12.06.2016 10:46 Uhr

EM 08: Die irre Comeback-Show der Türkei

Riesenjubel nach dem Siegtreffer von
Riesenjubel nach dem Siegtreffer von

Die Halbfinalteilnahme bei der Europameisterschaft 2008 ist einer der größten Erfolge der türkischen Nationalmannschaft. Ein Triumph voller Spektakel und Dramatik, bei dem sich die Last-Minute-Siege an­ei­n­an­der­rei­hten.

Auch im Halbfinale gegen Deutschland waren die Türken eindrucksvoll zurück gekommen. Semhi Şentürk hatte für seine Mannschaft beim stärksten Auftritt der "Halb-Sterne" während der Europameisterschaft den erlösenden 2:2-Ausgleich vier Minuten vor Schluss erzielt. Ein Tor, welches aber nicht reichen sollte. Philipp Lahm beendete vier Minuten später mit seinem Treffer zum 3:2 den türkischen EM-Traum. Bis dahin legten die Türken aber einen Turnierverlauf hin, den selbst Kult-Regisseur Alfred Hitchcock nicht besser hätte inszenieren können.

Dabei schien für Hamit Altintop und Co. das Turnier bereits in der Vorrunde gelaufen. Nach einer 0:2-Auftaktpleite liegt die Mannschaft von Fathi Terim im zweiten Gruppenspiel gegen die Schweiz bis zur 56. Minute mit 0:1 im Rückstand. Dem Ausgleichstreffer von Şentürk sollte aber noch der Siegtreffer von Arda Turan in der 92. Minute (!) folgen. Für die Türken, die damit das Turnier für die Schweiz vorzeitig beendeten, nur der Auftakt zu einer unfassbaren Serie. 

"Man wird sich an uns erinnern", prophezeite Trainer Fathi Terim bereits nach dem ersten Sieg - und er sollte Recht behalten. Das Spektakel ging nahtlos weiter. Im Gruppenendspiel gegen Tschechien folgte das nächste Highlight. Vor der Partie hatten beide Teams die identische Punktzahl und Tordifferenz. Bei Unentschieden nach 90 Minuten müsste so die Entscheidung im Elfmeterschießen erzwungen werden. Doch nach einer knappen Stunde schien das keine wahrscheinliche Option mehr. Tschechien führte bereits komfortabel mit 2:0 und die Türken saßen abermals auf gepackten Koffern.

Drama, Baby, Drama!

Nur der Pfosten verhinderte beim Torschuss von Jan Polak in der 71. Minute den endgültigen K.o.. Fünf Minuten später flammte dann wieder Hoffnung im türkischen Lager auf. Nach einer Altintop-Hereingabe ließ Arda mit einem trockenen Rechtsschuss zum 1:2-Anschlusstreffer dem Altmeister Petr Čech im Tor keine Abwehrchance. Anschließend war es ausgerechnet der tschechischen Torwwart-Ikone überlassen, ein weiteres Comeback zu ermöglichen. 

Eine eigentlich harmlose Flanke ließ der damalige Chelsea-Goalie in der 87. Minute aus den Händen gleiten, just vor die Füße von Kapitän Nihat, der sich nicht zweimal bitten ließ und aus fünf Metern ins verwaiste Tor einschob. Die Türkei war wieder im Turnier – abermals auferstanden von den Toten.

Nur zwei Minuten später versetzte Nihat seine Farben endgültig in Ekstase: Der Tscheche Marek Jankulovski verschlief das Signal zur Abseitsfalle. So tauchte Nihat ganz alleine vor dem gegnerischen Tor auf. Dem fulminanten Schlenzer Richtung Winkel kann Čech schließlich nur noch hinterher schauen. Von der Unterlatte tickt der Ball ins Tor -  3:2! Einen 0:2-Rückstand innerhalb einer Viertelstunde gedreht, die Tür zur K.o.-Runde meilenweit aufgestoßen. Fußballwahnsinn, hier bist du zuhause.

Ohne Torwart zum Sieg

Doch damit nicht genug. Der türkische Goalkeeper Volkan Demirel erwies seiner Mannschaft in der Nachspielzeit noch einen Bärendienst. Nach einem Zusammenstoß mit Jan Koller schubste der Torwart den baumlangen Tschechen abseits des Balles zu Boden. Die Konsequenz: Rot. Nachdem das Wechselkontigent bereits ausgeschöpft war, musste ein Feldspieler ins Tor der Türkei. Tuncay erbarmte sich schließlich und streifte sich Handschuhe und Torwarttrikot über. Ein Umstand, den Galásek und Co. aber nicht mehr zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Zwei Minuten später ertönte der Schlusspfiff und die Türken standen nach einem atemberaubenden Thriller im Viertelfinale der EURO.

Dort wartete Kroatien und ein unvergessliches 3-Minuten-Drama. Bis zu 119. Minute stand es zunächst 0:0. Dann schien Keeper Rüştü das Spiel zu entscheiden. Völlig übermotiviert eilte der türkische Routinier bei einem Angriff der Kroaten aus dem Kasten. Luka Modrić am rechten Strafraumrand erfasste die Situation blitzschnell und brachte den Ball in die Mitte, wo Klasnić am Fünfer nur noch ins leere Tore einnicken musste. Es war der erste Torschuss in der Verlängerung, der Kroatien scheinbar den Halbfinal-Einzug sicherte.

"Semhi! Semhi! Semhi!"

Doch für die Auswahl von Fathi Terim schien der Gegentor-Schock nur für eine weitere Comeback-Vorlage zu taugen. Eine letzte blinde Flanke von Rüştü Richtung Strafraum sorgte nochmal für Unordnung, ehe Sehmi Sentürk der Ball vor die Füße fiel."Semhi!Semhi!Semhi!Semhi! 1:1! Ein unglaubliches, ein außergewöhnliches Spiel", brüllt der türkische TV-Kommentator anschließend voller Adrenalin ins Mikro, nachdem Semhi Sentürk den Ball in den Winkel geknallt hatte.

Ein weiteres, ein letztes Wahnsinns-Comeback der Elf vom Bosporus war perfekt, das den folgenden 4:2-Sieg im Elfmeterschießen fast zur Randnotiz verkommen ließ. Es war der Höhepunkt einer irren Serie, die noch heute dafür sorgt, dass man sich an Terim und seine Mannschaft erinnert.