27.06.2016 14:18 Uhr

Lionel Messi, der Unvollendete

Lionel Messi wurde in der Nationalmannschaft nicht glücklich
Lionel Messi wurde in der Nationalmannschaft nicht glücklich

Ein Blick in die rechte Torecke, drei Schritte Anlauf, der Schuss mit dem millionenschweren linken Fuß. Ganz Argentinien ist bereit zum Jubeln, aber der Ball rauscht deutlich über die Latte.

Lionel Messi, der König des Vereinsfußballs, der Edeltechniker aus Barças Talentschmiede, der Floh aus der argentinischen Großstadt Rosario greift sich an den Saum seines Trikots mit der Nummer 10 und schleicht mit gesenktem Kopf zurück zu seinen Teamkameraden.

Nach dem verschossenen Elfmeter von Arturo Vidal hatte Messi die große Chance, die Albiceleste auf den Weg zur ersten Copa América seit 1993 zu bringen, doch dem Weltstar versagen die Nerven. Die folgenden Minuten ziehen wie ein Albtraum an ihm vorbei: Lucas Biglia verschießt für Argentinien, Francisco Silva verwandelt und sichert Chile den zweiten Titel in Serie. Messi lässt seinen Emotionen freien Lauf und weint bitterlich auf dem Spielfeld. Vor laufenden Kameras erklärt er den Rücktritt aus dem Nationalteam, in dessen Trikot der Superstar nie glücklich werden konnte.

Auf Vereinsebene ist Messi zweifelsohne der König des Weltfußballs. Bereits mit 29 Jahren kann er sich sicher sein, dass er durch vier Champions-League-Siege und acht spanische Meisterschaften auf Ewig in die Analen des FC Barcelonas eingehen wird. Ganz anders sieht es in der Nationalmannschaft aus: Der fünffache Weltfußballer, der von den Medien immer wieder mit neuen Superlativen bedacht wird und Barça von Titel zu Titel schießt, verpasste mit Argentinien stets den ganz großen Wurf. Dabei fing seine Karriere im blau-weißen Trikot verheißungsvoll an.

Erste Sternstunde bei der U20-WM

Bei der U20-WM 2005 in der Niederlande schimmerte Messis Stern am internationalen Fußballhimmel auf. Als bester Spieler des Turniers sicherte der Floh Argentinien mit zwei verwandelten Elfmetern im Finale gegen Nigeria den Cup. Nur wenige Wochen später stand der Argentinier das erste Mal für die A-Nationalmannschaft auf dem Rasen. Wenige Sekunden nach seiner Einwechslung sah der übermotivierte Youngster wegen einer Tätlichkeit die Rote Karte – es sollte bis heute die einzige in Messis Karriere bleiben. In den folgenden Jahren ging es parallel zu seinem kometenhaften Aufstieg bei der Blaugrana auch im Nationaltrikot steil bergauf: Erster Startelfeinsatz im Oktober 2005, erstes Tor im Frühjahr 2006. Die Belohnung war die Nominierung in den Kader für die WM in Deutschland.

Das erste Finaltrauma musste Messi 2007 verdauen. Bei der Copa América in Venezuela musste Argentinien im Endspiel gegen Rivale Brasilien eine bittere 0:3-Pleite einstecken. Für Aufsehen sorgte Messi im Halbfinale mit einem tollen Heber aus 15 Metern, mit dem er Mexicos Keeper Oswaldo Sánchez gnadenlos vernaschte. Der letzte Titel mit dem Nationalteam datiert aus dem Jahr 2008, in dem Argentinien das oft verpönte olympische Fußballturnier gewann. Beim 1:0-Finalerfolg gegen Nigeria stand der schon damals als Topstar geltende Messi bis zur Nachspielzeit auf dem Platz und durfte mit Torschütze Ángel Di María die Goldmedaille bejubeln.

Schallende Ohrfeige der deutschen Elf

Die Fans der Albiceleste träumten von den ganz großen Pokalen, in Wahrheit nahm das Unglück aber langsam seinen Lauf. Mit riesigen Erwartungen beladen enttäuschte Messi bei der WM 2010 auf der ganzen Linie. Ohne Torerfolg im Turnier konnte er nicht verhindern, dass sein Team im Viertelfinale gegen Deutschland beim 0:4 eine schallende Ohrfeige kassierte und sich glanzlos aus Südafrika verabschieden musste. Als Gastgeber der Copa América 2011 brannte ganz Argentinien auf den goldenen Pokal und wollte die Schmach der vergangenen WM vergessen machen. Auch wenn Messi im Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Uruguay die Nerven behielt, musste sein Team gegen den späteren Titelträger die Segel streichen. 4:5 hieß es am Ende aus Sicht der Gauchos.

Auch bei allen nachfolgenden Turnieren setzte die Albiceleste ihre Hoffnungen in La Pulga. Wirklich erfüllen konnte Messi diese aber erst 2014 bei der Weltmeisterschaft in Brasilien. Nach einem titellosen Jahr bei Barcelona führte der Mann mit der Nummer zehn seine Kumpanen mit vier Toren und einer Vorlage als Kapitän bis in das Finale von Rio. Gegen die DFB-Elf vergab der Floh kurz nach der Pause die Riesenchance zur Führung, als er einen Versuch aus 13 Metern haarscharf am rechten Pfosten vorbeisetzte. Nach 120 kräftezehrenden Minuten, in denen Messi mehrmals die deutsche Hintermannschaft durchwirbelte, musste er sich durch das legendären Tor von Mario Götze mit dem bitteren zweiten Platz begnügen. Dass er von der FIFA als bester Spieler des Turniers mit dem Goldenen Ball ausgezeichnet wurde, wird Barças Zauberer nicht getröstet haben.

Enttäuschung auch 2015 bei der Copa

Wer nach diesem Turnier glaubte, der Knoten im Nationaltrikot sei geplatzt, befand sich eindeutig auf dem Holzweg. Die Copa América 2015 schloss er mit lediglich einem Treffer ab. Im Shootout des Finales verwandelte er gegen Chile zwar den ersten Elfmeter für die Albiceleste, da jedoch seine Teamkollegen im Kollektiv versagten, durfte Chile den ersten Gewinn der Südamerikameisterschaft in der Geschichte des Landes bejubeln.

Bei der Revanche nur ein Jahr später sollte alles besser werden. Scheinbar auf dem Zenit seiner Nationalmannschaftskarriere sammelte Messi bis zum Finale bereits neun Scorerpunkte und spielte sich in einen regelrechten Rausch. Im Finale wartete wieder Chile und 82.566 Zuschauer im MetLife Stadium zu New Jersey wurden Zeugen eines verschossenen Elfmeters, der einen der unrühmlichsten Abgänge in der Geschichte des Fußballs bedeuten sollte. Auch wenn Lionel Messi schon jetzt eine lebende Legende ist, wird er im Nationaltrikot Argentiniens immer der Unvollendete bleiben.

Lionard Tampier