13.05.2018 12:31 Uhr

HSV will nach "schmerzhaftem Moment" nach vorn blicken

Ein Kapitel deutscher Fußballgeschichte ist beendet. Der einst große Hamburger SV, zweimaliger Europapokal-Triumphator und sechsmaliger deutscher Meister, ist erstmals in seiner bewegten Bundesliga-Historie abgestiegen.

Nach knapp 55 Jahren hat es auch den dienstältesten Erstligisten, der als einziger Verein von der Gründungsstunde bis heute im Oberhaus vertreten war, erwischt. Die Bundesliga ist damit um eine Attraktion ärmer.

"Ich habe nie gedacht, dass der HSV, solange ich lebe, einmal absteigen würde", sagt Klub-Ikone Uwe Seeler. ""Ich bin schon ein bisschen traurig. Ich glaube aber auch", meint der 81-Jährige, "dass wir wieder aufsteigen und ich dann noch mal 1. Liga zu sehen bekomme." Der sofortige Wiederaufstieg ist das Ziel.

Der verdiente 2:1-Sieg der Hamburger gegen Borussia Mönchengladbach zum Saisonabschluss war nichts mehr wert. Am Relegationsplatz-Rivalen VfL Wolfsburg kamen sie nicht vorbei. Allen Planungen zum Trotz: Die bundesweit bekannte Uhr des Ex-Bundesligisten läuft vorläufig weiter. Sie soll künftig wohl auf die Dauer des 130-jährigen Vereinsbestehens umgestellt werden. Chronisten hielten den historischen Moment im Bild fest: Nach exakt 54 Jahren, 261 Tagen, 00 Stunden, 36 Minuten und 02 Sekunden klappte der Traditionsverein von der Elbe seine Bundesliga-Chronik zu.

Hoffmann spricht von historischer Dimension des HSV-Abschieds

"Dies ist ein enorm schmerzhafter Moment für den gesamten HSV, der damit eine seiner Einzigartigkeiten verloren hat", klagt Bernd Hoffmann. Der Präsident und Aufsichtsratschef, der auf der Tribüne seine weinenden 14-jährigen Zwillingssöhne trösten musste, spricht von einer historischen Dimension des HSV-Abschieds. Frank Wettstein, einzig verbliebener Vorstand in der ausgedünnten Vereinsführung, will sich nicht mit Wehmut aufhalten und verkündet das neue Ziel, "den direkten Wiederaufstieg zu realisieren". Seeler hat sich bereits als Dauergast für die Zweitliga-Heimspiele angesagt.

Der Wechsel zu Trainer Christian Titz sei "ein bisschen spät" gekommen", bedauert Seeler. Den der Trainer-Nobody holte aus acht Spielen beachtliche 13 Punkte und sorgte für eine Wiederbelebung des völlig verunsicherten und desolaten HSV. Immerhin schaffte der 47-Jährige starke 1,62 Zähler pro Spiel. Da hatten seine Vorgänger Markus Gisdol (0,79 Punkte) und Bernd Hollerbach (0,43) den Karren aber längst in den Dreck gesteuert. Deren Verschulden ist die Schussfahrt in die Katastrophe aber bei weitem nicht allein. Der überforderte Ex-Sportchef Jens Todt und der zwar charmante Plauderer, aber wenig verbindliche ehemalige Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen leisteten ebenfalls ihren Beitrag zum Niedergang des HSV.

Bezeichnend für den Verein, dass Kompetenz, Konzept und pädagogisches Geschick des ehemaligen U17- und U21-Trainers Titz von der HSV-Führungsriege viel zu spät erkannt worden sind. Hätte der 47-Jährige früher antreten dürfen, wäre die Degradierung in Liga zwei wohl zu verhindern gewesen. Stattdessen hatte sich der wenig inspirierende Ex-HSVer Hollerbach als Nachfolger des erfolglosen Gisdol versuchen dürfen - und damit den Crash programmiert. Nachwuchschef Bernhard Peters: "Es waren andere, die die Entscheidung getroffen habe."

Weg der Erneuerung mit Titz und Nachwuchsspielern

Zu bedauern ist: In Vorstand und Aufsichtsrat dominieren Zahlenakrobaten und Wirtschaftsexperten, aber Fußball-Sachverstand ist Mangelware. Ex-Verteidiger Marcell Jansen soll die Schieflage im Aufsichtsrat beheben. Hoffentlich hat er Erfolg. "Dieser Abstieg ist das bittere Ergebnis einer sportlichen Fehlentwicklung", bekennt Finanzchef Wettstein, verschweigt aber die eigene Verantwortung und die seiner Kollegen. Denn die Misswirtschaft mit dreistelligen Millionenschulden und jährlichen Defiziten hält seit Jahren an. Mäzen und größter Einzelinvestor Klaus-Michael Kühne beklagt die Verbrennung seines Geldes, bleibt in der 2. Liga aber dabei. Hoffmann will den Milliardär stärker an Regeln gewöhnen und seine Rolle als Störfeuer eindämmen.

Der HSV wird unter Trainer Titz einen tiefgreifenden sportlichen Umbruch vollziehen. Geld für Millionen-Investitionen in neue Spieler, wie sie einst Hoffmann in seiner ersten Amtsperiode von 2003 bis 2011 hemmungslos vornahm, wird es nicht mehr geben. Titz zeigt den Weg der Erneuerung: Junioren-Spieler wie der mit dem FC Bayern in Verbindung gebrachten Fiete Arp, Tatsuya Ito, Josha Vagnoman, Stephan Ambrosius und andere Talente wurden an die Profis herangeführt. Ob alle Hoffnungsträger bleiben, ist unklar.

Pyro-Chaoten? "Zum Kotzen"

An Bord bleibt der Kapitän. "Wir haben in den letzten Wochen richtig Gas gegeben", sagt Gotoku Sakai. Mit dem neuen Team will er die sofortige Rückkehr in die Eliteliga. Auch Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos deutet Durchhaltewillen an: "Wir sind der große HSV. Wir müssen das schnell abhaken und zurück in die 1. Liga kommen."

Was die Chaoten in der Nordkurve mit Böllern und Rauchbomben wenige Sekunden vor Schluss auslösten, wird den HSV noch teuer zu stehen kommen. Wieso eigentlich, fragen sich die 56.900 friedlichen Zuschauer im Volksparkstadion, konnten die rund 100 Schwarz-Jacken derart viel Pyrotechnik in die Arena schleusen, dass die gefährliche Ballerei rund 15 Minuten andauerte? "Das Allerletzte, zum Kotzen, was ein kleine Gruppe von Idioten gemacht hat", schimpft Hamburgs Sportsenator Andy Grote. Die echten Fans gaben eine eindrucksvolles Bekenntnis ab: Sie pfiffen die Chaoten lautstark aus und legten sich fest: "Wir sind Hamburger - und ihr nicht!"