30.10.2015 09:30 Uhr

Anschlag im Stadion - ein Damoklesschwert?

Ein volles Stadion - ein hohes Risiko?
Ein volles Stadion - ein hohes Risiko?

Eine Bombe explodiert in einem randvollen Stadion. Es gibt wohl kaum ein größeres Schreckensszenario, die Opferzahlen wären gewaltig. weltfussball hat sich in Kooperation mit eurotours auf Spurensuche nach dem Damoklesschwert begeben. Nachgeforscht wurde in Polen, wo die letzte EM stattfand. Dort wo auch der Grundstein für die kommende Europameisterschaft in Frankreich gelegt wurde.

Weshalb ist ein solcher Anschlag so "attraktiv" für Terroristen? "Eine große Anzahl an potenziellen Zielen, eine relative Leichtigkeit, diese zu erreichen und eine enorme Publicity in der Folge", analysierte Viktor Soloviov, früherer Leiter der Abteilung für interne Gefahren im Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine, fest.

In der Geschichte kamen Anschläge auf Sportevents schon öfters vor. Bekanntestes Beispiel ist wohl das Olympia-Attentat von München 1972. Elf israelische Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen starben dadurch. In Erinnerung ist auch die baskische Bombe, die 2002 vor dem Bernabéu gezündet wurde und die Explosion beim Boston Marathon, bei der 2013 drei Menschen ihr Leben verloren.

"Bei der EURO 2012 gab es letztendlich keine realistische Gefahr. Im Vorfeld gab es zwar Gerüchte, die konnten aber allesamt im Vorfeld durch ein Netzwerk internationaler Kooperationen als haltlos identifiziert werden", erklärte Krzystztof Liedel, der Direktor des Terrorism Research Centres der Warschauer Universität Collegium Civitas.

"Polen war als Ziel nicht sonderlich attraktiv für Terroristen. Das Event selbst aber schon", meinte Liedel. Frankreich könnte 2016 das Problem haben, dass es auch als Land mehr Anziehungskraft für Anschläge hat, wie eben auch das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo bewiesen hat. Das Aufkommen von "einsamen Wölfen" sei alarmierend. Attentäter, die nicht direkt von Terrororganisationen abstammen, sondern sich selbst via Internet radikalisieren.

Als absolutes Worst Case Scenario nannte Liedel biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen. Beispielsweise solche, die der IS von der syrischen Armee erobern konnte.

"Kaum zu verhindern"

"Wenn es jemand darauf ankommen lassen will, dann wäre es mit den derzeitigen Sicherheitsstandards kaum zu verhindern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kontrollen da ausreichen", meinte Lukas Hampl vom Architekturbüro RKW, das unter anderem das Stadion in Gdańsk entwarf.

Wie kann man das Risiko also entschärfen? Durch strengere Sicherheitsmaßnahmen am Stadioneingang wie Körperscanner? "Solche Maßnahmen würden wahrscheinlich schon die Robustheit des Sicherheitssystems verbessern. Auf der anderen Seite wäre es schwer kontraproduktiv. Die Kosten würden in den Himmel schießen, außerdem müssten die Besucher stundenlang in einer Schlange stehen und wären auch dort ein offenes Ziel", so Liedel.

Physischer Schutz sei aber ohnehin nur die letzte Abwehrlinie, meinte Liedel, der von 2005 bis 2007 Leiter der Anti-Terror-Abteilung im polnischen Innenministerium war. Der wichtigste Part in der Abwehr ist das proaktive, präventive Handeln, wenn Anschläge überhaupt erst geplant werden. Die Hauptaufgaben übernimmt daher der jeweilige Geheimdienst.

In der Durchführung sei eine klare Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Interessenspartnern, wie Polizei, Geheimdienst, Event-Organisation und auch Fans, unabdingbar. Das gelingt aber nicht immer reibungsfrei.

"Die polnischen Sicherheitskräfte waren etwas übermotiviert. Sie wollten überall Kameras, das ging sogar der UEFA zu weit. Datenschutz war für sie damals kein Thema", so Hampl. Sicherheit auf der einen Seite, Überwachung auf der anderen. Ein schmaler Grat, der leicht missbraucht werden kann.

Keine Kooperation mit der Polizei

Auch die Fußball-Anhänger selbst sehen nicht alles rosig. "Wir kooperieren nicht mit der Polizei", erklärte Michal Nowosad vom Fanprojekt Kibice Razem in Gdańsk. "Wir vertrauen ihnen einfach nicht." Zwar sprach Nowosad eher den Liga-Alltag, als die Großevents an, aber die Grundaussage bleibt.

Jahrelange Konflikte erschütterten die Beziehung zwischen Fans und Exekutive. Ausschreitungen auf der einen Seite, Repression auf der anderen. Dabei entspricht das Bild des rücksichtslosen polnischen Hooligans nicht mehr der Realität. Zumindest innerhalb der Stadien. "Die Zeiten haben sich geändert. Es ist nicht mehr wie in den Neunzigern, als es richtige Wild-West-Szenen gab", erklärte er weiters. Ausschreitungen gibt es kaum mehr, bei den Fans habe es ein Umdenken gegeben. "Wir müssen aber weiter daran arbeiten, dass die Leute gerne in ein Stadion kommen und keine Angst haben müssen."

Dass es heute in polnischen Stadien sicherer ist, ist einerseits den Bemühungen des Fußballverbands und des Sportministeriums geschuldet. Andererseits tragen die infrastrukturellen Maßnahmen Früchte. Eine umfassende Offensive in Sachen Stadionbau verbesserte die Lage ungemein. Es gibt keine baufälligen Betonschüsseln mehr, stattdessen vermitteln helle, komfortable Arenen ein ganz anderes Bild.

"Die Weltmeisterschaft 2006 bedeutete für die Stadionarchitektur einen großen Umbruch", erklärte Hampl. "Seitdem ist alles viel integrierter. Polizei, Feuerwehr und die Stadtverwaltung haben großen Einfluss auf die Planung."

Trotz modernster Infrastruktur, den aufwändigsten Sicherheitsvorkehrungen von Geheimdienst bis Kartenabreißer: Ausschließen kann man einen Anschlag nicht. Bislang war die Vermeidung relativ erfolgreich, hoffentlich bleibt das so.

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Johannes Sturm

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Projekts eurotours 2015