09.11.2018 12:45 Uhr

Die Pedanterie und Philosophie von BVB-Coach Favre

Lucien Favre hat bisher beim BVB überzeugt
Lucien Favre hat bisher beim BVB überzeugt

Lucien Favre ist für Borussia Dortmund ein Glücksgriff. Die vielen jungen Spieler schauen zum erfahrenen, zuweilen etwas kauzigen Trainer auf.

Manuel Akanji war einigermaßen perplex, das lässt sich ohne Übertreibung sagen. Nach einem Spiel, in dem er sich seiner bescheidenen Selbsteinschätzung zufolge haarscharf am Rande der Perfektion bewegt hatte, wollte sich der Innenverteidiger von Borussia Dortmund sein Sonderlob abholen. Und Lucien Favre? Naja, habe der Trainer gesagt, "schlecht war es nicht".

So ist er: Lucien Favre. Seinem Ruf der Detailversessenheit, durchaus grenzend an Detailbesessenheit, wird der bisweilen etwas kauzige Schweizer beim BVB gerecht. Er führt diese junge, sehr talentierte Mannschaft mit Pedanterie - und mit großem Erfolg. Vor dem Bundesliga-Gipfel gegen den FC Bayern München (Samstag, 18:30 Uhr) steht Favre dort, wo dessen Trainer Niko Kovac gerne wäre: an der Tabellenspitze.

Das hat seinen Grund. Die Supertalente Jadon Sancho (18), Christian Pulisic (20), Dan-Axel Zagadou (19) schauen zu ihm auf, sie folgen dem Mentor blind, auch, weil es (noch) keine harten Rückschläge gab. Etablierte Stars wie Marco Reus und Mario Götze vertrauen Favre, seiner Akribie, seiner unverkennbaren Philosophie des schnellen Flachpasses.

Zusammenwachsen begünstigt durch den schnellen Erfolg

Der Erfolg beschleunigt den Umbruch und das Zusammenwachsen. Credo des Trainers dabei: "Ob wir gewinnen oder verlieren, wir lernen immer." Wobei das Gefühl des Verlierens ganz neu ist - das 0:2 bei Atlético Madrid am Dienstag war die erste Niederlage im 16. Pflichtspiel der Saison. Ob seine Jungs nun verunsichert seien? "Ach", sagt der 61-Jährige väterlich, "junge Spieler vergessen da sehr, sehr schnell."

Dies lässt sich von Lucien Favre keinesfalls behaupten. Er wirkt häufig wie ein zerstreuter Professor, doch das täuscht: Er ist ein extrem analytischer Geist, der aus jeder Information Erkenntnis ziehen will, sei sie noch so klein. Während der Spiele sieht man ihn ständig auf Zetteln kritzeln, dennoch lässt er sich in den groben Zügen seiner fußballerischen Handschrift nicht beirren.

Lucien Favre relevante Informationen zu entlocken, endet oft wie der Versuch, ein trockenes Handtuch auszuwringen. Mit einem ironischen Lächeln antwortet er dann, bleibt bewusst vage, aber freundlich, pendelt Fragen aus, wie Muhammad Ali früher Schlägen auswich. Das Rezept für Samstag sei, sowohl intelligent zu verteidigen als auch intelligent anzugreifen. Es ist eine Favre-Antwort - wenig gesagt, nichts verraten.

Zorc lobt Favre für "klare Vision"

Seine Akkuratesse schlägt gelegentlich ins übertrieben Grüblerische um. Davon können Funktionäre seiner früheren Stationen spannende Geschichten erzählen. In Mönchengladbach soll Favre regelmäßig seinen Rücktritt angeboten haben, bei Hertha BSC nervte er Dieter Hoeneß mit seinem Zögern bei Transfers. "Das kostet Kraft", klagte der Manager. Doch sportlich gab und gibt es kein schlechtes Wort.

In Dortmund ohnehin nicht. "Lucien hatte vom ersten Tag an eine klare Vision, wie diese Mannschaft Fußball spielen soll", berichtete BVB-Sportdirektor Michael Zorc während einer gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag. "Die Mannschaft ist ihm komplett gefolgt und vertraut ihm." Favre reagierte favrehaft: "Es gibt noch viel zu tun."

Diese Einstellung ist längst auch bei Manuel Akanji angekommen. So sei der Trainer halt, sagt Akanji: "Er will immer etwas verbessern."