30.11.2017 11:59 Uhr

Alt, zerstritten, anfällig - quo vadis Juve?

Springt die Alte Dame mit Höwedes langfristig zurück an die Tabellenspitze?
Springt die Alte Dame mit Höwedes langfristig zurück an die Tabellenspitze?

4, 9, 17, 17, 8, 4 – was sich liest wie die Koordinaten der y-Achse einer Parabel im Koordinatensystem, sind die Punkte Vorsprung, die Juventus am Ende seiner letzten sechs Meistertitel gegenüber dem Vizemeister verbuchen konnte. Doch in dieser Saison ist alles anders. Gibt die Alte Dame ausgerechnet im Jahr ihres 120-jährigen Bestehens den angestammten Scudetto aus der Hand?

Es wäre zumindest kaum verwunderlich. Während ganz Europa vom Traumfußball aus Neapel schwärmt, schleppt sich der Vorzeigeklub aus Norditalien mit Mühe durch die Saison.

In der Champions League muss das Team am letzten Spieltag in Piräus um das Weiterkommen zittern, in der Liga enteilen den Bianconeri die einst chancenlosen Rivalen aus Neapel und Mailand. Der sonst so souveräne Juve-Motor stockt, zwei Niederlagen aus den letzten sechs Partien sind für den Rekordmeister absolut inakzeptabel.

Und ausgerechnet jetzt kommen die entscheidenden Wochen. Bis Weihnachten trifft Juve als Tabellendritter noch auf alle drei Konkurrenten aus den Top Four – beginnend mit Spitzenreiter Napoli am Freitagabend (20:45 Uhr im Liveticker) im San Paolo.

Die Defensive bröckelt

Ist Juventus satt? "Hinter uns liegen großartige Saisons, in denen wir Erfolge und Genugtuung mit nach Hause gebracht haben, aber wir wissen, wie schwer es ist, das wieder zu tun", gibt Verteidiger Andrea Barzagli zu.

Doch eben jener Barzagli ist Teil von Juves Achillesferse in dieser Saison. Grundlage der Erfolge der letzten Jahre war die Beton-Defensive um Oldie Gianluigi Buffon. Dieses Jahr steht mit 14 Gegentoren in 14 Spielen der mit Abstand schlechteste Wert der Top Four auf dem Konto.

"Unser Ziel ist es, die beste Abwehr der Liga zu haben, denn das heißt zu 90%, den Titel zu gewinnen. Es gab viele Auf und Abs diese Saison, aber es wäre sehr wichtig für uns, die Null im San Paolo zu halten, denn das ist der wichtigste Test für jedes Serie-A-Team", gibt Giorgio Chiellini die Marschrichtung vor.

Aber auch er ist Teil einer überalterten Defensive, die den Abgang von Leonardo Bonucci zu Milan nicht verkraftet hat. Obwohl dieser bei in der AC-Millionentruppe bisher ganz und gar nicht überzeugt, bildete er mit Barzagli, Chiellini und Buffon eine der vier Säulen des Juve-Walls. Den drei verbliebenen Platzhirschen ist ihr Alter – Chiellini ist mit 33 noch der Jüngste – mehr und mehr anzumerken. Das musste Italien auch beim schmählichen Aus in den WM-Playoffs erfahren.

Neuzugänge hängen in der Luft

"Bonucci ist Bonucci, es bringt nichts, uns beide miteinander zu vergleichen", gab Benedikt Höwedes, eigentlich als Ersatzmann für den Routinier verpflichtet, zuletzt zu Protokoll. Der Ex-Schalker fiel zunächst jedoch mehrere Wochen verletzungsbedingt aus und feierte erst am Wochenende gegen Crotone sein Juve-Debüt. Winkt jetzt ein Stammplatz?

Das ist fraglich, denn als ein weiteres Problem der Juve-Krise wird auch Coach Allegri ausgemacht. Der Meistermacher gilt als stur und hat bereits seit längerem Probleme, Neuzugänge in die Juve-Elf zu integrieren. Blaise Matuidi, Douglas Costa oder Federico Bernardeschi können davon ein Lied singen.

Rechts hinten hält Allegri seit Jahren auf den inzwischen längst erlahmten "Swiss Express" Stephan Lichtsteiner fest; links hinten schwächelt auch Alex Sandro in dieser Saison, nachdem der Brasilianer im letzten Jahr noch als bester Linksverteidiger der Liga galt.

Dazu rotiert Allegri nach Meinung vieler Experten in Italien zu viel – in jedem Spiel ist ein neues Gesicht in der ersten Elf zu finden. Was sich in den letzten Jahren für die Harmonie im Kader bewährt hatte, fällt nun vor allem defensiv negativ ins Gewicht, da sich nach dem Bonucci-Abgang keine neue Dreierkette einspielen kann.

Zudem gibt es Gerüchte, dass es seit dieser Saison einen Keil zwischen den italienischen Spielern und den Ausländern im Kader gibt. Allegri scheint die Grüppchenbildung nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Viele Juve-Fans fordern bereits eine Rückholaktion von Antonio Conte.

Dieser war jedoch auch deshalb aus Turin geflüchtet, weil er vom Management um Klubboss Andrea Agnelli nicht die Spieler bekommen hatte, die er wollte. Auch Allegri scheint mit den Verpflichtungen unzufrieden.

Auch ohne Higuaín droht ein heißer Tanz in Neapel

Zufrieden kann er sicherlich mit Gonzalo Higuaín sein. Doch droht dieser ausgerechnet in seinem ehemaligen Wohnzimmer im San Paolo auszufallen, nachdem er sich unter der Woche einer Mittelfinger-OP unterziehen musste. "Gonzalo brennt, er tut alles um in Neapel dabei zu sein, aber ich weiß nicht, ob er es schafft", hofft Sami Khedira auf eine Rückkehr des Torjägers.

Chiellini ergänzt: "Eine Niederlage in Neapel wäre auch noch keine Entscheidung im Titelkampf, aber sie wäre sicherlich hart zu schlucken." Sollte es so kommen, hilft wohl nur noch eine gute Portion Sarkasmus. Den bewies zuletzt Keeper Buffon, der nach seiner Wahl zum besten Spieler der Serie A angesichts seines Alters scherzte: "Jetzt weiß ich, warum wir gegen Schweden rausgeflogen sind."

Johann Mai