29.05.2015 08:00 Uhr

Die weiteste Reise der ÖFB-Geschichte

Die U20-WM in Neuseeland wirft ihre Schatten voraus
Die U20-WM in Neuseeland wirft ihre Schatten voraus

Vorhang auf zur U20-WM 2015 in Neuseeland: Es ist die weiteste Länderspielreise, die je ein Auswahl-Team des Österreichischen Fußball-Bundes angetreten hat. Beim Auftakt wartet dabei am Samstag (ab 9:00 Uhr MESZ im weltfussball-Liveticker) im Westpac Stadium von Wellington mit Ex-Champion Ghana gleich ein echter Gradmesser.

Die ÖFB-Talente schafften im Vorjahr mit dem Semifinal-Einzug bei der U19-EM in Ungarn die Qualifikation für die Weltmeisterschaft. FIFA U20 World Cup 2015 New Zealand: Für viele Nachwuchshoffnungen ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Die Verbandsspitze lässt sich dies rund 300.000 Euro kosten. "Die WM-Teilnahme ist sehr wichtig für den Verband. Ein Prestigeerfolg", lautete das gewichtige "Okay" von ÖFB-Generaldirektor Alfred Ludwig.

Auch Verbandsboss Leo Windtner zeigte sich erfreut: "Diese Erfolge sind ein Produkt nachhaltiger Arbeit. Die Früchte eines langen, österreichischen Weges." Sportdirektor Willi Ruttensteiner sprach sogar davon, "dass Erfolg planbar ist. Nach diesem Turnier werden alle Spieler gewonnen haben: Riesige internationale Erfahrung!"

U20-Teamchef Andreas Heraf brachte es gegenüber weltfussball so auf den Punkt: "Diese Mannschaft hat jetzt schon viel mehr erreicht, als man ihr zugetraut hatte. Meine Burschen haben anfangs große Probleme gehabt und einige bittere Rückschläge erlebt. Doch dieses Team hat einen Riesencharakter und ist sehr schlau. Sie haben danach das Wichtigste gelernt: Wie man gewinnt!"

Kritik von Marcel Koller, kein Losglück, viele Absagen: Na und?

Dabei hatte es im Vorjahr noch unerwartete Kritik von höchster Stelle gegeben. Nach der 0:4-Abfuhr im EM-Semifinale gegen den späteren Sieger Deutschland teilte sogar der sonst zurückhaltende ÖFB-Teamchef Marcel Koller gegenüber der damaligen U19-Auswahl aus. "Sie haben gesagt, sie laufen um ihr Leben. Wenn ich um mein Leben laufe, hat das für mich eine ganz andere Bedeutung. Man hat gesehen: Okay, da war jetzt vielleicht der Respekt zu groß."

Ein Jahr später haben das nunmehrige U20-Team und sein Coach die Gelegenheit für eine sportliche Antwort. "Auch wenn er Recht hatte, natürlich hat es mich gestört. Doch wir haben darüber gesprochen und es ausgeräumt", gab es zwischen Heraf und Koller später eine reinigende Unterhaltung.

Was der Schweizer im Vorjahr mit der Nationalmannschaft in Brasilien verpasste, darf nun der Ex-Rapidler mit dem U20-Team in Neuseeland erleben: Eine WM-Teilnahme. Doch dabei war Glücksgöttin Fortuna kein Österreich-Fan. Fidschi, Katar, Myanmar, Neuseeland, Nordkorea und Usbekistan wären als Gegner möglich gewesen, am Ende wurde es jedoch die äußerst schwierige Gruppe B mit Argentinien, Ghana und Panama.

"Das ist eine gewaltige Challenge, die uns erwartet. Wir brauchen gegen die Besten der Welt mit zwei erklärten Favoriten auf den Turniersieg echte Sonderleistungen", fasste Heraf die Ausgangsposition zusammen.

Aus den Erfahrungen von Kolumbien gelernt

Mit Valentino Lazaro (im Aufgebot des Nationalteams für das EM-Qualifikationsspiel in Russland), Sinan Bytyqi, Dominik Baumgartner, Simon Pirkl (das Trio erlitt jeweils einen Kreuzbandriss), Armin Mujakic (Knieverletzung), Marko Kvasina, Sascha Horvath (beide U19-EM), Michael Blauensteiner und Dominik Prokop (beide mit den Austria-Amateuren im Abstiegskampf der Regionalliga Ost tätig) gab es leider erneut zahlreiche Absagen. Kurz vor Turnierstart verletzte sich dann auch noch Thomas Gösweiner am Oberschenkel.

In einer "perfekten Welt" hätte der WM-Kader des Andi Heraf anders ausgesehen. Doch der U20-Teamchef ist kein Freund des Jammerns und hat gelernt. So wie vom Auftritt 2011 in Kolumbien, als seine Mannschaft in der Gruppenphase gegen den späteren Weltmeister Brasilien, Ägypten und Panama sieg- und torlos scheiterte.
>> Österreichs Ergebnisse bei der U20-WM 2011 in Kolumbien

ÖFB-Schlüsselspieler wie David Alaba (2010 noch bei der U19-EM im Einsatz), Aleksandar Dragović oder Martin Hinteregger wären damals allesamt spielberechtigt gewesen: Die goldene Generation des heutigen A-Teams ließ jedoch die Reise nach Kolumbien aus: Ein Aderlass, der unter den ungewohnten, extremischen klimatischen Bedingungen nie zu verkraften war. Am Ende war dann zudem noch fast der gesamte Reisetross krank.

"In den vergangenen vier Jahren ist bei mir viel passiert. Ich habe gelernt, dass ich manche Dinge und Menschen nicht ändern kann, sondern nur meine Sichtweise. Das Vertrauen in mein Team und den Staff ist jetzt viel größer, dann kann man auch besser delegieren", meint Heraf, der 2015 für sich persönlich als Jahr der Gelassenheit ausrief.

"Häferl" Heraf entscheidet aus Gefühl

ÖFB-Chef Windtner, der dem U20-Team sogar einen eigenen Koch bewilligte ("Der ist vom Steegwirt Bad Goisern und macht einen sensationellen Kaiserschmarrn") bezeichnete Andi Heraf oft als "Häferl".

Damit dieses nicht übergeht, kehrten Ruhe und Reife ein. "Die Erfahrungen aus einer Ironman-Teilnahme und einer langen Reise zur WM-Auslosung nach Neuseeland waren prägend für mich", so der Erfolgscoach, der in seiner ÖFB-Trainerlaufbahn bereits die vierte Endrundenteilnahme (je zwei Mal U19-EM und U20-WM) schaffte.

Nun sollen diese Erkenntnisse auf der Betreuerbank auch der aktuellen U20-Auswahl helfen. Heraf ("Ich entscheide aus Gefühl") verzichtete etwa auf Bayern-Nachwuchskeeper Ivan Lučić, weil "ich als Teamchef verantwortlich für die ganze Gruppe bin. Wir sind auf einer Weltreise, wo wir zusammen ein Ziel erreichen wollen. Da haben gewisse Disziplinlosigkeiten keinen Platz."

Kapitän Francesco Lovrić weiß: "Wir sind vielleicht nicht die beste Mannschaft, aber wenn wir als Team zusammenhalten, dann haben wir Chancen jeden Gegner zu schlagen."

Fußballschuhe putzen bei der Einreise nach Neuseeland

Am Tag vor dem Eröffnungsspiel des ÖFB-U20-Teams zeigte sich Wellington indes von seiner besten Seite. Freundliche 13 Grad und Sonnenschein machten den lokalen Spätherbst zum Vergnügen. Der nachnominierte Lukas Grgic bekam bei der Einreise aber die liebevollen Tücken des Landes zu spüren.

Der LASK-Akteur musste am Flughafen beim "Biosecurity Check" seine mitgebrachten Fußballschuhe sorgfältig von allen restlichen europäischen Grashalmen reinigen. Der Security-Manager erwies sich jedoch als echter WM-Fan und half mit einem Handstaubsauger bei den Gepäcksstücken nach. Die letzten grünen Mitbringsel von österreichischen Spielfeldern verschwanden so endgültig an der "Yellow Line".

Nun liegt es am Samstag beim Turnierstart gegen Ghana an den heimischen Talenten zu zeigen, dass die rot-weiß-roten Schuhe nicht nur sauber sind, sondern ihre Besitzer auch kicken können.

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Wellington