21.03.2018 12:59 Uhr

Tedesco weist Stil-Kritik zurück: "Zu pauschal"

Domenico Tedesco lässt keine Kritik an seiner Spielweise zu
Domenico Tedesco lässt keine Kritik an seiner Spielweise zu

Vor gut einem Jahr beim Zweitliga-Schlusslicht, jetzt beim Bundesliga-Zweiten: Über seinen rasanten Aufstieg als Trainer ist Domenico Tedesco selbst überrascht.

Es ging schon verdammt schnell. Es war Lichtgeschwindigkeit", sagte der Chefcoach von Schalke 04 im Gespräch mit dem "Sport-Informations-Dienst".

Am 8. März 2017 hatte der Hoffenheimer Jugendtrainer beim Tabellenletzten Erzgebirge Aue in der 2. Liga den Einstieg ins Profigeschäft gewagt. Er rettete die Sachsen vor dem Abstieg, fiel Schalkes Sportvorstand Christian Heidel auf und führte als Bundesliga-Novize die im Mittelmaß versunkenen Königsblauen auf Champions-League-Kurs.

Der Musterschüler, der vor zwei Jahren den Fußballlehrer-Lehrgang mit der Bestnote 1,0 abschloss, hat die ersten Praxistests eindrucksvoll bestanden. Als Laptoptrainer, Professor oder Matchplan-Tüftler sieht er sich nicht. "Taktik ist wichtig", sagte Tedesco, "aber das Wichtigste ist die Menschenführung. Am Ende des Tages müssen elf Menschen plus x mit dir durchs Feuer gehen wollen und können."

Aus der Schalker Mannschaft, die in der vergangenen Saison noch auseinander bröckelte, hat er eine effektive Einheit, in der jeder für den anderen kämpft und die als Tabellenzweiter die Rückkehr in die Champions League vor Augen hat. Bei zuletzt fünf Siegen mit nur sieben Toren boten die Königsblauen allerdings eher Minimalistenfußball.

"Wir brauchen uns nicht zu entschuldigen für die Art und Weise, wie wir unsere Punkte holen", betonte Tedesco. Der Vorwurf sei auch "zu pauschal". Er verwies auf die fünftmeisten Tore in der Liga, auf Treffer in 21 Partien in Folge und attraktive Spiele wie das 4:4 in Dortmund, "die spektakulärste Partie der gesamten Saison".


Das ganze Interview zum Nachlesen:

Herr Tedesco, Sie sind vor gut einem Jahr beim Zweitliga-Letzten Erzgebirge Aue ins Profigeschäft eingestiegen. Hätten Sie gedacht, dass Sie nach zwölf Monaten Trainer des Tabellenzweiten der Bundesliga sind?

Domenico Tedesco: "Nein, ganz sicher nicht. Im Alltag hast du wenig Zeit, darüber nachzudenken. Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte ich ein paar Tage zur Selbstreflexion. Da ist mir noch mal richtig bewusst geworden: Es ging schon verdammt schnell. Es war Lichtgeschwindigkeit."

Seit einem Dreivierteljahr sind Sie auf Schalke. Ist es so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Die Emotionalität der Menschen, Fußball als Religion - das ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Bundesliga ist verdammt eng, auch das habe ich so erwartet. Du musst in jedem Spiel ans Limit gehen.

Sie sind plötzlich prominent. Was hat sich geändert?

Man wird erkannt, um ein Autogramm gebeten. Manche Menschen werden ein bisschen nervös, wenn sie einen sehen. Aber wir versuchen, als Familie so zu leben wie vorher. Man trifft uns auf dem Spielplatz mit der kleinen Tochter oder beim Einkaufen im Supermarkt.

Gibt es etwas, was Sie nicht mehr machen können?

Ich kann beispielsweise nicht mehr spontan in den McDonald's gehen, mir einen Big Mac nehmen und den ganz entspannt vor Ort essen. Wenn, dann nur über den Drive-in. Aber es gibt Schlimmeres. Die meisten Menschen sind ja auch sehr freundlich, wenn sie mich erkennen.

Sie gehören zur Generation der sogenannten Laptoptrainer. Professor, Matchplan-Tüftler - gefallen Ihnen solche Titel?

Nein, das greift zu kurz. Taktik ist wichtig, in der täglichen Arbeit spielt das natürlich eine Rolle. Spätestens wenn der Gegner auf dem Platz etwas umstellt, musst du es erkennen und Ideen haben. Aber das Wichtigste ist die Menschenführung. Am Ende des Tages müssen elf Menschen plus x mit dir durchs Feuer gehen wollen und können.

Warum hört sich Fußball bei Ihnen so verwissenschaftlicht an? Jupp Heynckes sagt, eigentlich habe sich nicht viel geändert.

Ich bin mit diesen Begriffen groß geworden. Es ist wie im Marketing. Früher hatten die Haribos transparente Folie, jetzt ist sie golden oder rot und grün. Aber der Inhalt bleibt der gleiche. Auch die Worte kannst du verändern. Früher hieß es Konter, jetzt heißt es Umschalten nach Ballgewinn. Früher hieß es, du musst nachsetzen, jetzt Gegenpressing. Ich bin aufgewachsen mit diesem Wording, so wie andere vor 30, 40 Jahren mit ihren Vokabeln, und in 20, 30 Jahren gibt's neue. Aber entscheidend waren, sind und bleiben die Inhalte - egal, wie man sie nennt.

Sie haben einen anderen Beruf gelernt, waren kein Profi. Wird man als Quereinsteiger besonders beäugt?

Die Kollegen gehen sehr fair mit mir um. Auch was die Experten sagen, ist immer sehr fair und transparent.

Müssen Sie sich mehr beweisen?

Vielleicht ist die Wahrnehmung zu Beginn eine etwas andere. Am Ende des Tages musst du aber einfach authentisch sein und Ergebnisse einfahren. Egal, ob du Profi warst oder Quereinsteiger.

Schalke hat mit nur sieben Toren fünf Spiele in Folge gewonnen. Sie mussten sich zuletzt für diesen Minimalistenfußball rechtfertigen.

Wir brauchen uns nicht zu entschuldigen für die Art und Weise, wie wir unsere Punkte holen. Generell ist mir das auch zu pauschal. Wir haben die fünftmeisten Tore in der Liga erzielt und schon attraktive Spiele gezeigt. Das 4:4 in Dortmund beispielsweise war die spektakulärste Partie der gesamten Saison. Und ich habe noch nicht viele Teams gesehen, die in München so aktiv waren wie wir. Aber natürlich waren zuletzt Spiele dabei, die vielleicht nicht so schön anzusehen waren. Aber gerade, wenn es fußballerisch nicht so läuft, ist es wichtig, dass du Leidenschaft und Wille zeigst. Das machen die Jungs überragend.

Sie haben in der Winterpause gesagt, dass Sie mehr auf die Offensive und die Ballbesitzphasen Wert legen wollen. Mit 48,5 Prozent Ballbesitz liegt Schalke auf Platz neun in der Liga. Sind Sie damit zufrieden?

Ballbesitz ist nicht ausschlaggebend, ob du gut spielst oder schön spielst. Es können die Innenverteidiger den Ball auch permanent hin und her spielen. Wichtiger sind andere Werte - etwa: Wie viele Torchancen kreierst du? Wichtig ist das Spiel nach vorne, das wollten wir verbessern, mehr Torgefahr ausstrahlen. Das ist uns insgesamt auch nicht so schlecht gelungen, weil wir seit 21 Spielen immer treffen.

Ihr Kapitän Ralf Fährmann hat gesagt: Wir spielen am absoluten Limit. Wir haben nicht die Qualität, einen Gegner an die Wand zu spielen. Ist es eine Frage der Qualität der Mannschaft?

Was Ralf damit gemeint hat, ist, dass wir einfach alles rauspusten. Wir haben einen klaren Plan, wie wir das nächste Spiel gewinnen können. Nicht, wie wir 80 Prozent Ballbesitz generieren können. Das wäre nicht zielführend. Aber wir wollen uns natürlich verbessern. Wir wollen Phasen, in denen wir die Möglichkeit haben, Lücken zu kreieren, nach vorne zu spielen, besser nutzen.

Viele sagen, Sie holen aus dieser Mannschaft das Optimum heraus. Sehen Sie noch Steigerungsmöglichkeiten?

Die gibt es immer. Noch mehr Tore machen, Kontersituationen besser ausspielen, noch mehr Ruhephasen haben, wenn der Druck des Gegners größer wird. Die Jungs haben 100-prozentig die Fähigkeiten dazu. Es ist ja schön, dass wir erfolgreich sind und trotzdem noch Luft nach oben haben.

In der nächsten Saison sind zwei sehr wichtige Spieler wie Leon Goretzka und Max Meyer möglicherweise nicht mehr dabei. Fangen Sie dann wieder von vorne an?

Noch hat Max sich ja nicht entschieden. Aber generell gehört es dazu, dass man auch mal den Abgang von Qualitätsspielern kompensieren muss, das ist unser Job.

Über die Champions League wollen Sie noch nicht reden. Aber Sie schauen sie sich im Fernsehen schon mal an. Was fasziniert Sie daran?

Jeder Wettbewerb hat seine Vorzüge. Auch in der Europa League geht es zur Sache. Grundsätzlich ist es schön, wenn man international spielen und Deutschland vertreten kann. Aber das ist für uns aktuell noch sehr weit weg.

Gucken Sie bisher als Fan oder als Trainer zu?

Eher als Fan.

Worauf achten Sie?

Auf schönen Fußball, gute Unterhaltung. Ich versuche auszuschalten, da etwas raus zu lesen, sondern mich über gute Spiele zu freuen.

Haben Sie schon einen Anzug für die Champions League?

Nur einen viel zu kleinen.