweile erkennen: Schweinsteiger macht aus dem Minus ein Plus: "Das war auch immer eine kleine Motivation für mich, einem Verein, der sportlich nicht zu den Top-Vereinen in der MLS gehört, zu helfen." Und er macht aus einem Rückschritt einen Fortschritt.

Gerrit Kleiböhmer