26.03.2018 14:59 Uhr

Boateng: Gewachsen auf Beton, entwickelt auf Rasen

Jérôme Botang feiert gegen Brasilien ein Heimspiel
Jérôme Botang feiert gegen Brasilien ein Heimspiel

Am Wochenende tauchte Jérôme Boateng in die vibrierende Szene seiner alten Heimat ein. Nach dem Konzert der US-Hip-Hop-Stars Migos im berühmten "Huxleys" posierte er in Neukölln mit den Künstlern, als wäre er selbst über die Bühne getobt.

"Ich habe immer noch Lust auf Berlin", sagte er im "FAZ"-Interview, "ich bin hier aufgewachsen und zu dem Menschen geworden, der ich bin."

Sein kantiges Konterfei ziert immer noch als überdimensionales Graffito eine Hauswand im Stadtteil Wedding, darüber steht: "Gewachsen auf Beton." Auch das Berliner Idiom ist manchmal noch zu hören, wenn er von "sone Gegner" spricht. Jérôme Boateng verschluckt seine Worte, bevor sie richtig seinen Mund verlassen haben.

Doch der Inhalt ist eindeutig, klar, bestimmend. Der Innenverteidiger positioniert sich innerhalb der Weltmeister-Mannschaft als Anführer. "Boss Boateng" nennt ihn der Boulevard - häufig ist der 29-Jährige derjenige, der Missstände und Nachlässigkeiten am kritischsten anspricht.

Nach dem 1:1 (1:1) gegen Spanien beispielsweise arbeitete er leise und ohne Mienenspiel eine lange Liste weltmeisterlicher Unzulänglichkeiten ab. "Wir wollen im Sommer erfolgreich sein, da müssen wir solche Dinge ganz klar ansprechen", erklärte er am Montag während der Pressekonferenz: "Das ist besser, als sie verstreichen zu lassen, und dann gucken wir uns alle blöd an, wenn es drauf ankommt."

Kindheitstraum geht in Erfüllung

Er blickte dabei ungerührt durch seine Rundbrille mit goldenem Rand, die Ohrstecker funkelten. An ihm ist wahrlich ein Hip-Hopper verlorengegangen. Andererseits war er bei der Berlinale mit Frack und Fliege geschniegelt, als wollte er sich seinen Oscar abholen. Boateng kann viele Rollen spielen - stets im perfekten Dress.

Am Dienstag (20:45 Uhr) wird er allerdings mit ganz besonderem Vergnügen ins Rampenlicht treten. "Ich habe als kleines Kind schon davon geträumt, im Olympiastadion gegen Brasilien zu spielen", berichtete er: "Ich freue mich riesig."

Vom Druck, der ihn einst belastete, hat er sich befreit. Er sei souveräner, solider, ruhiger, ausgeglichener geworden: "Das liegt auch am Privatleben mit meinen Kindern. Das verändert ein Leben schon sehr." Die Zwillinge Lamia und Soley sind inzwischen sieben Jahre alt, er nennt sie seine Engel: "Sie sind der Segen meines Lebens."

Boateng will "noch besser werden"

An Skandälchen des Nachtlebens wie früher ist daher überhaupt nicht mehr zu denken. Boatengs Versuchung ist der Erfolg. Er hat aus seinem früheren Hang zur Sorglosigkeit eine Besessenheit entwickelt, die ihn immer weiter vorantreibt.

Das 7:1 gegen Brasilien im WM-Halbfinale habe er nie wieder angeschaut, beteuert er, denn er wolle nach vorne sehen, "noch besser werden". Das Gegentor beim Stande von 7:0 (!) hingegen ist ihm in fieser Erinnerung: Es hat ihn furchtbar geärgert.

Gewachsen ist Jérôme Boateng auf Beton. Entwickelt hat er sich auf dem Rasen - und auch daneben.