28.01.2014 11:44 Uhr

Zwei Vereine, zwei Wege, ein Ziel

Am Dienstagabend herrscht in und rund um Liverpool wieder der Ausnahmezustand. Der Liverpool FC empfängt den Stadtrivalen aus Everton zum 222. Merseyside-Derby an der Anfield Road. Dass dieses Duell gleichzeitig ein absolutes Spitzenspiel ist, ist kein Zufall.

Vierter gegen Sechster, zweitbester Angriff gegen zweitbeste Abwehr, die Hoffnung auf den Titel auf der einen, der Wunsch nach der Champions-League-Teilnahme auf der anderen Seite. Das traditionsreiche Liverpooler Stadtderby (ab 21 Uhr bei uns im Liveticker) elektrisiert die Fans in dieser Saison mehr denn je. Für beide Vereine läuft es so gut wie seit Jahren nicht. Grund genug, sich das Erfolgsgeheimnis der Erzrivalen etwas genauer anzuschauen.

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Mit Leiharbeitern in die Champions League?

Während die Klubs aus London und Manchester Jahr für Jahr viel Geld in die Hand nehmen und teure Stars verpflichten, gehen die "Toffees" andere Wege. Ein Großteil ihres Erfolges basiert auf Leihgeschäften. Lacina Traoré (Monaco) ist das aktuellste Beispiel, Romelu Lukaku (Chelsea), Gareth Barry (ManCity) und Gerard Deulofeu (Barcelona) wechselten erst kurz vor Saisonbeginn auf die blaue Seite Liverpools - und empfehlen sich dort regelmäßig für höhere Aufgaben.

Barry präsentiert sich als unermüdlicher Antreiber im Mittelfeld und ist für viele Experten schon jetzt der "Transfer der Saison". Lukaku (neun Saisontore) überzeugt als effektiver Knipser in der Sturmspitze und Deulofeu sorgt für die nötige Entlastung von der Bank. Drei Spieler, die wenig kosten, gleichzeitig aber konstant Leistung bringen. Eine Traumkonstellation.

Eine Mischung aus Ballack und Gascoigne

Zwei weitere Erfolgsgaranten im System von Roberto Martínez sind Leighton Baines und das erst 20-jährige Eigengewächs Ross Barkley. "Wenn ich Barkley sehe, sehe ich ein bisschen etwas von Ballack und ein bisschen was von Gazza, aber ich kann garantieren, dass er einzigartig ist", verspricht der Spanier. Noch steckt der junge Mittelfeldspieler mitten in der Entwicklung, seine vielversprechenden Ansätze lassen allerdings auf Großes hoffen.

Dass der Everton Football Club endgültig zu einer Top-Adresse geworden ist, zeigt die jüngste Vertragsverlängerung mit Leighton Baines. Gute Linksverteidiger sind auch auf der Insel rar, dementsprechend heftig umworben war der 29-Jährige. "Es wäre untertrieben zu sagen, dass wir erfreut sind", brachte Martínez die Stimmungslage nach Baines' Unterschrift auf den Punkt.

Doch so gut das Modell der "Toffees" im Moment funktioniert, am Ende des Tages ist auch der Everton FC vom sportlichen Erfolg abhängig. Sollte der Klub die Qualifikation für die Champions League verpassen, wird es schwer, die Angriffe der finanzstarken Vereine abzuwehren, das starke Kollektiv zusammenzuhalten und sich für weitere Leihgeschäfte zu empfehlen.

Mit dem "SAS-Sturm" zum Titel?

Ganz ähnlich ist die Situation im roten Teil der Stadt. Bei den "Reds" konzentriert sich in dieser Saison alles auf den "SAS-Sturm". Der eine, Luis Suárez, trifft wie er will und benötigt im Schnitt nur 69,5 Minuten, um den Ball im gegnerischen Kasten unterzubringen. 22 Tore in 17 Spielen, 1,29 Treffer pro Spiel – was sich wie die Bilanz einer kompletten Mannschaft liest, geht ganz allein auf sein Konto.

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Auf die Frage, wie man ihn am ehesten stoppen kann, antwortete Roberto Martínez kurz und knapp: "Gar nicht. Er ist einfach brillant. Du kannst nur versuchen, ihn mit vereinten Kräften aus dem Spiel zu nehmen und hoffen, dass er keinen guten Tag erwischt." José Mourinho schlug vor wenigen Wochen in die gleiche Kerbe und ging sogar noch einen Schritt weiter: "Ich hoffe, dass er sich vor dem Spiel gegen uns verletzt." Nichts Ernstes, so "The Special One", nur irgendeine Blessur, die ihn "für drei, vier Tage außer Gefecht setzt." Viel mehr Anerkennung kann es für einen Stürmer wohl nicht geben.

Weltklasse zum Schnäppchenpreis

Zur Seite steht ihm mit Daniel Sturridge die größte englische Sturmhoffnung seit Alan Shearer. Für geschätzte 15 Millionen Euro wechselte der wieselflinke und technisch beschlagene Stürmer im Januar 2013 vom FC Chelsea zu den "Reds". Im Nachhinein lässt sich sagen: ein echtes Schnäppchen. Schon in seinem ersten Halbjahr schoss er den LFC mit zehn Toren in 14 Spielen fast bis nach Europa. In der aktuellen Spielzeit knüpft er nahtlos daran an.

Während Luis Suárez zu Saisonbeginn auf der Tribüne den Rest seiner Zehn-Spiele-Sperre absaß, ballerte der 24-Jährige seine Mannschaft an den ersten drei Spieltagen zu drei 1:0-Siegen und ebnete den Weg zu dem, was die erfolgreichste Saison seit einer gefühlten Ewigkeit werden könnte. Und an deren Ende soll, wenn schon nicht der Titel, zumindest die Qualifikation zur Champions League stehen.

Beide Teile des "SAS-Sturms" sind zwar mit langfristigen Verträgen ausgestattet, beide haben allerdings auch den Anspruch, regelmäßig auf internationalem Topniveau zu spielen. Dazu gehört die Teilnahme an der Champions League. Landet der LFC erneut nicht unter den ersten Vier, wird im Sommer das ein oder andere verlockende Angebot aus dem Aus- und Inland eingehen. Bisher konnte Liverpool allen Offerten widerstehen. Ob das nach einem weiteren Jahr ohne die Einnahmen aus der Königsklasse so bleibt, darf zumindest bezweifelt werden.

Christian Schenzel