11.10.2017 11:30 Uhr

Wann endet die ÖFB-"Muppet Show"?

Seit 1998 bei jeder WM-Qualifikation gescheitert, Freistellung von Teamchef Marcel Koller und Sportdirektor Willi Ruttensteiner, Grabenkämpfe und Machtspiele: Eine Bestandsaufnahme des österreichischen Fußballs im Herbst 2017. Ein Kommentar.

Wer den ÖFB verstehen will, der muss seine Landesverbände als Teilorganisationen verstehen. weltfussball bekam dazu am Dienstagabend beim Stammtisch des Kremser SC einmal mehr eindrucksvoll Gelegenheit. Gast in der Wachau war Johann Gartner. Der Präsident des niederösterreichischen Fußballverbandes.

Entschuldigung für "Intelligenz-Sager"

Ein 66-Jähriger Funktionär vom "alten Schlag", der zuvor mit schweren Vorwürfen in der "Kronen Zeitung" ("Von der Gruppenbildung im Team, oder der Tatsache, dass sich David Alaba mit der von Marcel Koller gewünschten Rolle auf dem Platz nicht anfreunden wollte, erfuhren wir erst jetzt. Wir wollten beim Amt des Sportdirektors wieder weg von der Wissenschaft und zurück zum Fußball") sowie in der "NÖN" ("Da haben einige deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Manchen fehlt's da vielleicht an Intelligenz" - gemeint waren die Nationalspieler) für Aufsehen gesorgt hatte.

Gartner tut sein "Intelligenz-Ausspruch" übrigens inzwischen sehr leid: "Im Laufe eines längeren Telefonates ist es zu diesem Sager gekommen. Ich wollte damit absolut niemand kränken, verletzten oder beleidigen. Wenn dies bei manchen so angekommen ist, entschuldige ich mich aufrichtig."

Maulkorb-Erlass für Landespräsidenten ist nur eine Empfehlung  

Als ÖFB-Boss Windtner noch bei der Reise zum Auswärtsspiel in die Republik Moldau von den Gartner-Aussagen erfahren hatte, griff er sofort zum Telefon und stellte diesen zur Rede. Dessen Antwort? "Er hat nur im Kreis geredet und versucht da irgendwie raus zu kommen", sagte Windtner - noch lange vor der inzwischen erfolgten Entschuldigung von Gartner - gegenüber weltfussball.

Schon wenige Minuten später beratschlagte der geschwächte ÖFB-Präsident mit seinem Geschäftsführer Bernhard Neuhold noch im Bus von der Abflugshalle zum Teamflieger die ersten Sofort-Maßnahmen: Eine Information für alle Präsidenten der Landesverbände in schriftlicher Form. Einziges Problem beim "Maulkorb-Erlass" für die Landesfürsten: Bei Verfehlungen sind keine Disziplinar-Maßnahmen möglich.

"Genau das ist unser Problem. Dort sitzen Leute bei Sitzungen teilweise mit übereinander geschlagenen Beinen und halten sich an keine Spielregeln", gewährte Windtner weltfussball Einblicke in die fehlende Kinderstube und die mangelnde Gesprächskultur seine Verbandes.

Herr Doktor Herbert Hübel vom Reichsfürstentum aus Salzburg

Den Höhepunkt des schlechten Geschmacks hatte dabei ein Herr Doktor aus der Provinz vor dem 3:2-Sieg beim WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien im Wiener Ernst Happel-Stadion gegeben. Sein Interview, welches in "Sport am Sonntag" ausgestrahlt wurde, zeigte die ganze Impertinenz von Herbert Hübel.

Jener Mann, der bereits zuvor mit dem Satz "Wenn ich Leo Windtner nur ansehe, dann wird er blass" aufgefallen war, bestätigte beim TV-Monolog vor dem Eingang in den VIP-Bereich sein Selbstverständnis: "Nicht etwas hineininterpretieren. Ihr werdet ja nie zufrieden sein und dann würden wir euch arbeitslos machen. Also nehmt es leicht das Ganze! Okay? Wenn es zu schnell ist, dann heißt's, es wäre nicht bedacht und wenn es zu langsam ist, dann ist es zu langsam. Also man macht es nie recht, ja. Aber ich bin froh, dass es so viele Teamchefs gibt. Okay? Also, haltet schön die Daumen und bleibt dem Fußball treu, ja?"

Ein historischer ORF-Moment. In der Welt des Präsidenten des Salzburger Landesverbandes ist sein Bundesland als geistliches Reichsfürstentum und späteres Kurfürstentum offenbar der Nabel der Fußball-Welt.

Johann Gartner: "Mehrheiten sind zu akzeptieren"

Im Vergleich zum Hübel-Auftritt waren jene Sätze, die Johann Gartner am Dienstagabend in Krems äußerte eine wohltuende Abwechslung. Der Anruf von ÖFB-Boss Windtner hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Der niederösterreichische Verbandschef überlegte sich jedes Wort vorher zweimal.

Zur Person: Hans Gartner, geboren am: 28. Juli 1951 in Hollabrunn, Eltern: Maria und Julius, Bürgermeister der Marktgemeinde Ziersdorf. Der hemdsärmelige und alles andere als unsympathische EDV-Spezialist sprach über seine schwere Kindheit durch den frühen Tod des Vaters ("Deshalb wollte ich schon damals alles verhindern. Darum hatten es andere Männer bei meiner Mutter ganz schwer") sowie seinen beruflichen Werdegang. Aus dem Traum vom Landwirt wurde eine Lehre beim ersten NEWAG-Jahrgang in der Südstadt.

Später erfolgreich im Berufsleben und beliebt im Fußball des größten österreichischen Bundeslandes. Abgewählt ("Ruft mich wenn ihr mich braucht, habe ich ihnen gesagt, als ich meine Schlüssel abgegeben habe") und dann wieder zurückgeholt ("Spinnst Du? Warum tust Du Dir das an?"). Seit 18. Juni 2017 im Rahmen der ordentlichen Bundeshauptversammlung gemeinsam mit Wolfgang Bartosch, Josef Geisler und Hans Rinner zu einem von vier ÖFB-Vizepräsidenten gewählt.

Gartner erklärte die Vorgehensweise bei der Freistellung von Sportchef Willi Ruttensteiner ("Mehrheiten sind in Demokratien zu akzeptieren") und bei der Entscheidung den Vertrag von Teamchef Marcel Koller nicht zu verlängern ("Ein Trainer wird nach Ergebnissen bewertet"). Am Ende stand er für gemeinsame Bilder mit KSC-Funktionären, Fans und interessierten Besuchern zur Verfügung. Zu Beginn mit Bierkrug in der Hand. Später ohne. Vielleicht auch eine ÖFB-Empfehlung.

Mehr dazu:
>> Windtner-Rücktrittsrufe bei Koller-Party
>> Verleumdungs-Vorwurf nach Mitternacht
>> Erstmals nur Vierter in WM-Qualifikation
>> Schaub schießt Österreich zum Auswärtssieg
>> Adieu im Armenhaus Europas
>> Das Vermächtnis des Willi Ruttensteiner
>> Schöttels Liste - Drei Tage Zeit!
>> Neustart nach dem ÖFB-Machtkampf
>> Peter Schöttel: Der neue ÖFB-Sportchef in Bildern
>> Serbien verwertet zweiten Matchball
>> Ergebnisse und Tabelle von Österreichs WM-Qualifikationsgruppe

Christian Tragschitz