27.04.2018 09:51 Uhr

Titz' Retter-Mission beim HSV: Der Glaube ist zurück

Christian Titz (M.) hat für neuen Schwung beim Hamburger SV gesorgt
Christian Titz (M.) hat für neuen Schwung beim Hamburger SV gesorgt

Der akut abstiegsbedrohte Fußball-Bundesligist Hamburger SV glaubt tatsächlich wieder daran, das Wunder vom Klassenerhalt noch möglich zu machen. Der Positivtrend muss in einem Atemzug mit Christian Titz genannt werden, der die Zuversicht zurück an die Elbe gebracht hat. 

Es ist vor allem die Art des Fußballs, die beim HSV trotz einer fast ausweglos erscheinenden Situation neuen Optimismus ausgelöst hat. Das frühe und gemeinsame Anlaufen der Gegenspieler, das insgesamt höhere Verteidigen und der Mut zum deutlich risikobetonteren Spiel gefällt sowohl Verantwortlichen als auch Anhängern des Bundesliga-Dinos.

"Wir haben es geschafft, eine gewisse Euphorie in der Fan-Szene zu entwickeln. Wir können mit einem guten Gefühl nach Wolfsburg fahren", betonte der 47-Jährige. 

In einer Situation, in der die Rothosen eh nichts mehr zu verlieren haben, fordert der gelernte Verwaltungsfachanstestellte den lange vermissten Mut im Aufbauspiel, Courage in den Zweikämpfen sowie absolute Hingabe im läuferischen Bereich ein. Die Spieler haben schnell begriffen: Seit Titz auf der Trainerbank sitzt, laufen die Hamburger so viel wie kein anderes Team der Liga. Die Fleißpunkte haben die Rothosen seit fünf Wochen sicher, was vom leidgeplagten HSV-Publikum erkannt und gewürdigt wird.

Das neu gewonnene Vertrauen in die eigene Stärke soll in Wolfsburg wieder auf den Rasen gebracht werden: "Wir brauchen richtig viel Willensstärke. Wir haben einen gesunden Mix aus einem gewissen Selbstvertrauen und einer bestimmen Anspannung. Ich sehe das Spiel in Wolfsburg als eine Art Viertelfinale für uns. In solchen Spielen sind Tagesform und mentale Stärke ganz entscheidende Faktoren", so der Hamburger Übungsleiter im Vorfeld des Auswärtsspiels bei den Wölfen. 

Lob von HSV-Ikone Stein: "Titz hat eine Handschrift"

Spielerische Sicherheit lässt sich nicht so leicht und schnell herbeicoachen wie Laufbereitschaft und Engagement, doch auch hier sind eindeutige Fortschritte sichtbar. "Die Art und Weise, wie sie unter dem neuen Trainer auftreten, da muss man ein Kompliment aussprechen", stimmte zuletzt auch "Eurosport"-Experte Matthias Sammer zu. Und Torwart-Ikone Uli Stein erkannte bei "Sky": "Titz hat eine Handschrift, die man bei seinen Vorgängern nicht gesehen hat".

Sinnbildlich für den Titz-Effekt steht Mittelfeldmann Lewis Holtby, der sich von der gescholtenen HSV-"Lusche" zum ersten Hoffnungsträger entwickelt hat. "Das Schöne ist doch, es allen Leute zu zeigen, dass man doch ein guter Kicker ist. Das ist Motivation für mich", sagte der Torschütze des Freiburg-Spiels am letzten Wochenende. 

Sieben Punkte in den fünf Spielen unter Titz sind zwar keine überragende Quote. Doch immerhin sorgten die Heimsiege gegen Schalke und Freiburg sowie das Remis in Stuttgart dafür, dass der Rückstand auf den arg in die Krise geratenen SC Freiburg von zwölf auf fünf Punkte reduziert wurde. 

Kommt die Trendwende in Hamburg zu spät?

Das so oft zitierte Momentum ist längst in Richtung des Bundesliga-Dino gekippt. Vor allem, weil sich die Konkurrenten aus dem Breisgau mehrfach mit fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen befassten, statt den Fokus direkt wieder auf das Sportliche zu richten. 

Freiburg scheint im Kampf um das große Zwischenziel, dem Erreichen des Relegationsplatzes, der Hauptkonkurrent zu werden. Auch der kommende Gegner Wolfsburg sowie Mainz 05 sind wieder in Reichweite. Dennoch könnte die Trendwende bei nur noch drei ausstehenden Begegnungen zu spät kommen.

Unverkennbar, wie der Fußball-Lehrer besonders auf den Schlüsselpositionen neu angesetzt hat. Der zuletzt formstarke und risikofreudig spielende Julian Pollersbeck im Tor sowie der bis zur Titz-Übernahme überhaupt nicht berücksichtigte Sechser Matti Steinmann verleihen der HSV-Defensive ebenso und Stabilität wie der nach anfänglichen Differenzen schnell begnadigte Innenverteidiger Kyriakos Papadopoulos. Der Grieche bestach gegen Freiburg nicht nur mit starken Abräumerqualitäten, sondern fungiert als Initiator der "Griechischen Wochen" auch als neuer Feel-Good-Manager beim Vorletzten. 

Sieben Punkte aus drei Endspielen als Minimalziel

Offensiv übernimmt unter Titz bekanntlich sein Lieblingsschüler Lewis Holtby eine Schlüsselrolle, ebenso der 20-jährige Wirbelwind Tatsuya Ito. Unter Hollerbach in die Regionalliga-Reserve verschmäht, ist er unter Titz wieder eine feste Größe in der Offensivreihe und steht mit seinen mutigen Dribblings, seiner Risikobereitschaft und seinem hohen Aufwand stellvertretend für den Fußball, mit dem der HSV das Wunder vom Klassenerhalt noch schaffen will

Titz konnte nur gewinnen. Mit null Erfahrungen im Profi-Bereich ausgestattet, galt er als kostengünstigste Variante, um beim zwischenzeitlichen Tabellenletzten Schadensbegrenzung zu betreiben und die jungen Kräfte aus der U23-Mannschaft schon mal auf die Zweitligasaison vorzubereiten.

Doch der gebürtige Mannheimer plant anders - seine Rechung steht: Sieg in Wolfsburg, Punkt in Frankfurt, Sieg gegen Gladbach. Mit dann 32 Punkten muss es zum Wunder und für einen neuen Vertrag beim Hamburger SV reichen - irgendwie.

Mats-Yannick Roth