04.12.2013 10:22 Uhr

FIFA erhofft positiven Impuls für Brasilien

Dieser Pokal ist das Objekt der Begierde
Dieser Pokal ist das Objekt der Begierde

"Brasilien wird von der Fußball-WM enorm profitieren". Davon ist Saint-Clair Milesi vom FIFA-Organisationskomitee in Rio de Janeiro überzeugt. Trotz aller Medienkritik im Vorfeld seien Events wie die "Copa do Mundo 2014" oder die "Jogos Olimpicos Rio 16" Impulse, um etwa Defizite bei der Verkehrsinfrastruktur oder der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen, wie Milesi in Rio im APA-Gespräch meinte.

Befürchtungen, dass beispielsweise die Stadien nicht rechtzeitig fertig werden könnten, teilte Milesi nicht: "Wir sind mit allem in der Zeit." Horrormeldungen, wonach es erhebliche Verzögerungen gebe, seien auch sensationslüsternen Presseberichten zu verdanken, gab sich der Sprecher des lokalen Organisationskomitees in Rio gelassen: "Die Medien müssen eben auch etwas zu berichten haben." (Anmerkung: Das Interview fand vor dem Unglück mit zwei Toten auf der Baustelle des Eröffnungsspiel-Stadions von São Paulo statt.)

Dass Brasilien für das Großereignis gewappnet sei, habe auch der Confederations-Cup im Frühsommer gezeigt: "Das war ein sportlicher und organisatorischer Erfolg." Allerdings sei es wieder den Gesetzen der Medienwelt geschuldet, dass international vor allem die Proteste unzufriedener Bürger im Bewusstsein hängen blieben. "Es war natürlich kein Zufall, dass die Proteste gerade während des Confed-Cups stattgefunden haben. Und die Kameras wurden dann natürlich auf Transparente fixiert, auf denen Sachen wie 'FIFA go home' gestanden sind."

Dabei habe die brasilianische Bevölkerung ihre Begeisterung für den Fußball und die WM-Endrunde nicht verloren : "Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zur Fußball-WM auch während der Proteste nicht gesunken sind. Von den Demonstranten gaben nur fünf Prozent an, dass sie gegen die Austragung der WM sind. Und es dauert noch ein paar Monate bis dahin. Zwei Drittel der Brasilianer sehen sie positiv und freuen sich darauf. Die Erfahrung von vorherigen Großevents zeigt auch, dass die Zustimmung noch wächst, je näher das Ereignis rückt."

Die an sich legitimen Proteste seien allerdings ein wenig eskaliert, bemängelte Milesi: "Wir respektieren das Recht auf freie Meinungsäußerung und unterstützen das Recht auf Demonstrationen. Wir haben eine große Manifestation der Demokratie gesehen, aber es gab auch eine kleine Gruppe, die sich abgespalten und Akte von Vandalismus begangen hat. Manche haben die Zugänge zu den Stadien und den Spielen blockiert. Aber die Fans, die ein Ticket gekauft haben, haben auch das Recht, dass sie bis zum Stadion und dann hinein kommen."

Die Proteste hätten zudem das Image Brasiliens als äußerst unsicheres Land genährt. Dabei gebe es gerade diesbezüglich enorme Fortschritte. "Das Thema Sicherheit kann man nicht landesweit vereinheitlichen. Es gibt ein paar größere Städte mit einer höheren Kriminalitätsrate, aber es gibt keinen einzigen Ort in Brasilien, wo die Kriminalitätsrate am Steigen ist. Der große Trend ist, dass die Kriminalität zurückgeht." Zudem seien die Hotspots mit dem Drogenhandel in den Favelas verbunden, wo der normale Fußball-Fan ohnehin kaum hinkomme. "Die Fans können sicher sein, dass Brasilien heute ein wesentlich sichereres Land ist, als es noch gestern war. Und morgen wird es noch sicherer sein."

Die Rufe der Demonstranten nach besseren Schulen oder Spitälern seien verständlich, meinte Milesi, der sich aber auch diesbezüglich von der WM einen Impakt erhofft. "Die Fußball-WM kann da viel bewegen. Sie generiert Investments, die sich auch in den anderen Bereichen niederschlagen. Eine Studie zeigt: Jeder einzelne Dollar, den die Regierung in die Copa do Mundo investiert, bringt der Wirtschaft letztlich 3,5 Dollar." Mehr Investitionen würden auch mehr Steuereinnahmen bedeuten: "Dann kann die Regierung mehr in Projekte wie Schulen oder Spitäler investieren."

Hauptstadt mit Stadion aber ohne Klub

Ähnlich sieht die Argumentation des lokalen FIFA-Organisators aus, wenn es um die Kritik am Bau von Stadien in Städten wie Brasilia, Manaus, Natal oder Cuiaba geht, wo es mitunter keine Vereine mit Erstliga-Niveau gibt. "Es war eine Entscheidung der Bundesregierung, die Stadien über dieses riesige Land zu verteilen. Weil das die Infrastruktur verbessert. Wir haben hier in Brasilien ein Nord-Süd-Gefälle, wobei der Süden besser entwickelt ist. Es wäre überheblich, wenn wir im Süden sagen würden, ihr im Norden dürft keine schönen Stadien haben."

Städte wie Manaus im Amazonas-Gebiet hätten noch ein enormes Entwicklungspotenzial, so Milesi. "Ein Stadion kann dazu beitragen. Man sollte jetzt nicht herumdiskutieren, ist das gut oder schlecht, dass da ein Stadion gebaut wurde. Es steht schon da. Also muss die Frage lauten, was machen wir damit." Das Beispiel Brasilia habe bereits gezeigt, dass es Konzepte für eine Nachnutzung gebe: "Es gibt dort eine Gesellschaft, die Konzerte und andere Events organisiert, wobei jedes Großereignis 1000 temporäre Jobs kreiert."

Und vielleicht sei ein neues Stadion für Brasilia ja auch ein Anreiz für Investoren: "Okay, es gibt keinen Erstliga-Club dort, aber für Gastspiele anderer Teams war das Interesse enorm. Vielleicht gewinnt man die Wirtschaft dafür, in einen lokalen Verein zu investieren, der dann Zuschauer anzieht. In Brasilia gibt es das zweithöchste Einkommen pro Kopf von Brasilien, da ist enormes Potenzial da. Man muss es nur nutzen."

Die WM-Stadien würden auch neue Standards in das größte Land Lateinamerikas einführen: "Erstmals in Brasilien haben wir jetzt nummerierte Sitze. Bis jetzt ging jeder rein und nahm dort Platz, wo es ihm passte. Jetzt ist das geordnet. Das bringt beispielsweise auch Familien wieder in die Stadien." Durch die Neugestaltung seien die Preise auch nicht für alle gestiegen, betonte Milesi: "Es gibt es jetzt nur unterschiedliche Kategorien. Das fängt bei 20, 30 Reais (6,2 bis 9,3 Euro) an und geht dann weit hinauf. Wie im Flugzeug. Du kannst Business-Class fliegen oder weiter hinten sitzen."

Und bei der WM-Endrunde würden zehn Prozent der Tickets sogar nach sozialen Kriterien vergeben: "Es wird Halbpreistickets geben." Davon profitieren Studenten, Pensionisten und Bezieher der staatlichen Sozialhilfe "Bolsa Familia". "Jeder Arbeiter, der an einem WM-Stadion mitgebaut hat, bekommt ein Gratisticket. Rund 50.000 Tickets wurden von der Regierung für Indigene reserviert."

Brasilianer sollen das Auto stehen lassen

Auch bezüglich des Öffentlichen Verkehrs sollten WM und Olympia einen Innovationsschub bringen: "Der Transport ist eine großes Herausforderung für die Endrunde, weil die Distanzen zwischen den Austragungsorten sehr groß sind, wie zuletzt 1994 in den USA." Die Crux liege aber im Nahverkehr: "In Brasilien ist es immer noch Usus, dass die Leute vor allem mit den Privatautos zu den Stadien fahren. Dieses Erbe würden wir mit der WM gerne hinter uns lassen."

Um die entsprechende Qualität im öffentlichen Verkehr anbieten zu können, sind große Investitionen notwendig, räumte Milesi ein. "In São Paulo oder Rio haben wir Zug- und U-Bahn-Anschluss beim Stadion. Andere Städte haben andere Lösungen. Wir haben aber durch die WM sicher einen Push für den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel erwirkt. Auch wenn es noch Verbesserungspotenzial gibt, etwa in der Frequenz der Züge, aber daran wird gearbeitet. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Und die WM wird sicher ein Riesenfest!"

apa