25.05.2017 11:00 Uhr

Tuchel: Unbequeme "Koryphäe" vor dem Abschied

Thomas Tuchels Tage beim BVB sind wohl gezählt
Thomas Tuchels Tage beim BVB sind wohl gezählt

Thomas Tuchel wird beim DFB-Pokal-Finale voraussichtlich zum letzten Mal auf der Bank von Borussia Dortmund sitzen - trotz unbestrittener Fachkompetenz und sportlichen Erfolgs.

Es wäre die perfekte Bühne. Im Normalfall. In Berlin könnten Thomas Tuchel und Hans-Joachim Watzke womöglich gemeinsam den DFB-Pokal-Sieg feiern und sich anschließend bundesweit dafür hochleben lassen, wie sie gemeinsam sportlich und mental eine einmalige Krise bewältigt haben. Einheit und Kraft - ein Signal nach dem Attentat auf die Mannschaft im April.

Doch bei Borussia Dortmund ist nichts normal in dieser Saison der Extreme. Thomas Tuchel, der fachlich unumstrittene, erfolgreiche, aber unbequeme Trainer, und Watzke, der Mann mit der Hausmacht und den großen Verdiensten, können nicht mehr miteinander. Sie entzweiten sich nach internen Querelen an der Frage der Neu-Ansetzung des Champions-League-Spiels gegen AS Monaco wohl unwiderruflich.

Tiefe Risse im Zwischenmenschlichen

Nach dem Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt am Samstag (20:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) wird wahrscheinlich die Trennung erfolgen - trotz des direkten Champions-League-Einzugs in der Bundesliga und - vielleicht - des ersten Titels seit 2012. Der Erfolg ist kein Kitt für tiefe Risse im Zwischenmenschlichen.

Dass er noch eine Saison bleiben wolle, "steht außer Frage", hat Tuchel nach dem Saisonfinale gegen Werder Bremen gesagt. Sein Berater Olaf Meinking versicherte: "Unser Ziel ist es, dass Thomas bleibt und sich alles wieder beruhigt." Das ist taktisch klug, denn Tuchels Vertrag läuft bis 2018 - der BVB müsste für eine vorzeitige Auflösung Geld in die Hand nehmen. Längst haben die Dortmunder bei Lucien Favre, ehemals Borussia Mönchengladbach, von OGC Nizza vorgefühlt. An Tuchel wiederum soll Bayer Leverkusen Interesse zeigen.

Was dem Trainer auf der einen Seite und Watzke sowie Sportdirektor Michael Zorc und dem Präsidenten Reinhard Rauball auf der anderen bleibt, ist der Kampf um Deutungshoheit: Ist der Trainer intern unerträglich? Lügt er gar, wie Watzke in seinem lancierten Interview ("Klarer Dissens") andeutete? Oder liegt die Wahrheit ganz woanders? Konnte Watzke nicht ertragen, wie glänzend Tuchel menschlich nach dem Attentat dastand?

Fachlich auf der Höhe

Fachlich-analytisch jedenfalls scheinen keine Zweifel zu bestehen. "Ich kann und will nicht beurteilen, was außersportlich gelaufen ist, aber rein aus sportlicher Sicht ist er ein Top-Fachmann", sagte Weltmeister Matthias Ginter der "Sport Bild": "Was er taktisch drauf hat, habe ich so noch nie erlebt. Seine Gegner-Analyse ist hervorragend, genau wie die Trainingssteuerung. Er hat eigentlich alles, was man braucht."

Hat Thomas Tuchel wirklich alles? Ein Trainer muss heutzutage mehr sein als Fachmann, er muss moderieren können, vermitteln, einfühlsam sein, zu Kompromissen fähig. Da scheint es zu hapern.

Sportliche Argumente für eine Trennung existieren schlicht nicht. "Wenn uns einer angeboten hätte, dass wir in diesem Umbruchjahr ins Champions-League-Viertelfinale kommen und womöglich den Pokal holen, hätte es wohl jeder unterschrieben", bestätigt Ginter.

"Mobbing hoch zehn"?

Halb Europa war im Frühling verliebt in dieses junge, stürmische Tuchel-Dortmund. "Er ist eine Koryphäe, ein Genie", sagt auch Niko Kovač, Trainer der Eintracht, der einst bei Tuchel hospitierte. Andererseits kursieren anonyme Spieler-Zitate über fragwürdige Methodik oder Abstrafungen.

Die Erklärung, Tuchel sei kein "Typ Jürgen Klopp", greift zu kurz. Das hätte jeder beim BVB wissen müssen - nach Tuchels Abgang beim FSV Mainz 05. Der aus der Profimannschaft verbannte Torhüter Heinz Müller sprach später von "Mobbing hoch zehn" und schimpfte Tuchel einen "Diktator".

Das ist sicherlich übertrieben. Eher ist Tuchel ein versessener Detailfresser mit unverrückbaren Vorstellungen, der wohl wahrlich ein Quälgeist sein kann. Nun hat er sich zum zweiten Mal innerhalb eines Vereins nahezu isoliert.

Was genau gelaufen ist in Dortmund, wird wohl erst nach seinem Abschied zu erfahren sein. In gegensätzlichen Versionen. Das ist derzeit der Normalfall.