23.01.2018 11:14 Uhr

Anfang exklusiv: "Nie vom Aufstieg gesprochen"

Holstein Kiel ist die erste Trainerstation im Profibereich für Markus Anfang
Holstein Kiel ist die erste Trainerstation im Profibereich für Markus Anfang

Markus Anfang ist der Wunder-Trainer der 2. Bundesliga. Der 42-Jährige übernahm Holstein Kiel Ende August 2016 als Drittligist und formte eine Spitzenmannschaft, die momentan auf dem zweiten Tabellenplatz im deutschen Unterhaus steht.

Vor dem Jahresauftakt gegen Union Berlin am Dienstag (20:30 Uhr) sprach Markus Anfang exklusiv mit weltfussball über die Erwartungshaltung, seine Philosophie, aber auch über Begegnungen mit Joachim Löw und Miroslav Klose.

Herr Anfang, vor eineinhalb Jahren haben Sie Holstein Kiel als Tabellenzehnten der 3. Liga übernommen. Eineinhalb Jahre später stehen Sie in der 2. Liga auf dem zweiten Tabellenplatz. Wie haben Sie das gemacht?

Wir haben als Trainerteam einfach versucht, unsere Idee vom Fußball einzubringen. Wir wollen eine gewisse Dominanz haben – ob nun mit oder ohne Ball. Wir wollen das Spiel selbst bestimmen. Darauf bereiten wir die Mannschaft Woche für Woche vor. Wir trichtern ihnen nicht das gewünschte Ergebnis, sondern die Inhalte ein. Wenn wir gut mit und gut gegen den Ball arbeiten, kommen die Punkte von ganz alleine.

Nun stehen Sie auf einem Aufstiegsplatz. Die Spieler wissen, dass Sie die einmalige Chance haben, in die Bundesliga durchzumarschieren. Das muss doch innerhalb der Mannschaft ein Thema sein.

Selbst wenn das so wäre: Was ist die Voraussetzung, um Punkte zu holen? Man muss auf dem Spielfeld die richtigen Inhalte rüberbringen. Ich beurteile ein Spiel nicht danach, ob wir gewonnen oder verloren haben. Für mich ist entscheidend, dass die Inhalte richtig umgesetzt wurden.

Trotzdem: Wie sehr beschäftigt sich die Mannschaft mit der Bundesliga?

Es geht nicht um die Bundesliga. Wir genießen einfach, dass wir in der 2. Bundesliga spielen. Es würde auch nicht zum Verein oder zu der Mannschaft passen, von der Bundesliga zu sprechen. Wir haben auch letzte Saison nie vom Aufstieg gesprochen.

Nun steht das erste Pflichtspiel des Jahres 2018 gegen Union Berlin an. Wie groß ist der Nachteil, mit drei gesperrten Stammspielern in das erste Pflichtspiel 2018 gehen zu müssen?

Im Laufe einer Saison fehlen immer mal Spieler durch Sperren. Aber ich habe ja schon immer betont, dass wir 24 Kaderspieler haben und nicht nur 11 oder 14 Stammspieler. Jetzt haben andere Jungs die Chance, sich zu zeigen.

Miroslav Klose hat Ihre Mannschaft im Trainingslager besucht. Wie kam es dazu und welche Worte hat er Ihnen und der Mannschaft mit auf den Weg gegeben?

Miro Klose gehörte zur Delegation der U16 und U17 des DFB, die ebenfalls bei uns auf der Anlage ihr Trainingslager aufgeschlagen haben. Da hat er sich dann natürlich auch mal bei uns am Trainingsplatz blicken lassen. Wir kennen uns aus der gemeinsamen Zeit in Kaiserslautern. Von daher wechselt man natürlich auch mal ein paar nette Worte, aber konkret etwas auf den Weg geben musste er uns nicht.

3:4 gegen Union Berlin, 5:3 gegen Heidenheim, in Nürnberg 0:2 zurückgelegen und am Ende 2:2 gespielt – Holstein Kiel steht für Spektakel-Fußball. Wo liegen die Gründe dafür?

Dahinter steckt genau der gleiche Ansatz, den ich gerade beschrieben habe: Wenn eine Mannschaft unabhängig vom Ergebnis an seinem Plan festhält, wird man mit Torchancen dafür belohnt. Viele Mannschaften schmeißen ihr Spielsystem je nach Ergebnis völlig über den Haufen. Sie wollen dann einen Vorsprung halten oder schnellstmöglich ausgleichen. Dieses kopflose Verhalten kann schnell nach hinten losgehen.

Kingsley Schindler hat vor nicht einmal zwei Jahren noch für TSG Hoffenheim II in der Regionalliga gespielt und zählt nun zu den besten Spielern der 2. Bundesliga. Marvin Ducksch ist beim FC St. Pauli durchgefallen und steht nun auf Platz zwei der Torschützenliste. Wie erklären Sie sich den Aufstieg dieser Spieler?

Das hat viel mit der Mannschaft zu tun. Wir haben hier viele Spieler, die das gleiche Schicksal hatten: Viele haben bei großen Vereinen gespielt, konnten sich dort aber nicht durchsetzen. Dominick Drexler hat das bei Bayer Leverkusen erlebt, Dominik Schmidt bei Werder Bremen und Eintracht Frankfurt – ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen. Hier ist eine Mannschaft entstanden, die sich gegenseitig stärkt. So konnte jeder Einzelne sein Potenzial entfalten.

Wie groß ist der Unterschied zwischen der 3. Liga und der 2. Bundesliga?

Die Unterschiede liegen im Tempo und der Qualität. Ein Beispiel: In der 3. Liga waren wir die Mannschaft mit den wenigsten Gegentoren. Nun hatten wir Spiele wie gegen Berlin oder Heidenheim, wo wir drei, vier Gegentore bekamen. Die Qualität der Spieler ist im vorderen Bereich so hoch, dass die Gegner weniger Torchancen brauchen, um erfolgreich zu sein. Je höher man spielt, desto schneller ist die Auffassungsgabe der einzelnen Spieler.

Umso erstaunlicher, dass Ihre Mannschaft in der 2. Bundesliga so durchgestartet ist. Ist es möglich, dass die Aufstiegs-Euphorie vom vergangenen Sommer noch immer nachwirkt?

Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Nach den ersten beiden Saisonspielen hatten wir lediglich einen Punkt auf dem Konto. Da sprach niemand von Aufstiegseuphorie. Erst später, als wir erfolgreich waren, wurde von einer Aufstiegseuphorie gesprochen. Daran glaube ich nicht. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass sich unsere Spieler schnell an das Niveau der 2. Liga angepasst haben und dass viele erst bei uns ihr volles Potential entfalten konnten.

Kiel war über viele Jahre aufgrund der Erfolge des THW Kiel eine Handball-Stadt. Fußball spielte nur eine Nebenrolle, weil Holstein Kiel lange Zeit lediglich in der Regionalliga gespielt hat. Nun haben sich die Machtverhältnisse verändert. Ist Kiel nun eine Fußball-Stadt?

Der Fußball hat den Handball nicht verdrängt, er ist einfach dazugekommen. Wir sind eine Sport-Stadt. Fußball, Handball, Wassersport – das gehört alles hierher. Ich habe großen Respekt vor den vielen Erfolgen des THW Kiel. Ich sehe uns nicht in einer Konkurrenzsituation.

Sie waren vor Ihrem Dienstbeginn bei Holstein Kiel Jugendtrainer bei Bayer Leverkusen und davor Amateurtrainer. Holstein Kiel ist Ihre erste Profistation. War das dadurch eine besondere Herausforderung?

Die Aufgaben haben sich nicht verändert. In Leverkusen war es genauso wir hier mein Ziel, alle Spieler besser zu machen. Sicherlich gibt es kleine Unterschiede: Im Jugendbereich können sich die Spieler mehr Fehler erlauben als im Profifußball. Die Arbeit als Trainer ist allerdings fast identisch.

Sie haben als Spieler unter vielen Trainern gespielt, beispielsweise auch unter Joachim Löw. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Das war beim FC Tirol Innsbruck. Wir sind zuvor zwei Mal österreichischer Meister geworden. Weil unser Trainer Kurt Jara zum HSV ging, wurde Löw als Nachfolger geholt. Das Problem war, dass der Verein wirtschaftlich nicht mehr gesund war und Gehaltszahlungen ausblieben. Löw musste den Spagat meistern, uns einerseits sportlich auf die nächsten Spiele vorzubereiten, andererseits zwischen Verein und Spielern viel zu vermitteln. Das hat er zwischenmenschlich gut gemacht. Wir wurden erneut Meister. Leider ging der Verein letztendlich pleite.

Stehen Sie heute noch im Kontakt miteinander?

Ich habe ihn vor einigen Monaten bei einem Bundesligaspiel getroffen. Er ist ein Mensch, der sich für einen wirklich Zeit nimmt. Auch als sich unsere Wege in Innsbruck trennten, konnte ich ihn jederzeit anrufen. Daher kann ich sagen, dass er unabhängig von seinen vielen Erfolgen gleich geblieben ist.

Das Interview führte Oliver Jensen