26.09.2015 10:00 Uhr

England: Billig-Bomber auf dem Vormarsch

Führen die englische Torjägerliste an: Riyad Mahrez (l.) und Callum Wilson
Führen die englische Torjägerliste an: Riyad Mahrez (l.) und Callum Wilson

Nicht die sündhaft teuren Starstürmer führen die Torschützenliste der Premier League an, sondern zwei No-Names: Riyad Mahrez und Callum Wilson haben nach sechs Spielen schon jeweils fünf Treffer auf dem Konto. Der Hype um die beiden Newcomer ist groß und die Spekulationen über ihre Zukunft schießen inseltypisch bereits jetzt ins Kraut.

1,185 Milliarden Euro investierten die Klubs der höchsten englischen Spielklasse im abgelaufenen Transferfenster in neue Spieler. Das waren noch einmal 48 Millionen mehr als im Vorjahr, bedeutete einen neuen Rekord und – natürlich – mit meilenweitem Vorsprung Platz eins in der europäischen Investitionsrangliste.

Inzwischen sind die ersten Partien im Mutterland des Fußballs gespielt und feststellen lässt sich eins: Geld schießt nicht immer Tore. Die namhaften und vor allem kostenintensiven Offensiv-Neuzugänge der Top-Klubs aus diesem Sommer sucht man beim Blick auf die Spitze der Torjägerliste vergeblich. ManCitys Raheem Sterling (62 Millionen Euro Ablöse, ein Treffer), Christian Benteke von Liverpool (46 Millionen, zwei Treffer) oder Chelsea-Einkauf Pedro (27 Millionen, zwei Treffer) rangieren in dem Ranking derzeit unter ferner liefen.

Spätstarter am Ende der Nahrungskette

Ganz oben thronen stattdessen mit Mahrez und Wilson zwei Akteure, denen vor dieser Saison kaum ein Experte diesen Spitzenplatz zugetraut hätte. Beide spielen bei Klubs, die in der Nahrungskette der vermeintlich besten Liga der Welt eigentlich weit unten angesiedelt sind. Beide kosteten ihre aktuellen Arbeitgeber außerdem Spottpreise im Vergleich zu den sonst in England marktüblichen Summen.

Mahrez läuft für den letztjährigen Fast-Absteiger Leicester City auf, der 2013 etwa 750.000 Euro für den Algerier an den franzöischen Zweitligisten AC Le Havre überwies. Wilson geht für den AFC Bournemouth auf Torejagd. Der Liganeuling verpflichtete ihn im Sommer vor einem Jahr für knapp vier Millionen Euro von Coventry City.

Gemeinsam haben die Shooting-Stars auch, dass sie mit Mitte Zwanzig schon lange nicht mehr als talentierte Nachwuchskräfte gelten können, ja sogar als Spätstarter durchgehen. Während der in Coventry geborene Wilson allerdings in der Zweitliga-Aufstiegssaison der Cherries seine Klasse vor dem gegnerischen Tor bereits aufblitzen ließ und 20 Mal in 45 Partien traf, tat sich Mahrez mit seinen insgesamt sieben Treffern in 49 Championship- und Premier-League-Spielen für die Foxes vor dieser Spielzeit nicht gerade als Goalgetter hervor.

"Riyad hat einen Riesensprung gemacht"

Überhaupt ist vor allem die Entwicklung von Leicesters Flügelmann in den vergangenen Monaten erstaunlich. "Riyad ist in spektakulärer Form", schwärmt Mahrez' Mannschaftskamerad Wes Morgan: "Was er im Training macht, ist unglaublich. Er zeigte das in der letzten Saison zwar bereits in Ansätzen, hat aber noch einmal einen Riesensprung gemacht."

Unter dem neuen Trainer Claudio Ranieri bringt der im Pariser Vorort Sarcelles geborene Tempodribbler seine Technik und Schnelligkeit nun konstant auf den Rasen. Mahrez beackert nicht nur ohne Unterlass die rechte Offensiv-Außenbahn und trifft selbst wie am Fließband, sondern hat in den entscheidenden Momenten auch noch das Auge für den besser postierten Nebenmann: Vier Tore bereitete er 2015/2016 bislang vor. Dass Leicester momentan völlig überraschend Rang vier belegt, ist auch sein Verdienst.

Lebensversicherung beim Erstliga-Debütanten

In ganz so hohen tabellarischen Sphären schwebt Wilson mit Bournemouth zwar nicht. Aber auch der Saisonstart des Aufsteigers in seiner allerersten Premier-League-Spielzeit ist durchaus bemerkenswert. Die Cherries haben als 14. immerhin sieben Zähler auf dem Konto - genauso viele wie Meister Chelsea.

Für diese Ausbeute reichten den Minimalisten aus Südwestengland acht Treffer. Nur drei davon steuerte also nicht Wilson bei, der im Gegensatz zu seinem Newcomer-Kollegen Mahrez in der Sturmmitte zuhause ist und dort als umtriebiger und abschlussstarker Neuner moderner Prägung glänzt.

Nur eine Richtung: aufwärts

Wenig überraschend stehen die Männer der Stunde längst im Fokus der traditionell äußerst begeisterungsfähigen englischen Medienöffentlichkeit. Auf dem Boulevard wird in erster Linie natürlich schon kräftig darüber spekuliert, wie die nächsten Schritte in der Entwicklung der beiden Billig-Bomber aussehen könnten.

Mahrez – im Blätterwald inzwischen nach dem rasend-schnellen Cartoon-Vogel 'Roadrunner' getauft – wird von der "Daily Mail" mit Arsenal und – man höre und staune – dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Beim Champions-League-Sieger soll er angeblich als möglicher Ersatzmann für den schwer verletzten Rafinha Alcántara auf dem Zettel stehen und damit sogar ein Kandidat für einen Wechsel in der kommenden Wintertransferperiode sein.

Wilson hingegen schreibt die Yellow Press vehement in die englische Nationalmannschaft, bei der Coach Roy Hodgson das Personal im Angriff hinter Rekordtorschütze Wayne Rooney gerade ohnehin kräftig durcheinanderwirbelt. Sein Vereinstrainer Eddie Howe traut ihm den Sprung zu den Three Lions jedenfalls zu. "Ich würde Callum Länderspieleinsätze von ganzem Herzen gönnen", sagt der 37-Jährige: "Er hat riesiges Potenzial und entwickelt sich momentan rasant weiter."

Tobias Knoop