19.05.2018 09:06 Uhr

Damals: Blankes Entsetzen nach Schalker 4-Minuten-Traum

2001 wurde der FC Schalke 04 zum
2001 wurde der FC Schalke 04 zum "Meister der Herzen"

Am 19. Mai 2001 sorgte der wohl denkwürdigste letzte Spieltag einer Saison der Fußball-Bundesliga für Aufsehen: Vier Minuten und 38 Sekunden war der FC Schalke Deutscher Meister, dann schlug der FC Bayern zu.

Die Ausgangslage vor dem 34. Spieltag der Saison 2000/01 war klar: Ein Schalker Heimsieg gegen Unterhaching und eine gleichzeitige Bayern-Pleite beim HSV mussten her, um die seit 1958 anhaltende Meister-Durststrecke der Knappen zu beenden und die königsblauen Jubeldämme brechen zu lassen. Es entwickelte sich der wohl spannendsten Meisterkrimi der Ligageschichte.

In Gelsenkirchen läuft zunächst alles schief: S04 liegt nach 27 Spielminuten durch Treffer des späteren Schalke-Trainers André Breitenreiter und Miroslaw Spizak 0:2 hinten, ehe ein furioser Endspurt die Hoffnung wieder aufleben lässt: Mit einem Doppelschlag egalisieren Nico van Kerckhoven (44.) und Gerald Asamoah (45.) den Rückstand.

Im zweiten Durchgang geht Unterhaching durch einen Treffer von Jan Seifert (70.) erneut in Führung, bevor Jörg Böhme (73./74.) und Ebbe Sand (89.) endgültig dafür sorgen, dass Schalke seine Pflicht erfüllt. Die nach dem aufreibenden Spielverlauf zum zerreißen gespannten Nerven der Schalker sollen allerdings noch grausamer beansprucht werden.

Barbarez schockt Effenberg, Hoeneß und Co.

Nach 90-minütigem Ballgeschiebe nähern sich Bayern und Hamburg im Parallelspiel dem Schlusspfiff - 0:0 prangt auf der Anzeigetafel, Bayerns Meisterschaft ist nur noch eine Frage von Sekunden. Nach einem missglückten Klärungsversuch landet die Kugel dann allerdings bei Marek Heinz, der das Leder mit dem linken Schlappen butterweich auf den Schädel von Sergej Barbarez serviert - der Bosnier bleibt cool, nickt ein und sorgt für entgleisende Gesichtszüge bei Uli Hoeneß, Stefan Effenberg, Oliver Kahn und Co.

Zu diesem Zeitpunkt brechen in Gelsenkirchen alle Dämme. Schalke-Urgestein Rudi Assauer versetzt dem königsblauen Himmel eine Salve jubelnder Aufwärtshaken, "Premiere"-Feldreporter Rolf Fuhrmann gratuliert S04-Manager Andreas Müller zur Schale und selbst auf dem Gesicht des ewig ernsten Schalke Haudegens Jirí Nemec sind Ansätze eines Lächelns zu erkennen. Die Sache hatte allerdings einen Haken: Ein ganzes Stadion, eine ganze Stadt und Großteile der deutschen Fußball-Fans vor den TV-Bildschirmen sind der Fehlinformation aufgesessen, dass in Hamburg bereits der Schlusspfiff ertönt sei.

Die Schalker liegen sich verfrüht in den Armen
Die Schalker liegen sich verfrüht in den Armen

In der Hansestadt rollt das Leder allerdings noch über den Rasen des Volksparks - Drama inbegriffen. In der Nachspielzeit zimmern die Bayern den Ball noch einmal in Richtung des HSV-Strafraums, wo Tomás Ujfalusi die Kugel im Laufduell mit Bayerns Paulo Sérgio zum eigenen Kasten spitzelt. Kein Problem für HSV-Keeper Mathias Schober, der die Murmel unter sich begräbt. Bayern reklamiert Rückgabe, Schiri Dr. Markus Merk leistet zur Überraschung vieler Fans folge, der Rest ist Geschichte. Patrik Andersson, der Bayer "mit dem strammsten Bumms" (O-Ton: Stefan Effenberg), knallt den indirekten Freistoß aus knapp acht Metern in die Maschen - Bayern ist Meister.

Assauer: "Ich habe den Glauben an den Fußballgott verloren"

Als sich die wohl bitterste Breitseite der deutschen Fußballgeschichte endlich unumstößlich und quälend langsam ihren Weg über den medialen Äther in Ohr, Hirn und Herz der Schalker Fans brennt, ist der Rasen des Parkstadion längst unter einer jubelnden, weinenden und überglücklichen königsblauen Masse versunken. Vier Minuten und 38 Sekunden später weicht der Jubel augenblicklich ungläubiger Stille.

Besonders bitter: Die zehntausenden Gelsenkirchener Fußball-Fans erleben den Sturz vom Thron live über die Anzeigetafeln im Parkstadion mit. Dort werden die letzten Minuten aus dem Hamburger Volkspark übertragen. 

Die Situation sei vergleichbar mit einem Flugzeugabsturz, bei dem alle umgekommen seien, bilanzierte ein fassungsloser Assauer auf der anschließenden PK und fügte kurz darauf an: "Ich habe den Glauben an den Fußballgott verloren."

Nach diesem Herzschlagfinale wurde der FC Schalke von den Medien zum "Meister der Herzen" erklärt. Ein schwacher Trost angesichts dieser Dramatik, doch sportlich qualifizierten sich die Knappen immerhin erstmals für die Champions League. Ein großer Erfolg für den Verein, nur auf die Meisterschale wartet man auf Schalke bis heute vergeblich.

Marc Affeldt